Berlusconi im Schlamassel Der "kleine Krieg" und andere Katastrophen

Von seiner ehrgeizigen Irak-Politik halten die Italiener nichts, Brüssel mahnt ihn wegen des Haushaltsdefizits, die Gewerkschaften rufen zum Generalstreik und an seine Steuersenkungen glaubt ohnehin keiner mehr. Silvio Berlusconi steht vor einem Berg von Problemen. Jetzt muss der Premier auch noch zurück auf die Anklagebank.
Von Dominik Baur

Hamburg - Italien steht unter Schock. Die Internetausgabe der Tageszeitung "Corriere della sera" entschied sich gestern sogar für eine "Sonderausgabe". Rief man die Seite www.corriere.it  auf, sah man lediglich das Bild von Fabrizio Quattrocchi, darüber die Zeile "Die letzten Worte von Quattrocchi: Ich zeig' euch, wie ein Italiener stirbt". Darunter ein paar Zeilen über die Todesnachricht aus dem Irak und ein Link zu einem Kommentar. Titel: "Die Tage des Blutes".

Während sich der Kommentar des "Corriere" in erster Linie mit den Mördern Quattrocchis beschäftigt, geht der Chefredakteur der "Repubblica", Ezio Mauro, in seinem Leitartikel weiter. Er richtet eindeutige Vorwürfe auch an die Regierung von Silvio Berlusconi. Es sei abzusehen gewesen, so Mauro, dass der "kleine italienische Krieg" zur Tragödie werde. "Man kann nicht am Rande eines Krieges sitzen, ohne mitten hineinzustürzen." Verantwortlich für die jetzige Situation macht der Journalist "die ideologischen Absichten unseres Regierungschefs und sein ehrgeiziges Kalkül, sich selbst in den privilegierten Partner Bushs zu verwandeln".

Besonders in die Kritik gerät nach dem Mord an der italienischen Geisel auch Berlusconis Außenminister. Als er vom Tod der italienischen Geisel im Irak unterrichtet wurde, saß Franco Frattini gerade in der beliebten Talkshow "Porta a porta". Anstatt sich angesichts der aktuellen Lage zu verabschieden, blieb der Minister zum Entsetzen vieler Italiener in der Show. Manche Familienangehörige der Geiseln erfuhren vom Tod Quattrocchis erst von Frattini via TV.

Schönheits-OP statt Truppenbesuch

Auch Premier Berlusconi verfolgte das Geiseldrama nicht vom Palazzo Chigi, seinem Amtssitz, aus. Er befand sich auf Sardinien in einer seiner Ferienvillen, wo man ihn über den Mord an dem Italiener informierte. Dabei hatte der Regierungschef bereits zuvor einen schlechten Stand, wenn es um das italienische Engagement im Irak ging: 53 Prozent der Italiener, ergab eine Umfrage in der vergangenen Woche, seien für einen Abzug ihrer Soldaten aus dem Kriegsgebiet. Nur 38 Prozent unterstützten die Militäroperation. Schließlich hatte die italienische Armee schon im November bei einem Angriff auf ihr Militärhauptquartier in Nassirija herbe Verluste hinnehmen müssen. 19 Carabinieri kamen damals ums Leben.

Eine schlechte Figur machte Berlusconi auch, indem er sich lange Zeit nicht bei der Truppe im Irak sehen ließ, nachdem selbst US-Präsident George W. Bush und der britische Premier Tony Blair ihren Soldaten dort bereits einen Besuch abgestattet hatten. Zum Jahreswechsel, so finden Berlusconis Landsleute, hätte es dem Premier gut zu Gesicht gestanden, wenn er nach Nassirija geflogen wäre. Stattdessen unterzog sich Berlusconi einer Schönheitsoperation, um auf den Plakaten für die Europawahl frischer auszusehen. Erst am Karsamstag kam der Premier schließlich zu einem Blitzbesuch.

Doch Berlusconi hat nicht nur an der Irak-Front Schwierigkeiten. Noch während die Nation um das Leben der übrigen drei Geiseln bangt, wird heute in Mailand der Korruptionsprozess gegen den Regierungschef fortgesetzt. Im Sommer hatte es Berlusconi zunächst geschafft, den Prozess mit Hilfe eines äußerst umstrittenen Immunitätsgesetzes zu kippen. Doch nachdem das Verfassungsgericht das Gesetz für ungültig erklärte, muss er nun wieder auf die Anklagebank. Die Staatsanwälte werfen Berlusconi vor, als Unternehmer in den Achtzigern bei einem Rechtsstreit im Zuge einer Übernahmeschlacht Richter bestochen zu haben.

Keine heiße Eisen vor der Wahl

Auch die Innenpolitik bereitet Berlusconi Sorgen. Brüssel mahnte Italien gerade erst wegen seines zu hohen Haushaltsdefizits. Mit den großspurig versprochenen Steuersenkungen, gab der Premier jetzt selbst zu, rechneten inzwischen nur noch 26 Prozent der Italiener. Die angekündigte Rentenreform scheint die Regierung auf die lange Bank schieben zu wollen - angesichts heftiger Proteste der Gewerkschaften. Im März hatten sie Berlusconi und sein Kabinett bereits mit einem vierstündigen Generalstreik unter Druck gesetzt. Vor den Kommunal-, Regional- und Europawahlen im Juni wollen sie das heiße Eisen offenbar nicht mehr anfassen.

Ohnehin prophezeien die Umfrageinstitute der Regierungskoalition bei den Wahlen eine klare Niederlage. Anders als Berlusconis Bündnis "Casa delle libertà" (Haus der Freiheiten) tritt das oppositionelle Olivenbaumbündnis mit einer einheitlichen Liste unter dem Namen von EU-Kommissionspräsident Romano Prodi an. Sechs bis sieben Prozentpunkte liegen die Linken derzeit vor den Regierungsparteien.

Mit der Geschlossenheit von Berlusconis Koalition ist es sowieso längst dahin. Ausgerechnet der krankheitsbedingte Ausfall eines früheren Erzfeindes kommt Berlusconi jetzt äußerst ungelegen. Mit Lega-Nord-Chef Umberto Bossi, der seinerzeit das erste Kabinett Berlusconi platzen ließ, ist nach einem Herzversagen und drei Wochen im künstlichen Koma auf längere Zeit nicht zu rechnen.

Schmach selbst auf dem Rasen

Doch jetzt dürfte der Premier seinen einstigen Widersacher vermissen. Denn die Diadochen in der Lega Nord versuchen sich nun in Stellung zu bringen - auf Kosten des Regierungschefs. Und auch Gianfranco Fini, Chef des zweiten Koalitionspartners, der postfaschistischen Alleanza Nazionale, nimmt Berlusconi immer öfter ins Visier. Gerade warf er ihm offen Unzuverlässigkeit vor und drohte mit dem Ausstieg aus dem Kabinett.

Schlechte Zeiten also für den mächtigsten Mann Italiens. Selbst beim Fußball klappt es nicht mehr so wie früher. Schmachvoll schied der Spitzenverein AC Mailand, der sich in Berlusconis Privatbesitz befindet, aus der Champions League aus.

Finanziell wenigstens muss sich Berlusconi keine Sorgen machen. Sieben Millionen Euro verdient der reichste Mann Italiens jährlich, rechnete die Nachrichtenagentur Ansa jüngst vor. Netto, versteht sich. Und noch einen Grund hat der angezählte Premier, um zu feiern: In ein paar Wochen feiert Berlusconi Jubiläum. Dann wird er länger ein und demselben Kabinett vorstehen als jeder andere Nachkriegsministerpräsident vor ihm: genau zwei Jahre und elf Monate.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren