Obama in Hiroshima Geschichte machen
Allzu hohe Erwartungen hatte US-Präsident Barack Obama schon gedämpft, bevor er am Freitag Hiroshima besuchte. Und tatsächlich: Eine Entschuldigung für den Atombombenangriff, auf die einige in Japan noch gehofft hatten, brachte er nicht über die Lippen. Doch dass er überhaupt kam, als erster amtierender US-Präsident, das war eine mutige und überfällige Versöhnungsgeste.
Insofern hat Obama an diesem Freitag Geschichte geschrieben. Er hat das Bestmögliche aus einem politisch heiklen Auftritt gemacht: Kein Wort der Entschuldigung hätte gereicht, um Amerikas Nuklearangriff wieder gutzumachen. Denn wie Obama selbst sagte: Die Welt hat sich "für immer verändert" in Hiroshima.
Gerade hier im Friedensgedenkpark, nahe dem Abwurfort der Bombe, die 140.000 Menschen tötete und eine ganze Stadt in eine Hölle aus Feuer und Asche verwandelte, hätte Obama es ohnehin niemandem ganz recht machen können: Weder seinen japanischen Gastgebern, die sich wegen der US-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki meist als Opfer des Zweiten Weltkriegs betrachten. Noch seinen eigenen Landsleuten, von denen die Mehrheit die Nuklearangriffe auf ein fast schon besiegtes Land heute noch für militärisch und moralisch gerechtfertigt hält.
Und so blickte Obama zwar auch in die Vergangenheit, aber letztlich vor allem nach vorn: Die Erinnerung an Hiroshima dürfe nie vergehen, sagte Obama. "Sie erlaubt uns, die Trägheit zu bekämpfen, sie feuert unsere moralische Vorstellungskraft an und ermöglicht es, uns zu ändern."
Damit traf der US-Präsident den Ton, den die "Hibakusha", die Opfer der nuklearen Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki, von ihm erwartet hatten. Ein paar von ihnen gehörten heute zu den handverlesenen Gästen. Um ihre Einladung - eigentlich eine Selbstverständlichkeit - hatte es zuvor ein diplomatisches Hin und Her gegeben.
Schließlich durften die Opfer auf den schlichten blauen Plastikstühlen Platz nehmen und Obama zuhören. Allen voran Sunao Tsuboi, 91: Er hatte an jenem Morgen des 6. August 1945 in Hiroshima schwere Brandverletzungen erlitten, sein vernarbtes Gesicht zeugt davon.
"Nach einer Welt ohne Kernwaffen streben"
Nach seiner Rede wechselte Obama mit Tsuboi und einem weiteren Überlebenden ein paar Worte. Tsuboi hatte schon vorher klargemacht, was er von Obama erwarte: Der Präsident solle dafür sorgen, dass der Welt ein künftiges Hiroshima oder Nagasaki erspart werde.
Diese Hoffnung hat Obama erneuert: Er hoffe, die Menschheit werde "gemeinsam den Mut finden, Frieden zu schaffen und nach einer Welt ohne Kernwaffen zu streben", schrieb er ins Gästebuch des Friedensgedenkmuseums, das er vor seiner Rede besichtigt hatte.
In der Gedenkstätte sind gruselige Überreste des Atombombenangriffs ausgestellt, wie die Umrisse eines Toten, die sich auf der Steintreppe eingebrannt haben oder das verkohlte Dreirad eines Kleinkinds. Fernsehkameras waren während Obamas Rundgang nicht zugelassen.
Doch auch nach Obamas historischer Visite bleibt die Erkenntnis: Mit seinem Ziel einer Welt ohne Atomwaffen, das er wieder feierlich beschwor, ist er gescheitert. Zwar kann sich der bald scheidende Präsident das Atomabkommen mit Iran gutschreiben. Im übrigen Asien aber hat er es versäumt, das nukleare Wettrüsten zu bremsen. Stichwort: Nordkorea.
Wenn Obamas Rede etwas bewirken könnte, dann dies: Sie dürfte helfen, das unterschwellig stets komplizierte Verhältnis zwischen den USA und Japan ein wenig zu entkrampfen.
"Ruht in Frieden, der Fehler soll nicht wiederholt werden." Die japanische Inschrift am Denkmal für die Opfer der Atombombe, an dem Obama einen Blumenkranz niederlegte, ist vieldeutig. Wer hier welchen Fehler beging, bleibt offen.

Und diese Zweideutigkeit spiegelt sich auch in der aktuellen Beziehung zwischen den USA und Japan wider. Die schwächelnde Supermacht und das asiatische Inselland brauchen einander mehr denn je, um China in Schach zu halten - die aufstrebende Weltmacht, die im Südchinesischen Meer ein Korallenriff nach dem anderen besetzt und betoniert.
Doch es bleibt festzuhalten: Aus den einstigen amerikanischen Besatzern und den besiegten Japanern wurden in den vergangenen 71 Jahren zwar Verbündete - aber keine echten Freunde.
Die Vergangenheit, die das US-japanische Verhältnis überschattet, will so schnell nicht vergehen. Auch nicht nach diesem Tag von Hiroshima, an dem Obama und Premier Shinzo Abe einträchtig nebeneinander standen und sich die Hände reichten.
Für eine Aussöhnung fehlt Obama in Japan auch der passende Partner. Zwar verwies sein Gastgeber Abe in Hiroshima auf seine Rede in den USA vom vergangenen Jahr, in der er amerikanische Kriegsopfer bedauert hatte. Doch im Alltag steht der nationalistische Premier für ein Japan, das unliebsame Kapitel der eigenen Vergangenheit aus den Schulbüchern tilgt.
Video: Atombombe über Hiroshima
Atombomben-Opfer wurden jahrzehntelang diskriminiert
Schon im Vorfeld der Obama-Visite hatte Abe die historische Gelegenheit verpasst, sich ernsthaft der eigenen Geschichte zu stellen. Gemeint ist damit nicht etwa eine kleinkarierte historische Aufrechnung von Hiroshima und Nagasaki mit Pearl Harbor, jenem US-Flottenstützpunkt, an dem Japan 1941 den Krieg im Pazifik begann. Gemeint ist vielmehr die oft verdruckste Art, mit der Japan selbst seine nuklearen Katastrophen verdrängt.
Zwar betont Abe häufig - und zu Recht - dass Japan als "einzige Nation" Nuklearangriffen zum Opfer gefallen sei. Doch zur Wahrheit gehört auch: Die "Hibakusha", die Atombomben-Opfer, wurden von ihren eigenen Landsleuten jahrzehntelang diskriminiert - als Aussätzige und als potenziell Erbgeschädigte, die nicht als Ehepartner infrage kamen. Oder als Mahner für den Frieden, die dem Rest der Nation oft auf die Nerven gingen.
Und so kritisieren gerade viele "Hibakusha" ihren Premier dafür, dass er die pazifistische Verfassung von 1946 ändern will, um Japan militärisch wieder aufzurüsten.
Auch deshalb sind die alljährlichen offiziellen Gedenkfeiern am 6. August in Hiroshima und am 9. August in Nagasaki zu bloßen Ritualen verkommen. Vor zwei Jahren verlas Abe in Hiroshima beispielsweise fast wortwörtlich dieselbe Rede wie im Vorjahr. Vertreter der Atombomben-Opfer horchten entsetzt auf, doch der Premier selbst merkte das womöglich erst später.
Im Vergleich dazu hat Obama mit seinem Auftritt in Hiroshima heute Maßstäbe gesetzt, die historisch sind.
