Beschuss von Hospital in Kunduz Afghanen forderten fatalen Luftschlag an

Die US-Armee sagt, sie habe das Hospital von Ärzte ohne Grenzen in Kunduz nach einer afghanischen Anforderung beschossen. Die Verantwortung kann sie damit wegschieben.
Afghanische Sicherheitskräfte nach dem Angriff: Ein Verletzter soll auf dem Fahrzeug weggebracht werden

Afghanische Sicherheitskräfte nach dem Angriff: Ein Verletzter soll auf dem Fahrzeug weggebracht werden

Foto: Jawed Kargar/ dpa

Der fatale US-Luftschlag, der in der Nacht zum Sonntag ein Hospital der Organisation Ärzte ohne Grenzen fast völlig zerstört hat, wurde von afghanischen Sicherheitskräften angefordert. Auf einer eilig anberaumten Presskonferenz in Washington korrigierte der Kommandeur der US-Truppen in Afghanistan die bisherigen Darstellungen über den Vorfall, bei dem mindestens 22 Menschen, darunter Ärzte und Pfleger der Hilfsorganisation, getötet worden waren.

Die Aussagen bestätigten erstmals, dass das Hospital durch den US-Beschuss getroffen wurde. "Wir haben erfahren, dass am 3. Oktober afghanische Soldaten meldeten, dass sie beschossen würden, und Luftunterstützung angefordert haben", sagte General John Campbell, der sich für Briefings vor dem US-Kongress in den USA aufhält. "Ein Luftschlag wurde angefordert, um die Taliban-Bedrohung zu eliminieren, dabei wurden mehrere Zivilisten versehentlich getroffen", so Campbell.

Bisher hatte die US-Armee behauptet, der Luftschlag sei durch US-Spezialeinheiten angefordert worden, da diese gemeinsam mit afghanischen Soldaten am Boden unter Feuer der Taliban geraten waren. Zudem hieß es bisher, das Krankenhaus sei nicht direkt beschossen worden, sondern vermutlich durch herumfliegende Splitter getroffen und so in Brand geraten. Mit den Aussagen allerdings übernahm Campbell indirekt die Verantwortung für einen fatalen Fehler.

Die neuen Details werfen viele Fragen auf. So müssen sich die Verantwortlichen im US-Hauptquartier in Kabul fragen lassen, warum sie der Aufforderung der Afghanen für einen Beschuss des Krankenhauses oder der direkten Umgebung der Klinik folgten. Ärzte ohne Grenzen hatte die US-Armee wiederholt, zuletzt am 29. September, über die genaue Position der Klinik unterrichtet, um mögliche Luftangriffe auf sie in der umkämpften Stadt Kunduz zu verhindern.

Als der Beschuss begann, setzte die Organisation eindringliche Hilferufe an die US-Armee ab, trotzdem wurde weiter gefeuert. Die US-Armee wägt nach eigenen Angaben vor jeder Luftunterstützung, auch "Close Air Support" (CAS) genannt, genau ab, ob Zivilisten Schaden nehmen könnten. Nach der Anforderung durch die Afghanen muss also klar gewesen sein, dass das Hospital durch den Beschuss mehr als gefährdet war. Alle US-Luftschläge müssen in Kabul genehmigt werden.

Schlechte Erfahrungen mit afghanischen Anforderungen

Campbell versprach in Washington schnelle Aufklärung. Er persönlich hatte schon am Tag nach dem Vorfall dem afghanischen Präsidenten Ashraf Ghani kondoliert, auch US-Präsident Barack Obama wendete sich an die Opfer des Beschusses. Mit den neuen Aussagen allerdings wird ein Fehlverhalten der US-Armee immer deutlicher. Am Wochenende hatte Ärzte ohne Grenzen bereits von einem möglichen Kriegsverbrechen der Amerikaner gesprochen.

Dass afghanische Soldaten Luftunterstützung anfordern, ist grundsätzlich nichts Ungewöhnliches, allerdings erfüllte die US-Armee solche Wünsche nach dem Ende der Kampfmission der Nato vor rund einem Jahr nur noch sehr selten. Grundsätzlich sind die US-Soldaten wie die Bundeswehr nur noch für eine Trainingsmission im Land, am Kampfgeschehen nimmt man nicht mehr teil. Gleichwohl unterstützte die US-Armee die Afghanen in Kunduz auch aktiv.

Mit afghanischen Anforderungen hatten die Amerikaner in Afghanistan schon mehrmals schlechte Erfahrung gemacht, immer wieder war es in den vergangenen Jahren nach Hilferufen der Afghan National Army (ANA) zu fatalen Fehlschlägen auf Zivilisten gekommen. Deswegen wägt man solche Unterstützung eigentlich sehr kritisch ab. Campbell und seine Offiziere werden nun erklären müssen, warum dies im Fall von Kunduz nicht geschah.

Afghanen bleiben dabei: Beschuss war richtig

Die afghanischen Sicherheitskräfte legten sich nach dem Beschuss bereits fest, dass in dem Hospital Taliban-Kämpfer ihr Kommandozentrum aufgebaut hätten, deswegen sei es richtig gewesen, dieses zu bekämpfen. Ärzte ohne Grenzen widersprach energisch. Zwar behandeln die Ärzte jeden Verletzten, also auch Taliban, doch nur, wenn diese unbewaffnet dort eingeliefert werden. In der Klinik seien jedoch keine Kämpfer der Islamisten gewesen, als sie unter Feuer geriet.

In Kunduz begann eine Delegation aus Kabul mit den Untersuchungen des tragischen Fehlers. Kommandeur Campbell beauftragte US-General Richard Kim mit den Recherchen, in wenigen Tagen erwartet er einen ersten Bericht. "Wenn Fehler gemacht wurden, werden wir sie zugeben", sagte Campbell. "Wir werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen und sicherstellen, dass solche Fehler nicht wiederholt werden", versprach er.

Zeugen des Angriffs berichteten nach der Attacke in der Nacht von Samstag auf Sonntag, die Klinik sei mehr als eine Stunde lang beschossen worden. Dabei wurden der Operationssaal und die Intensivstation völlig zerstört.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren