Bekenntnis zur Homo-Ehe Obamas riskantes Coming-out

Bekenntnis zur Homo-Ehe: Obamas riskantes Coming-out
Foto: Pete Souza/ APDies sind gute Zeiten für "Good Morning America". Zum ersten Mal seit 16 Jahren hat die zweitälteste US-Frühstücksshow, die seit 1975 vom TV-Network ABC ausgestrahlt wird, den NBC-Dauerrivalen "Today Show" im Quotenkrieg abgehängt. Millionen Amerikaner beginnen ihren Tag mit dem typischen "GMA"-Mix: Politik, Entertainment, Kochkurs, Musik.
An diesem Donnerstagmorgen jedoch dürften die Einschaltquoten erst recht durch die Decke gehen. Denn "GMA"-Anchorfrau Robin Roberts hat das Exklusivinterview des Jahres gelandet - mit US-Präsident Barack Obama. Der sagte ihr, was vor ihm noch kein US-Präsident je gesagt hatte: Er sprach sich - auch für ihn zum ersten Mal - für die gleichgeschlechtliche Ehe aus.
In dem Gespräch, das am Morgen ausgestrahlt wird, doch schon in Teilen vorab lanciert wurde, berichtete Obama von Schwulen und Lesben in seinem Freundeskreis, von schwulen Mitgliedern seines Stabs, "die gemeinsam Kinder großziehen", von schwulen Soldaten, "die in meinem Namen kämpfen". Und dann, am Ende eines typischen Bandwurmsatzes, sprach er die historischen Worte: "Für mich persönlich ist es wichtig, voranzugehen und zu bekräftigen, dass gleichgeschlechtliche Paare heiraten können sollten."

Obama zur Homo-Ehe: Historisches Bekenntnis im Frühstücks-TV
Was in Europa nur Schulterzucken verursacht, ist in Amerika ein politisches "Erdbeben, das die Landschaft umkrempelt", so Howard Kurtz, der Washingtoner Bürochef von "Newsweek". Denn die Ehe von Schwulen oder Lesben gilt hier als eines der kontroversesten Streitthemen, oft verglichen mit dem historischen Kampf gegen Segregation.
Noch vor kurzem wäre Obamas Bekenntnis politischer Selbstmord gewesen - auch wenn es nur Symbolwert hat und keine Gesetze ändern kann. Trotzdem wittert auch Obama den Wind des Wandels. Nach langem Taktieren hat er sich nunmehr mit einem Schlag zurück an die Spitze der US-Bürgerrechtsbewegung gesetzt - und die in sozialen Fragen oft schwerfälligen USA ins 21. Jahrhundert katapultiert.
Zugleich ist es aber auch ein enormes Risiko, dieser Sieg der Courage übers Kalkül. Über Nacht hat Obama das Reizthema Homo-Ehe zum Top-Wahlkampfthema erhoben. Sein Rennen gegen den Republikaner Mitt Romney ist ab sofort auch ein landesweiter Kulturkrieg.
Denn Obamas Coming-out dürfte nicht nur seine Basis mobilisieren - sondern auch die christlich-konservative Basis der Republikaner, die nun erst recht Grund sehen, ihn zu hassen.
"Geh mit anderen so um, wie du möchtest, dass sie mit dir umgehen"
Ein gewagtes Manöver in einer Nation, die in dieser Frage gespalten bleibt - entlang altbekannter Fronten: Nordstaaten (pro) gegen Südstaaten (contra), Junge (pro) gegen Alte (contra), Linke (pro) gegen Rechte (contra). Doch vor den gleichen Fronten sah sich schon Bürgerrechtsheld Martin Luther King. Und wie King, der Gewissen über "Bequemlichkeit" setzte, hat auch Obama den unbequemen Weg gewählt, wiewohl nach langem Zögern. Er mag sich damit die Wiederwahl verspielt haben - den Platz im Geschichtsbuch hat er aber sicher.
Obamas "Evolution", wie es das Weiße Haus formulierte, kam aber nicht unbedingt freiwillig, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt. Ja, heißt es, er habe sich vor dem Wahlparteitag der Demokraten im September erklären wollen. Doch das exakte Timing wurde ihm offenbar aufgezwungen - von seinem Vize Joe Biden.
Der hatte sich am Sonntag im NBC-Interview unerwartet zur Homo-Ehe bekannt: Er fühle sich "absolut wohl" dabei. Am Ende gehe es doch nur um die eine Frage: "Wen liebst du?" Tags darauf legte Bildungsminister Arne Duncan im gleichen Sinne nach. Obama stand unter Zugzwang.
Als Präsidentschaftskandidat 2008 war er noch gegen die Ehe von Schwulen oder Lesben. Seine Meinung habe er nun aber "über mehrere Jahre hinweg" angepasst: "Geh mit anderen so um, wie du möchtest, dass sie mit dir umgehen", sagte er und verwies im selben Satz auf "Christus, der sich für uns opferte" - ein sanfter Wink in Richtung all jener Amerikaner, die die gleichgeschlechtliche Ehe unter Berufung auf die Bibel strikt ablehnen.
Das ist auch ein politischer Schachzug. Lange schreckte Obama vor einem solchen Statement zurück, um die Wähler in den entscheidenden "swing states" nicht zu vergrätzen. Jetzt heißt es im Weißen Haus, das Risiko lohne sich: Er gewinne hiermit mehr Stimmen, als er verliere.
Zentrales Thema bei der Präsidentschaftswahl
Nicht nur First Lady Michelle Obama stehe dabei an seiner Seite, sagte der Präsident. Sondern auch seine Töchter Malia, 13, und Sasha, 11 - ein klarer Fingerzeig auf den demografischen Wandel: Jüngere Amerikaner haben kaum mehr Probleme mit dem Thema.
Das sieht die konservative Lobby natürlich anders. "Obama erklärt der Ehe den Krieg", kreischte Fox News sofort. Auch die üblichen Anti-Gay-Gruppen erhoben lautes Protestgeschrei. Allen voran der verlässlich moralinsaure Family Research Council, dessen Präsident Tony Perkins daran erinnerte, dass die Homo-Ehe in zehn der 16 "swing states" verboten sei: "Die heutige Erklärung stellt sicher, dass die Ehe wieder ein zentrales Thema bei der Präsidentschaftswahl sein wird."
Das zeigte sich diese Woche auch in North Carolina, das Obama 2008 mit gerade mal 14.177 Stimmen Vorsprung gewann: Der Südstaat erklärte die Homo-Ehe als nunmehr 31. US-Bundesstaat per Volksabstimmung für verfassungswidrig - mit schallender Mehrheit von 61 zu 39 Prozent. Das lässt sich auch mit dem mauen Engagement von Gay-Gruppen gegen den Verfassungszusatz nicht schönreden.
Obamas "Evolution" mal dahingestellt: Die Diskriminierung, ja sogar Kriminalisierung von Homosexuellen hält in den USA unvermindert an. Konservative Politiker geben sich hier offen schwulenfeindlicher denn je, in der Provinz wie in Washington. Derweil gilt der einst als Hardliner gefürchtete Ex-Vizepräsident Dick Cheney in seiner immer mehr nach rechtsaußen rückenden Partei als Ausnahme: Er kämpft für die gleichgeschlechtliche Ehe - nicht nur dank seiner lesbischen Tochter Mary.
"Dankeschön, Präsident Barack Obama, ich bin überwältigt"
Wie das alles ausgeht, ist ungewiss. Die Umfragen sind im Flux, doch der Trend ist klar - und die Republikaner stehen dem entgegen. 1997 gab es noch einen Riesenskandal, als Entertainerin Ellen DeGeneres sich als Lesbe outete. Heute wimmelt es in der TV-Primetime von schwul-lesbischen Rollen, und Gay-freundliche Serien wie "Modern Family" und "Glee" räumen Fernsehpreise wie Quoten ab.
Kein Wunder, dass Obamas Rivale Romney sich am Mittwoch auffällig bedeckt hielt. Zwar lehne er "Ehen zwischen Leuten des gleichen Geschlechts" kategorisch ab, stammelte er schon vor Obamas Auftritt und bekräftigte das danach noch einmal. Doch sei dies "ein sehr empfindliches und sensibles Thema", über das allein die Bundesstaaten zu entscheiden hätten.
In New York, wo die Schwulen- und Lesbenbewegung einst begann und die Homo-Ehe seit vorigem Jahr staatenweit legal ist, ist diese Entscheidung längst klar. "Ein enormer Wendepunkt in der Geschichte der amerikanischen Bürgerrechte", jubelte New Yorks parteiunabhängiger Bürgermeister Mike Bloomberg, um dessen politischen Segen Obama wie Romney buhlen.
Andere Reaktionen waren emotionaler: "Dankeschön, Präsident Barack Obama, für Ihre wunderschönen und mutigen Worte, ich bin überwältigt", twitterte DeGeneres, die heute die populärste Talkshow der USA moderiert. Und "Glee"-Star Jane Lynch, die mit der Psychologin Lara Embry verheiratet ist, sekundierte: "Verdammt happy heute."
Es waren diese Stimmen, auf die Obama hörte.