
Amnesty-Studie: Alptraum in Iraks Verliesen
Menschenrechte Amnesty-Bericht entlarvt Iraks Foltersystem
Als Sabah Hassan Hussein am 29. Februar 2012 ein Armeebüro in Bagdad betritt, will sie eigentlich nur das Auto eines Verwandten auslösen. Stattdessen wartet ein Jahr in der Hölle auf die 41-jährige Journalistin. Ihr wird ein Mordkomplott vorgeworfen, für zwei Monate verschwindet die Frau in einem Gefängnis. Dort wird sie mit brennenden Zigaretten und eiskaltem Wasser gequält, sexuell gedemütigt. Immer wieder verlangen die Verhörer ein Geständnis. Danach darf sie sich zumindest wieder bei Verwandten und ihrem Anwalt melden.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International schildert den Fall von Sabah Hassan Hussein in ihrer Studie zur Lage der Menschenrechte im Irak. Dabei kommt das Papier zu erschreckenden Ergebnissen: Auch zehn Jahre nach dem Sturz von Diktator Saddam Hussein verschwinden jährlich ungezählte Menschen in den Gefängnissen des Landes. Viele kehren nie zurück. Andere berichten von Misshandlungen in der Haft, unmenschlicher Unterbringung und erzwungenen Geständnissen.
Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungstruppen
Von einer Verbesserung der Menschenrechtslage könne keine Rede sein, so Amnesty International. Dabei hatten die USA die Untaten des Hussein-Regimes als einen der Gründe für die Invasion des Landes im Jahr 2003 vorgeschoben.
Schlimmer noch: Der Report dokumentiert auch umfangreiche Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzungstruppen. Von 110.000 Gewalttoten in der Zivilbevölkerung starben rund 15.000 durch die internationalen Truppen. Allein in den WikiLeaks-Dokumenten aus 2010 finden sich 303 Fälle von Folter durch ausländische Einheiten. Am vergangenen Mittwoch hatten britische Medien über ein Folternetz der Amerikaner berichtet. Amnesty International spricht vom "Erbe der Besatzer".
Das 97-Seiten-Papier schildert zahlreiche Fallbeispiele, die symbolisch für die verschiedenen Verstöße gelten können. Mit absoluten Zahlen geht der Bericht sparsam um - auch weil die Dunkelziffern in diesem Feld extrem hoch sind. Trotzdem umreißt das Amnesty-Dokument die wichtigsten Problemfelder.
- Gezielte Gewalt gegen Frauen: Von rund 37.000 Häftlingen im Irak waren Mitte 2012 rund 1100 weiblich. 639 von ihnen verbüßten richterlich verhängte Haftstrafen. Auch bei Frauen schrecken die Folterknechte nicht vor brutalsten Methoden zurück. Prügel, Elektroschocks und sexuelle Übergriffe bis zur Vergewaltigungen finden sich unter den Anschuldigungen im Amnesty-Bericht. Immer wieder werden zudem die Ehefrauen, Mütter und Töchter von Gesuchten in Haft genommen - ohne dass gegen sie ein Verdacht besteht. Ein solcher Fall ereignete sich Ende 2012 in Tadschi, nördlich von Bagdad. Zehn Frauen und zwei Mädchen im Alter von elf bis 60 Jahren wurden vier Tage festgehalten und misshandelt. Die Sicherheitskräfte vermuteten ihre männlichen Verwandten hinter Terroranschlägen in der Region.
- Die "Geständniskultur": Noch heute besteht diese in weiten Teilen der irakischen Gesellschaft. Dabei gilt das Geständnis als wichtigster, oft entscheidender Beweis in einem Prozess - selbst wenn es unter Folter erzwungen wurde. Auch vor Gericht bestehen die Angaben, selbst wenn sie von Angeklagten später widerrufen werden. Durch die Haltung der Gerichte fühlen sich die Verhörer in ihrem Vorgehen legitimiert, so Amnesty.
- Exekutionen: Die Todesstrafe wurde im Irak im August 2004 nach kurzer Aussetzung wieder erlaubt. Seitdem wurden mindestens 447 Menschen hingerichtet - nur wenige Länder richten mehr Menschen hin. Allein 2012 starben 129 Häftlinge durch den Henker.
- Die Scham der Opfer: Konkrete Zahlen zu den Folteropfern in irakischen Gefängnissen legt die Studie kaum vor. Die Organisation räumt ein, dass sie sich bei ihrem Bericht nur auf Schätzungen und die wenigen dokumentierten Fälle verlassen kann. Die Dunkelziffer liegt jedoch mit Sicherheit deutlich höher. Das Problem: Viele Opfer überleben die Torturen nicht. Allein zwischen 2008 und 2011 starben offiziell 237 Menschen unter ungeklärten Umständen in irakischen Zellen. Andere, die berichten könnten, fürchten eine öffentliche Anklage. Zu groß sind Scham, Angst vor Ausgrenzung und Racheaktionen des Regimes.
- Die Haltung der Regierung: Bagdad bleibt trotz der Anschuldigungen durch Amnesty bei seiner Version: Bei Folter und Misshandlung handele es sich um isolierte Zwischenfälle und Einzeltäter. Der Amnesty-Bericht beklagt diese "vorsätzliche Kurzsichtigkeit" der Behörden, die alle Anzeichen für systematische Menschenrechtsverletzungen ignorieren.
Die Journalistin Sabah Hassan Hussein wurde erst am 18. Februar 2013 aus der Haft entlassen - fast ein Jahr nach ihrer Festnahme. Trotz der Folter überstand sie die Tortur weitgehend unbeschadet. In dem Amnesty-Papier berichtet sie jedoch von einer Mitgefangenen. Auch ihr wollten die Sicherheitskräfte die Beteiligung an dem Mord anlasten. Sie haben es geschafft - die Frau wurde zum Tode verurteilt.