Berg-Karabach "Autonomie bedeutet Krieg"
SPIEGEL ONLINE: Die Parlamentarische Versammlung des Europarates nennt Berg-Karabach ein Gebiet, das von "separatistischen Kräften" kontrolliert werde. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat dreimal Erklärungen beschlossen, nach denen wir uns bei Ihnen auf dem Territorium Aserbaidschans befinden. Dennoch stehen hier Ihre Truppen. Was gibt Ihnen die Zuversicht, dass Ihre von niemandem anerkannte Republik eine Zukunft hat?
Gukassjan: Es ist schwer, geschaffene Standards zu überwinden. Aber diese Standards berücksichtigen nicht die Realität. Die Republik Berg-Karabach kämpft für ihre Unabhängigkeit. Aserbaidschan hat den Krieg angefangen. Alles andere, auch die Probleme der Flüchtlinge, ergibt sich daraus. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht in Aserbaidschan leben können. Wir hoffen, dass die Weltgemeinschaft eines Tages diese Realität sieht.
SPIEGEL ONLINE: Aserbaidschan schlägt Berg-Karabach ein "hohes Niveau von Autonomie" vor. Warum wollen Sie darüber nicht einmal verhandeln?
Gukassjan: Wir wissen, dass Aserbaidschan gar nicht in der Lage ist, Autonomie zu realisieren. Und wir haben nicht vergessen, dass Aserbaidschan, als es seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärt hat, sogleich die zur Sowjetzeit bestehende Autonomie beseitigt hat. Schon in der Sowjetunion haben die Aserbaidschaner versucht, die Armenier hier zu verdrängen, wir nennen das einen weißen Genozid. In Aserbaidschan haben wir keine Zukunft. Heute haben wir eine reale Unabhängigkeit von Aserbaidschan erreicht. Jeder Versuch, uns eine sogenannte Autonomie aufzuzwingen, wäre ein Weg in einen neuen Krieg.
SPIEGEL ONLINE: Sie werden nicht bestreiten, dass Ihre Republik über das traditionelle Siedlungsgebiet der Armenier hinaus aserbaidschanisches Gebiet besetzt hält?
Gukassjan: Da gibt es nichts zu bestreiten, aber auch Aserbaidschan hält Gebiete okkupiert, die zum armenischen Siedlungsgebiet und zum Territorium des autonomen Karabach in der Sowjetunion gehörten. Darüber wird nur kaum gesprochen.
SPIEGEL ONLINE: Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew hat kürzlich gesagt, die "hohe Kampfbereitschaft" der aserbaidschanischen Armee erlaube es seinem Land, "bald" den Karabach-Konflikt zu seinen Gunsten zu entscheiden. Naht ein neuer Krieg?
Gukassjan: Ähnliches haben auch schon seine Vorgänger gesagt. Entscheidend ist der Geist der Armee und das Bewusstsein, wofür sie kämpft. Da ist unsere Armee gut aufgestellt. Mit solchen Brandreden wird versucht, die Weltöffentlichkeit zu erpressen. Aber uns kann man nicht erpressen, wir sind abwehrbereit.
SPIEGEL ONLINE: Wie würde sich Armenien im Falle eines bewaffneten Konflikts in Karabach verhalten? Ihre Armee und die armenischen Streitkräfte sind eng verbunden. Ihr bisheriger Verteidigungsminister ist gerade zum Generalstabschef Armeniens ernannt worden.
Gukassjan: Armenien wird nicht abseits stehen, ein Krieg gegen unsere Republik ist auch ein Krieg gegen die Republik Armenien. Wir sind ein Volk, eine Nation.
SPIEGEL ONLINE: Die Weltgemeinschaft ist wohl mehrheitlich geneigt, das Recht der Kosovo-Albaner auf Selbstbestimmung anzuerkennen. Hätte das Folgen auch für Ihre Republik?
Gukassjan: Ich verstehe nicht, warum man Kosovo anerkennen will, uns aber nicht. Wir haben alle notwendigen staatlichen Institutionen geschaffen und erfüllen damit alle Voraussetzungen für eine Anerkennung.
SPIEGEL ONLINE: Europäische Diplomaten befürchten eine Kettenreaktion des Separatismus, wenn man diesen Drängen statt gäbe. Sie pflegen Kontakte mit anderen nicht anerkannten Republiken, Transnistrien auf dem Gebiet Moldaus und Abchasien und Südossetien auf dem Territorium Georgiens. Wollen Sie eine separatistische Internationale schaffen?
Gukassjan: Der Begriff Separatismus ist für uns beleidigend. Es sind zwei Staaten auf dem Gebiet der früheren Sowjetrepublik Aserbaidschan entstanden: Die Republik Aserbaidschan und die Republik BergKarabach. Wir können nicht die Augen davor verschließen, dass es auch anderswo ähnliche Konflikte gibt. Aber solange wir nicht anerkannt sind und keine diplomatischen Initiativen starten können, hat es keinen Sinn, irgendwelche Bündnisse zu schließen.
SPIEGEL ONLINE: Der russische Präsident Wladimir Putin zeigt wachsende Sympathie für die nicht anerkannten Republiken. Ist Russland Ihr potentieller großer Verbündeter?
Gukassjan: Russland wie auch Amerika und Europa wollen wir als unsere Verbündeten sehen. Wir gehören zu Europa, wir wollen ein Teil Europas sein. Russland trägt historische Verantwortung für das, was in dieser Region geschieht. Und Russland spielt eine wichtige Rolle im Verhandlungsprozess, der zur Lösung unserer Probleme führen soll.
Das Interview führte Uwe Klußmann in Stepanakert