Blasphemiegesetz Pakistans Führung beugt sich den Fanatikern

Haftstrafen für Männer, die ein Mohammed-Poster abreißen, Todesstrafe für eine Christin, die den Propheten beleidigt haben soll - und der Politiker, der sich für sie einsetzt, wird ermordet. In der Anwendung des Blasphemiegesetzes zeigt sich: In Pakistan bestimmen zunehmend Extremisten die Politik.
Demo für den Mörder, der Salman Taseer, einen Kritiker des Blasphemiegesetzes, erschoss

Demo für den Mörder, der Salman Taseer, einen Kritiker des Blasphemiegesetzes, erschoss

Foto: Rehan Khan/ dpa

Es ist ein erneuter Sieg für die selbsternannten Hüter der Religion: Ein Gericht im Bundesstaat Punjab hat den 45-jährigen Imam Mohammed Shafi und seinen 20-jährigen Sohn Mohammed Aslam zu lebenslanger Haft und einer Geldstrafe von 200.000 Rupien - knapp 1800 Euro - verurteilt, weil sie ein Plakat mit islamischen Versen von der Wand eines Lebensmittelgeschäfts gerissen und darauf herumgetrampelt haben sollen. Mit dem Plakat war zu einer Feier zu Ehren des Propheten Mohammed eingeladen worden.

Grund für den Ärger der beiden Männer waren Streitigkeiten mit dem Organisator der Feier. Der gehört der sunnitischen Barelvi-Bewegung an, während die beiden Verurteilten Anhänger der konservativen - und ebenfalls sunnitischen - Deobandi-Denkschule sind. Das Urteil sei auf Grundlage des Blasphemiegesetzes gefällt worden, sagte Richter Mohammed Ayub.

Dieses Gesetz, ein Paragraf des pakistanischen Strafgesetzbuchs, steht derzeit im Zentrum einer hitzig geführten Debatte in der islamischen Republik. Im November war erstmals eine Christin nach diesem Gesetz zum Tode verurteilt worden, weil sie angeblich den Propheten Mohammed beleidigt haben soll. Die pakistanische Presse verschwieg das Thema, bis die internationale Presse es aufgriff. Daraufhin entbrannte eine Diskussion über die Abschaffung oder zumindest eine Abmilderung dieses Gesetzes, das bei einer Beleidigung des Propheten Mohammed zwangsläufig die Todesstrafe vorsieht. Rasch wurde deutlich, dass es sich im Fall der Christin um einen Nachbarschaftsstreit handelte. Trotzdem musste die Familie der Verurteilten untertauchen, aus Angst vor einem mörderischen Mob.

Präsident Asif Ali Zardari

Der Gouverneur der Provinz Punjab, Salman Taseer, setzte sich für die Frau ein, besuchte sie im Gefängnis, nannte das Blasphemiegesetz ein "schwarzes Gesetz" und bat seinen Parteifreund schriftlich um Hilfe. Der kündigte zwar an, er werde die 38-jährige Mutter von fünf Kindern begnadigen und das Blasphemiegesetz überarbeiten lassen. Doch offensichtlich setzten ihn religiöse Kreise unter Druck - die Verurteilte sitzt weiter in Haft, und mehrere Minister erklären, das Gesetz bleibe unverändert.

Ermordung des moderaten Gouverneurs Taseer

Pakistan

Gouverneur Taseer, in als moderater Politiker und für seine Vorliebe für westlichen Lebensstil bekannt, machte trotzdem weiter öffentlich Druck. Zum Jahresanfang twitterte er, dass er sich dem Druck religiöser Fanatiker nicht beugen werde, "und wenn ich der Letzte bin, der aufrecht steht". Drei Tage später, am 4. Januar, wurde Taseer von seinem eigenen Leibwächter erschossen. Attentäter Malik Mumtaz Qadri, ein polizeibekannter Extremist, der dennoch als Personenschützer eingeteilt wurde, bekam so die Chance, auf einem Markt in Islamabad zwei Magazine auf den Mann abzufeuern. Dass seine Kollegen ihn nicht daran hinderten, nicht einmal auf ihn schossen, nährt Spekulationen, dass sie eingeweiht waren und die Ermordung Taseers befürworteten.

Für die notorisch schwache pakistanische Regierung, der zum Jahresbeginn zeitweise ein Koalitionspartner abhandengekommen und die deshalb ein paar Tage lang ohne parlamentarische Mehrheit war, wäre es eine Chance gewesen, Stärke zu zeigen. Doch statt das Blasphemiegesetz nach der Ermordung des Gouverneurs erst recht zu reformieren oder gar abzuschaffen, spielten die Mächtigen den Fanatikern in die Hände. Präsident Zardari blieb der Beerdigung Taseers fern, "aus Sicherheitsgründen", wie sein Büro mitteilte. Und Innenminister Rehman Malik erklärte allen Ernstes, sollte jemand vor seinen Augen und Ohren den Propheten Mohammed beleidigen, würde er ihn eigenhändig erschießen. Es ist ein unheilvolle Signal: Morde aus religiösen oder vermeintlich religiösen Gründen sind in Ordnung - und die Regierung beugt sich der Gewalt der Radikalen.

Extremisten, die bei Wahlen in Pakistan regelmäßig miserabel abschneiden und deswegen bei oberflächlicher Betrachtung keine Gefahr für die Politik darzustellen scheinen, sind gerade dabei, die Macht auf dem Schleichweg zu erobern. Als Qadri dem Haftrichter vorgeführt wurde, warfen Anwälte Rosenblätter auf den Mann in Handschellen und rissen sich darum, ihn - kostenlos - verteidigen zu dürfen. Das Urteil gegen ihn dürfte entscheiden, in welche Richtung sich Pakistan bewegen wird, ob es sich als liberales, säkulares Land versteht, oder ob es sich vollends zum Gottesstaat entwickelt, in dem konservative Geistliche auch ohne politisches Mandat die Agenda bestimmen.

Schon jetzt steht fest: Der Richter, der Qadri wegen Mordes verurteilt, wird um sein Leben fürchten müssen - und um das seiner Familie. Bereits heute bestimmen Kleriker, was gesagt werden darf und worüber geschwiegen werden muss. Unverblümt warnten kürzlich mehr als 500 Geistliche im ganzen Land davor, um Taseer zu trauern oder das Blasphemiegesetz auch nur anzutasten. An Universitäten werden Süßigkeiten verteilt, um den Tod Taseers zu feiern. Im Internet loben Tausende den Todesschützen. Täglich finden in Metropolen wie Karatschi und Lahore Demonstrationen für das Blasphemiegesetz statt, Hunderttausende Menschen gehen auf die Straße.

Atmosphäre der Angst

Derzeit richtet sich die Wut auch gegen Papst Benedikt XVI., der die politische Führung Pakistans aufgefordert hatte, das Blasphemiegesetz abzuschaffen. Parteiübergreifend lehnten Politiker diese Forderung als "Einmischung in innere und religiöse Angelegenheiten" ab, selbst der als gemäßigt geltende Premierminister wies sie zurück. Der Generalsekretär der konservativen Partei Jamaat-e-Islami erklärte, die Aussagen des Papstes seien eine "offene Einladung zum Zusammenprall der Kulturen" und ein "Angebot, die ganze Welt in einen tödlichen Krieg zu ziehen".

Viele Politiker nennen den getöteten Taseer einen Gotteslästerer und einen "liberalen Extremisten". Jemand, der ein von Menschen gemachtes Gesetz kritisiert, gilt somit als Gotteslästerer. Der Kulturkampf ist längst entbrannt, nicht zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, sondern zwischen Liberalen und Religiösen. Wo aber sind die liberalen Religiösen, die religiösen Liberalen? Oder gibt es sie nicht? Was denkt die Mehrheit der Bevölkerung, die bei Wahlen die Radikalen abstraft, aber jetzt, in der Krise, schweigt? Ist sie wirklich tolerant und weltoffen? Und wer ist eigentlich noch säkular, wenn es Anwälte, Richter, Polizisten, Armeeoffiziere offensichtlich nicht (mehr) sind?

Eine Atmosphäre der Angst macht sich breit, und das Erschreckende ist: Es sind nicht nur die Armen und Ungebildeten, sondern durchaus auch Menschen aus der Mittelschicht, die sich plötzlich als Hüter einer moralischen Bastion verstehen. Sherry Rehman, ehemalige Informationsministerin und jetzt Parlamentsabgeordnete, musste untertauchen, weil sie einen Antrag zur Änderung des Blasphemiegesetzes einbrachte. Sie fürchtet um ihr Leben, seit ein Mullah eine Fatwa erließ, wonach sie "keine Muslimin" sei - wohl wissend, dass der Attentäter von Taseer solche Sprüche über sein Opfer gehört hatte und sich deshalb zu der blutigen Tat entschloss. Selbst aus ihrer eigenen Partei, der regierenden Pakistanischen Volkspartei (PPP), erhält Rehman keine Rückendeckung. Innenminister Malik riet ihr lediglich, das Land zu ihrer eigenen Sicherheit zu verlassen.

Kritiker des Blasphemiegesetzes trauen sich kaum mehr, öffentlich ihre Meinung zu sagen. "Ich bin gegen dieses Gesetz, aber ich werde ganz gewiss nicht von mir aus etwas dagegen tun", sagte ein Abgeordneter SPIEGEL ONLINE.

Ein Senator beschrieb die Lage drastischer: Die Situation sei "sehr schwierig", eine "echte Debatte" könne nicht stattfinden, "weil alle Angst haben, dass die bisher friedlichen Demonstrationen in Gewalt umschlagen und wir im Terror versinken".

In anderen Worten: Die Fanatiker haben längst gewonnen.

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