Brüder Abdeslam Durch und durch kriminell

Ein Gerichtspapier, das dem SPIEGEL exklusiv vorliegt, zeigt, dass die Brüder Abdeslam aus Molenbeek bereits seit Jahren Probleme mit dem Gesetz hatten. Die Gerichte gaben ihnen immer wieder eine "letzte Chance".
Polizeimotorrad im Viertel Molenbeek: "Fragil und leicht beeinflussbar"

Polizeimotorrad im Viertel Molenbeek: "Fragil und leicht beeinflussbar"

Foto: SPIEGEL ONLINE

Das Haus Nummer 30 an der Place Communale in Molenbeek im Westen Brüssels liegt still da in diesen Tagen. TV-Übertragungswagen stehen vor der Tür des grauen Sandsteinbaus, ab und zu huscht eine dunkel gekleidete Person hinein oder hinaus.

Die Familie Abdeslam empfängt Trauergäste, die kondolieren. Hier haben sie zwischenzeitlich gewohnt, zwei der Attentäter von Paris. Einer, Brahim, zündete vor einem Pariser Restaurant im Boulevard Voltaire in der Nähe des Bataclan seinen Sprengstoffgürtel. Der andere, Salah, wird seit den Pariser Attentaten international gesucht.

Reist man in die Vergangenheit der Familie Abdeslam, stellt man schnell fest, dass die Söhne seit Jahren kriminell belastet sind. Ein Papier, dass dem SPIEGEL exklusiv vorliegt, zeigt, dass zwei der vier Brüder Abdeslam bereits früher wegen krimineller Taten angeklagt wurden.

Die beiden Brüder, Brahim, 31, und Yazid Abdeslam, 32, wurden 2010 wegen Urkundenfälschung, Hehlerei, Einbruch mit Diebstahl angeklagt. Konkret wurde ihnen vorgeworfen, Pässe, Führerscheine und Traveller-Checks gefälscht zu haben. Die Pariser Attentäter reisten mit teilweise gefälschten Pässen nach Paris.

Die beiden Abdeslam-Brüder klauten laut dem Gerichtspapier zudem Möbelstücke und versuchten, diese illegal zu verkaufen. Die Richter kamen im Zuge der Urteilsfindung zu der Einschätzung, dass die Schwere der Tat in die "Rechte anderer eingreift und die öffentliche Ordnung stört." Und weiter: "Die Taten verstärken das Unsicherheitsgefühl, das schon weit in der Bevölkerung verbreitet ist."

Mit Waffen gedealt

Die Abdeslam-Brüder gestanden einen Großteil der Taten, ihre Anwälte plädierten aber darauf, die Strafe unter mildernde Umstände zu stellen. Die Straftaten, die ihnen vorgeworfen werden, hätten "eine Verjährung erreicht", sie stammten aus dem Jahr 2003. Die Brüder haben seitdem den Anschein erweckt, sich in die Gesellschaft integrieren zu wollen: "Brahim hat in einem Imbiss gejobbt", sagt sein damaliger Anwalt Olivier Martins am Dienstag in Brüssel. "Er hatte eine Freundin." Yazid habe in der Zwischenzeit ebenfalls eine Arbeit gefunden und sogar eine Familie gegründet. Das Gericht ließ Milde walten und verurteilte die beiden zu drei Jahren auf Bewährung.

In einem weiteren Verfahren aus dem Jahr 2005 wird Brahim Abdeslam vorgeworfen, Geld gestohlen und eine Firma damit geprellt zu haben. Zudem sei er in kleinere Waffengeschäfte verwickelt gewesen. Die Richter kamen zu dem Urteil, dass Brahim mit "vollem Bewusstsein" die Taten ausgeführt und damit "massiv die Sicherheit und den öffentlichen Frieden bedroht" habe. Das Urteil liest sich wie eine böse Vorausschau auf das Gefühl, das seit dem Pariser Terror über Europa schwebt.

Sozialstrafe - 35 Arbeitsstunden

Doch auch damals plädierte Brahims Anwalt für eine "letzte Chance". Die Richter kommen zu dem Urteil, dass man die "soziale Situation" von Brahim nicht verschlechtern und dadurch seinen "sozialen Abstieg" nicht auch noch befördern sollte. Er erhält eine Sozialstrafe: 35 Arbeitsstunden unter der Androhung einer 20-monatigen Haftstrafe, sollte er die Arbeit nicht ableisten. Zudem musste er eine Geldstrafe von 55 Euro an einen Spezialfonds für "Opfer von mutwilliger Gewalt" zahlen.

Brahims Anwalt, Olivier Martins, hat seinen Mandanten im Rahmen eines Falles in den Jahren 2003 und 2010 verteidigt. "Er war ein höflicher Mensch, kein streng praktizierender Muslim." Niemand in der Familie sei verschleiert gewesen. In der Kneipe, die Brahim bis vor wenigen Wochen in Molenbeek führte, sei auch Alkohol serviert worden.

Er habe seine Persönlichkeit jedoch als "fragil und leicht beeinflussbar" wahrgenommen. Dennoch plädierte er dafür, ihn weiter in die Gesellschaft zu integrieren, ihn nicht aus dem sozialen Leben herauszulösen. "Ich hatte den Eindruck, er sei auf einem guten Weg."

Eine fatale Fehleinschätzung.

Der aktuelle Ermittlungsstand zu den Täter und Anschlägen von Paris
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