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Politkrimi in Israel: Mein lieber Mann, das wird knapp

Foto: Amir Cohen/REUTERS

Regierungskrise in Israel Netanyahu läuft die Zeit davon

In Israel bleibt Benjamin Netanyahu nur noch ein Tag, um eine Regierungskoalition zu schmieden. Grund ist ein erbitterter Machtkampf - zwischen dem Premier und einem einstigen Verbündeten.

Weißes Hemd, blaue Krawatte, sonore Stimme - auf den ersten Blick wirkte Benjamin Netanyahu am Montagabend wie immer, als er zur besten Sendezeit eine TV-Ansprache an die Nation hielt. Aber: Israels Premier hat ein Problem. Er hat weniger als 48 Stunden Zeit, um noch eine mehrheitsfähige Regierung bilden zu können. "Meine Herren, meine Damen, 48 Stunden sind viel Zeit", sagte er und versuchte sich am gütigen Lächeln eines Landesvaters.

"In 48 Stunden kann man viel erreichen", betonte Netanyahu noch einmal das knappe Zeitfenster. Als wolle er betonen, dass er "King Bibi" ist, der ungekrönte König der israelischen Demokratie. Und dem ist noch immer ein Weg eingefallen, um an der Macht zu bleiben.

Doch spätestens seit Montag ist klar, dass Netanyahu sich in eine Sackgasse manövriert hat.

Dabei scheint auf dem Papier alles so eindeutig: Das rechte Lager hat bei der Knessetwahl am 9. April 65 der 120 Sitze gewonnen - eigentlich genug, um Netanyahu eine weitere Amtszeit zu sichern. Doch innerhalb des Lagers ist ein alter Streit zwischen den nationalistisch-religiösen Kräften auf der einen und nationalistisch-säkularen Kräften auf der anderen Seite entflammt.

Streit um die Wehrpflicht für Ultraorthodoxe

Im Mittelpunkt des Konflikts stehen die Privilegien der ultraorthodoxen Juden. Avigdor Lieberman, Chef der rechten säkularen Partei "Unser Haus Israel" will durchsetzen, dass künftig alle jungen jüdischen Männer in Israel Wehrdienst leisten müssen, also auch die Ultraorthodoxen. Ein entsprechendes Gesetz hatte die Knesset schon vor Jahren gegen die Stimmen der Ultraorthodoxen verabschiedet, dabei aber so viele Ausnahmeregelungen zugelassen, dass sich de facto doch jeder ultraorthodoxe Jude dem Militärdienst straffrei entziehen kann.

Demo von Ultraorthodoxen gegen die Wehrpflicht (2017): Der Streit schwelt seit Jahren

Demo von Ultraorthodoxen gegen die Wehrpflicht (2017): Der Streit schwelt seit Jahren

Foto: SULTAN/ EPA-EFE/ REX/ Shutterstock

Lieberman beharrt darauf, eine verschärfte Fassung des Wehrpflichtgesetzes durchzusetzen, die diese Schlupflöcher schließen soll. Die ultraorthodoxen Parteien Schas und Vereinigtes Thora-Judentum (UTJ), die zusammen 16 Parlamentssitze gewonnen haben, weigern sich jedoch kategorisch.

Am Montag verkündete Lieberman, seine Partei werde keiner "Halacha-Regierung" mit den ultraorthodoxen Parteien beitreten. Halacha ist der hebräische Terminus für das jüdische Recht. Doch ohne die fünf Abgeordneten der Lieberman-Partei kommen Netanyahu und seine anderen Koalitionspartner nur auf 60 Stimmen in der Knesset - eine zu wenig.

Netanyahu jedenfalls tut alles, um eine Koalition zustande zu bringen. Seine politischen Gegner sprechen gar davon, er versuche, sich eine Regierung zu erkaufen. Eigentlich dürften die Regierungen in Jerusalem seit einigen Jahren nur noch 21 Minister umfassen. Der Premier will aber das Kabinett auf 30 Ministerposten aufblähen und seine Likud-Partei eine entsprechende Gesetzesveränderung in der Knesset durchbringen.

Das Kalkül dahinter, so sieht es jedenfalls die Opposition: Netanyahu erkauft sich die Stimmen der ultraorthodoxen Parteien, diese können mit den Budgets der Ministerien ihre Wähler beschenken - und der Premier erhält im Gegenzug die Stimmen von Schas und UTJ bei seinem politischen Überlebenskampf. Genauer: bei der Umsetzung einer Justizreform.

Netanyahus Kampf gegen die Justiz

Netanyahu plant nämlich offenbar, einen Gesetzentwurf einzubringen, der dem Obersten Gericht die Macht nehmen soll, Beschlüsse der Knesset zu annullieren. Bekäme dieser Gesetzesvorschlag eine Mehrheit, könnte sich Netanyahu dem Zugriff der Justiz entziehen. Die Knesset würde zuerst beschließen, dass die Richter Entscheidungen des Parlaments nicht mehr aufheben dürfen. In einem zweiten Schritt würde die Knesset ein Gesetz verabschieden, das Netanyahu Immunität zusichert.

Gegen den Premier wird derzeit in drei Fällen wegen Bestechlichkeit, Betrugs und Vertrauensmissbrauchs ermittelt. Er soll über Jahre hinweg teure Geschenke von reichen Gönnern aus dem Ausland angenommen haben. Zudem wird ihm der Versuch vorgeworfen, die Berichterstattung verschiedener Medien zu beeinflussen. Er soll einer deutschen U-Boot-Lieferung an Ägypten zugestimmt haben, ohne das Verteidigungsministerium zu informieren. Netanyahu droht eine Anklage noch in diesem Jahr - dieser will er sich durch die angestrebte Justizreform entziehen.

Die Opposition vergleicht sein Gebaren mit dem Vorgehen des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan. Der Premier wolle seine eigene Rolle im politischen System Israels stärken, Macht zentralisieren und die Justiz systematisch schwächen.

Linke Israelis müssen nun ausgerechnet auf Lieberman setzen

Am Wochenende rief das Mitte-Rechts-Bündnis "Blau und Weiß" von Ex-Generalstabschef Benny Gantz und Yair Lapid gemeinsam mit anderen Gruppen zu einer Großdemonstration in Tel Aviv auf. Tausende Menschen kamen - viele davon mit einem Osmanenfes auf dem Kopf und Plakaten in der Hand, auf denen stand: "Erdogan ist schon hier". Ähnlich äußerte sich auch Gantz selbst: "Wir werden nicht zulassen, dass Sie das demokratische Israel in den privaten Hofstaat einer Königsfamilie oder ein Sultanat verwandeln", sagte der Mann, der Netanyahu bei der Knessetwahl vor sieben Wochen unterlegen war.

Protest in Tel Aviv: Die Opposition vergleicht Netanyahu mit Erdogan

Protest in Tel Aviv: Die Opposition vergleicht Netanyahu mit Erdogan

Foto: Amir Levy/ Getty Images

Es ist nicht ohne Ironie, wenn linke Israelis nun darauf setzen müssen, dass ausgerechnet Lieberman Netanyahus Pläne durchkreuzt. Lieberman war selbst mehrfach wegen Korruptionsfällen angeklagt und verlor deshalb 2012 sein Amt als Außenminister. Zudem ist er wegen seiner antiarabischen Äußerungen und seiner Ansichten zur Meinungsfreiheit, die an das Demokratieverständnis osteuropäischer Autokraten erinnern, für viele eine Hassfigur.

Aber er ist eben auch ein Politprofi, kennt das Geschäft mit der Macht seit Jahrzehnten. Der in Moldawien geborene Rechtsaußen hat eine steile Karriere hinter sich - vom Saalordner in der Likud-Partei zum Außen- und dann Verteidigungsminister des jüdischen Staates. Der verheiratete Vater von drei Kindern weiß, wie Netanyahu tickt. Zu Beginn seiner steilen Karriere war er dessen Büroleiter.

Lieberman und Netanyahu (2012): Sie kennen sich seit drei Jahrzehnten

Lieberman und Netanyahu (2012): Sie kennen sich seit drei Jahrzehnten

Foto: AP Photo/Bernat Armangue, File

Offenbar bereitet sich Lieberman mit seiner Absetzbewegung schon auf die Zeit nach Netanyahu vor. Er scheint davon auszugehen, dass die Ermittlungen von Generalstaatsanwalt Avichai Mandelbilt den Regierungschef früher oder später zu Fall bringen werden. Dann will Lieberman seinen einstigen Mentor als Führungsfigur des rechten Lagers beerben. Er hat sich dafür das geeignete Thema ausgesucht: Der Ärger über die Privilegien der Ultraorthodoxen ist unter den linken wie rechten säkularen Israelis groß.

Gelingt es Netanyahu bis Mittwochabend um 23.59 Uhr nicht, einen Kompromiss mit Lieberman und den ultraorthodoxen Parteien zu schließen, käme Staatspräsident Reuven Rivlin eine Schlüsselrolle zu. Er kann Netanyahu entweder zwei weitere Wochen Zeit für die Koalitionsbildung gewähren. Oder er kann einen anderen Politiker seiner Wahl mit der Regierungsbildung beauftragen. Oppositionschef Gantz hat bereits gefordert, dass der Auftrag nun an ihn übergeben werden müsse.

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