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EU-Kommissionspräsident Barroso: Wiederwahl trotz magerer Bilanz

Foto: FREDERICK FLORIN/ AFP

Barrosos Wiederwahl Senhor Mutlos ist am Ziel

EU-Kommissionspräsident Barroso ist am Ziel, das Europaparlament hat dem Portugiesen eine zweite Amtszeit gewährt. Doch nun bekommt die Brüsseler Behörde einen schwachen Chef. Barroso ist zur tragikomischen Figur geschrumpft. Wenige schätzen, viele kritisieren ihn - und selbst Verbündete spotten.

Er strahlt, er schüttelt Hände, er hat gewonnen. 382 Abgeordnete des Europäischen Parlaments haben José Manuel Barroso endlich geschenkt, um was er schon so lange bettelt: eine zweite, fünfjährige Amtszeit an der Spitze der mächtigen EU-Kommission in Brüssel. Doch unter dem Dauerlächeln schimmern selbst im Moment des Sieges Frust und Empörung durch.

Nicht die 219 Gegenstimmen und 117 Enthaltungen sind für den Grauschleier verantwortlich. Es sind vielmehr Spuren der Kränkungen und Verletzungen, die er in den vergangenen Monaten einstecken musste - von politischen Gegnern und aus dem eigenen Lager. Denn eigentlich halten ihn die meisten der an der Wahl Beteiligten für eine Fehlbesetzung. Vielen gilt er als Senhor Mutlos.

"Weder programmatisch noch politisch" sei der Portugiese überzeugend, hatte etwa Martin Schulz, Chef der Sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament, beharrlich gegen Barroso gewettert. Er sei einfach "nicht geeignet, nicht wählbar". Einen Mangel an "Mut und Visionen" stellte der langjährige Vormann der Liberalen, Graham Watson, fest. "Ein Chamäleon", befand Grünen-Wortführer Daniel Cohn-Bendit, "Barroso passt sich jedem an".

Tatsächlich hat der Ober-Europäer in der Vergangenheit seine Wendigkeit unter Beweis gestellt. Als Student war er Maoist, jetzt sieht er sich als "Reformist der Mitte". Karriere machte er in der Sozialdemokratischen Partei Portugals, die sich zwar sozial nennt, aber eher liberalkonservativ ist und deshalb zur christdemokratischen Parteienfamilie "Europäische Volkspartei" (EVP) gehört. Dort sind auch Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel verortet. Merkel und ihre Freunde haben Barroso vor fünf Jahren gegen den belgischen Regierungschef Guy Verhofstadt, den Kandidaten des damals noch in Berlin regierenden Sozialdemokraten Gerhard Schröder, an die Spitze der Brüsseler Kommission gehievt.

Merkel gehörte auch jetzt, als es um Barrosos zweite Amtszeit ging, neben Sarkozy zu seinen stärksten Stützen. Das hinderte beide allerdings nicht daran, ihn zunächst so zurechtzustutzen, dass nur ein ganz kleines Format übrig blieb.

Ach, ist der Mann lästig, signalisiert Merkel

Wie ein Oberlehrer dem versetzungsgefährdeten Schüler trug Sarkozy Barroso zum Beispiel öffentlich auf, in den Sommerferien ein neues "ambitionierteres" Arbeitsprogramm zu schreiben, wenn er den Job behalten wolle. Brav schrieb der Schuljunge "Ambitionen für die nächsten fünf Jahre" auf. Ein Werk voller Gemeinplätze und Plattitüden - aber daran nahm Sarkozy keinen Anstoß. Auf den Inhalt kam es ihm sowieso nicht an, nur auf die Demonstration von Macht und Unterwerfung.

So plump macht es Angela Merkel nicht. Sie zeigt mit feiner Ironie, wie sie den Kommissionspräsidenten im Griff hat. Beispielhaft ist eine Szene im Kanzleramt, am Ende einer Sitzung. "Barroso hat angerufen, bittet um Rückruf", trägt eine Mitarbeiterin Merkel vor, als die den Saal verlässt. "Sag ihm, er soll nicht ständig anrufen", gibt Frau Kanzler zurück und macht ein Gesicht, das den Umstehenden signalisiert: Ach, ist der Mann lästig.

Tatsächlich nervte Barroso im Kampf um seinen Arbeitsplatz Freund und Feind so nachdrücklich, dass Barroso-Witze in politischen Kreisen zum festen Repertoire wurden. Da fragte ein deutscher Abgeordneter die schwedische Europaministerin Cecilia Malmström beim Plausch mit Kollegen am Rande eines Meetings ebenso scherzhaft wie laut: "Na, hat Barroso auch Sie heute schon zweimal angerufen?" Die Schwedin schüttelte den Kopf und lachte: " Nein, dreimal!"

Lachnummer der mächtigen Regierungschefs

Warum aber haben sie ihn gewählt, wenn sie ihn für eine Lachnummer halten? "Sein Wahlkampf", sagt ein deutscher Diplomat, "war dem Amt nicht angemessen." Wohl wahr: Tingeln musste Barroso im Parlament. Er versprach den Liberalen einen EU-Kommissar für Grundrechte, den Grünen einen Klimaschutz-Kommissar und den Sozialdemokraten mehr Soziales. Das Gehabe, so der Diplomat, habe Barrosos Position dauerhaft beschädigt. Aber die Regierungen vieler EU-Staaten seien "ja gar nicht traurig über einen schwachen Kommissionspräsidenten".

Ganz im Gegenteil. Vor allem "die großen Drei", die Regierungen in Paris, London und Berlin, wollen einen blassen, ungefährlichen EU-Vormann in Brüssel, der ihnen nicht in der Sonne steht. "Das Direktorium", wie es in Brüssel schon bei etlichen heißt, ziehe seit längerem die Gestaltungsmacht an sich. Bei Bedarf holen sie das Okay aus Rom, Madrid und Warschau ein - und schon läuft die Sache.

Meistens jedenfalls. Und das Parlament, das noch dem netten Irrglauben erliegt, gerade einem Zuwachs der eigenen Macht beizuwohnen, merkt nicht, dass es genauso untergebuttert wird wie Barroso und die Kommission. Auch dort sieht eine Mehrheit im Portugiesen eine Fehlbesetzung. Bis tief in die konservativen Reihen geht die Antipathie. Aber, so ein altgedienter CDU-Parlamentarier, "eine institutionelle Krise" - sprich: Zoff mit den Regierungen - wollte keiner riskieren.

Ein Gegenkandidat wurde gar nicht erst präsentiert

So hat das Parlament das Votum der Regenten abgenickt, wenn auch erst im zweiten Versuch. Mitte Juli, als die Barroso-Kür schon einmal auf der Agenda stand, hatte sich eine Mehrheit noch verweigert, die Wahl wurde verschoben. Doch seither sind Rechte wie Linke von ihren Bossen in der Heimat hart bedrängt worden, sich Barroso nicht länger zu widersetzen. Und über einen gemeinsamen Gegenkandidaten konnte sich die Opposition ohnehin nicht verständigen.

Verständigt haben sich dagegen die Regierungen der EU-Großmächte. Neben Barroso als Chef der Kommission soll ein weiterer Konservativer der erste ständige Präsident des Europäischen Rats werden. Dafür dürfte ein Sozi den Stuhl des ersten EU-Außenministers besetzen. Beide Jobs gibt es allerdings nur dann, wenn die Iren den "Vertrag von Lissabon" am 2. Oktober nicht zum zweiten Mal per Referendum verwerfen. Aber in dem Fall weiß ohnehin niemand, wie es in und mit Europa weitergehen soll.

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