Bin-Laden-Nachfolge Interims-Chef soll al-Qaida führen

Seif al-Adl: "Das Schwert der Gerechtigkeit" führt angeblich al-Qaidas Tagesgeschäft
Foto: AFP/ FBISeif al-Adl ist einer jener Handvoll Qaida-Kader, die wirklich lange dabei sind. Dennoch ist er der weiten Öffentlichkeit nahezu unbekannt. Es gibt keine Propagandavideos, die den Ägypter beim Agitieren zeigen; es gibt kaum schriftliches Material, das ihm zweifelsfrei zugeordnet werden kann. Der Ägypter, dessen Kampfname "Schwert der Gerechtigkeit" bedeutet, genießt in der internationalen Dschihadisten-Community gleichwohl einen Ruf wie Donnerhall.
Jetzt, so sagt Ex-Dschihadist Noman Benotman, der heute als Analyst bei der Londoner Quilliam Foundation arbeitet, sei Seif al-Adl an die Spitze al-Qaidas gerückt - jedenfalls vorläufig. Seine Quellen, so Benotman gegenüber SPIEGEL ONLINE, hätten ihm bestätigt, dass der ungefähr 50 Jahre alte Mann nach der Erschießung Osama Bin Ladens zu einer Art Interims-Chef ernannt worden sei.
Er solle das Tagesgeschäft des Terrornetzwerks so lange führen, bis Aiman al-Sawahiri, Osama Bin Ladens offizieller Stellvertreter, Gelegenheit hatte, die Treue-Eide der wichtigsten Qaida-Führer einzuholen. Der Treue-Eid spielt in al-Qaidas Universum eine wichtige Rolle. Da er an eine Person und nicht an die Organisation bindet, sind jene Bin Laden geleisteten Treueschwüre erloschen; der Nachfolger im Amt des "Amirs" (Anführers) muss sie aufs Neue einfordern und entgegennehmen.
Seif al-Adl wäre für die Position eines Übergangschefs gut gerüstet. Er fungiert nach Einschätzungen verschiedener Geheimdienste als eine Art Militärchef der Qaida-Zentrale und übt mutmaßlich auch die Oberaufsicht über internationale Anschlagspläne aus.
Ein Top-Terrorist mit Vergangenheit
Sein Engagement als Terrorist reicht lange zurück. Er war mutmaßlich bereits an den Bombenanschlägen 1998 auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania beteiligt - der erste spektakuläre Anschlag al-Qaidas überhaupt. Nach dem 11. September 2001 verlor sich seine Spur für lange Zeit. Er hielt sich in Iran auf, unter einer Art wohlwollendem Hausarrest des Regimes in Teheran, das offenbar meinte, mit einem Mann wie Seif al-Adl ein echtes Pfand in der Hand zu halten. Vermutlich wurde er dann am Ende auch gegen zwei entführte iranische Diplomaten ausgetauscht.
Im vergangenen Herbst gelang es Seif al-Adl jedenfalls, sich nach Waziristan abzusetzen, wie SPIEGEL ONLINE damals - ebenfalls unter Berufung auf Noman Benotman - berichtete.
Benotman geht davon aus, dass am Ende Aiman al-Sawahiri das Amt des Amirs auch formell übernehmen wird. Niemand anderes habe die Autorität, ihn herauszufordern.
So sieht es im Übrigen auch al-Qaidas Regelwerk vor, das die Organisation in den Neunzigern schriftlich fixiert hat. Der Stellvertreter, vom Amir zwingend ernannt, übernimmt demnach im Falle des Todes oder der Gefangennahme. Allerdings muss er durch die führenden Kader im Amt bestätigt werden - in einer Abstimmung.
Niemand weiß, ob dieses Regelwerk heute noch gilt, vor allem, weil bestimmte Vorgaben unter dem Verfolgungsdruck kaum umsetzbar sind. Aber es sieht so aus, als wolle al-Qaida dem Geist der Verfassung Rechnung tragen und al-Sawahiri erst mit der notwendigen Autorität ausstatten, bevor er per offizieller Erklärung ausgerufen wird.
Gleichwohl, so Benotman, rumore es in der Dschihadisten-Szene bereits. "Viele haben die Ernennung eines neuen Amirs binnen 48 Stunden erwartet", sagt der Libyer, der bis kurz nach dem 11. September 2001 selbst als einer der Anführer der libyschen Dschihadisten in Afghanistan lebte und dann die Seiten wechselte. Seif al-Adl, glaubt er, habe durchaus das Potential, von Aiman al-Sawahiri zum neuen Vize ernannt zu werden. Denn auch dieser Posten muss dann neu besetzt werden.