Netanyahu und das Jordantal "Ein Zeichen von Schwäche"

Kurz vor der Knesset-Wahl hat Benjamin Netanyahu angekündigt, das Jordantal zu annektieren. Reines Wahlkampfgetöse, meint Israel-Expertin Gayil Talshir: Für den Wahlsieg sei dem Premier jedes Mittel recht.
Israels Premier Netanyahu am Dienstag in einer Pressekonferenz: "Zeichen von Verzweiflung"

Israels Premier Netanyahu am Dienstag in einer Pressekonferenz: "Zeichen von Verzweiflung"

Foto: Oded Balilty/AP/dpa

SPIEGEL: Frau Talshir, Benjamin Netanyahu hat gesagt, er wolle nach seinem Wahlsieg das Jordantal annektieren. Die empörten Kommentare aus dem Ausland reichten von "Völkerrechtsbruch" bis "Kriegsverbrechen". Ist seine Ankündigung ernst zu nehmen?

Talshir: Eigentlich wollte Netanyahu ankündigen, das Jordantal und die besetzten Gebiete jetzt sofort zu annektieren. Es sieht aber so aus, als hätte die Trump-Regierung ihm das nicht erlaubt. So ist seine Aussage tatsächlich eine bloße Ankündigung. Sie ist nichts anderes als ein Zeichen von Schwäche. Ein Zeichen von Verzweiflung vor den Wahlen nächste Woche, denn die Opposition liegt in den Umfragen vorn.

Zur Person
Foto: The Hebrew University of Jerusalem

Gayil Talshir ist Politikwissenschaftlerin an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie forscht vor allem zu den Themen israelische Politik und politische Ideologie.

SPIEGEL: Wird Netanyahu und seiner Likud-Partei die Jordantal-Ankündigung bei den Knesset-Wahlen am 17. September dennoch nützen?

Talshir: Ich glaube nicht, dass es ihm wirklich einen Vorteil bringt. Die anderen großen Parteien, darunter die Blau-Weiß-Partei von Benny Gantz, stimmen mit ihm darüber ein, dass das Jordantal zu Israel gehört. Außerdem: Netanyahus Gerede von einer Annexion ist bisher eben nur das: Gerede. Vor der Wahl im April hatte er ähnliche Aussagen gemacht. Das enttäuscht auch seine Wähler.

SPIEGEL: Welche Rolle spielt die Trump-Regierung für Netanyahu bei diesen Wahlen?

Talshir: Netanyahu will seine vermeintlich gute Beziehung mit Trump nach außen aufrechterhalten. Dieses Verhältnis ist eine seiner größten Stärken bei dieser Wahl. Aber in Wahrheit beginnt es zu bröckeln: Mit seinem Gesprächsangebot an Irans Präsident Rohani hat der US-Präsident Netanyahu einen Schlag verpasst. Auch die Entlassung von Trumps ultrakonservativem Sicherheitsberater John Bolton ist eine Niederlage für Netanyahu.

SPIEGEL: Welchen Einfluss auf den Wahlkampf hat der US-Friedensplan für den Nahen Osten?

Talshir: Der Trump-Friedensplan für den Nahen Osten soll erst nach den vorgezogenen Wahlen am 17.September komplett vorgestellt werden, vorher sollen Grundzüge bekannt gegeben werden. Trump hat Netanyahu vermutlich nicht erlaubt, eine Annexion jetzt durchzuführen, weil es ein Risiko für seinen Friedensplan darstellen könnte: Die Palästinenser würden dann nicht mehr zuhören. Gleichzeitig benutzen die rechten Parteien den Friedensplan gegen Netanyahu: Jedes Zugeständnis, dass Trump darin den Palästinensern macht, hängen sie dem Premier wegen seiner guten Beziehung zum US-Präsidenten an.

SPIEGEL: Wird Trump die Annexion letztlich dennoch unterstützen?

Talshir: Ich hoffe nicht. Doch die Argumentation der Trump-Regierung hat sich im Vergleich zu früheren Regierungen verändert. Trump sagt, der Sechstagekrieg von 1967 war ein gerechter Krieg, also ein Verteidigungskrieg. Demnach sei eine Besetzung gerechtfertigt und folglich auch eine Annexion. Nach dem Völkerrecht ist das illegal. Aber wenn Netanyahu wirklich annektieren will, hätte er es in den 13 Jahren, in denen er an der Macht war, getan. Hat er aber nicht. Das Jordantal liegt im Osten des Landes. Was würde mit den Millionen Palästinensern geschehen, die dann im Westjordanland zwischen den Teilen Israels sitzen? Sie würden vermutlich ihre Rechte als Staatsbürger verlieren. Auch wegen der Wahrnehmung in der internationalen Gemeinschaft schreckt Netanyahu davor zurück.

SPIEGEL: Kann Trumps Friedensplan die Situation im Nahen Osten entschärfen?

Das Jordantal: "Was würde mit den Millionen Palästinensern geschehen?"

Das Jordantal: "Was würde mit den Millionen Palästinensern geschehen?"

Foto: Alaa Badarneh/ DPA

Talshir: Ich bin davon überzeugt, dass der Trump-Plan ausschließlich wirtschaftliche Maßnahmen enthält. Handel zwischen Israel und Palästina gehört sicher dazu, genau wie mit anderen gemäßigten arabischen Staaten, etwa Ägypten und Jordanien. Handel kann zwar zum Frieden beitragen, aber das reicht hier nicht aus. Eine diplomatische Lösung oder ein Beitrag zu einer Zweistaatenlösung ist sicher nicht darin vorgesehen.

SPIEGEL: Welche Chancen hat Netanyahu, die Wahl doch noch zu gewinnen?

Talshir: Das Ergebnis wird wohl ähnlich ausfallen wie bei den Wahlen im April. Dann gibt es eine Pattsituation. Die Frage ist, wie diesmal damit umgegangen wird. Wenn Avigdor Lieberman von der ultrarechten Partei "Unser Haus Israel" dabei bleibt, keine Koalition mit Likud einzugehen, wird es für Netanyahu eng. So wie es jetzt aussieht, wird er versuchen, Benny Gantz von einer Allparteienregierung zu überzeugen. Nach dem Motto: Mit Trump auf unserer Seite können wir jetzt stark sein. Gantz will aber nur koalieren, wenn Netanyahu zurücktritt. Für den Premier ist diese Wahl ein Kampf ums politische Überleben.

SPIEGEL: Greift Netanyahu deshalb zu drastischen Mitteln wie Überwachungskameras in Wahllokalen?

Talshir: Das ist eine Strategie, um arabische Wähler abzuschrecken: Nicht jeder will von Israels Behörden dokumentiert werden. Viele von ihnen werden deshalb zu Hause bleiben. Schon bei der Wahl im April hat es eine sehr geringe Beteiligung unter arabischstämmigen Israelis gegeben. Netanyahu ist jetzt jedes Mittel recht. Bei dieser Wahl kämpft er auch darum, nicht ins Gefängnis wandern zu müssen.

SPIEGEL: Wegen der Korruptionsvorwürfe…?

Talshir: Es ist ziemlich sicher, dass Netanyahu angeklagt wird. Gewinnt er aber die Wahl, hofft er, ein Gesetz durchzubringen, demzufolge der Oberste Gerichtshof vom Parlament überstimmt werden kann. So könnte er trotz einer Anklage regieren. Er will die Spielregeln ändern. Das ist eine immense Gefahr für die Demokratie.

Anmerkung: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, das Jordantal liege im Westen Israels. Tatsächlich liegt es im Osten des Landes. Wir haben die Stelle korrigiert.

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