Bloggender Talib Die Schöne und der Terrorist

Bloggerin Farrall, Taliban-Berater Masri: Digitaler Austausch zwischen Iran und Australien
Berlin/Kairo - Es gibt nicht viele Taliban, die für ihren Humor bekannt sind. Abu al-Walid al-Masri ist anders. Das Terrornetzwerk al-Qaida ist für ihn zum Beispiel "die erste im Privatsektor angesiedelte Dschihad-Organisation der Welt". Und sogar Selbstironie ist dem gebürtigen Ägypter nicht fremd: Sein Image, sagt er, sei derart schlecht, dass es sich nicht verbessern würde, wenn er sich als Jünger Jesu Christi ausweisen könnte - und nicht verschlechtern, wenn herauskäme, dass er Hitler beim Holocaust beraten habe. Er sei aber nun einmal von der "Krankheit des chronischen Schreibens" befallen.
Dass die Welt diese Bonmots nun kennt, ist das Verdienst einer australischen Bloggerin. Leah Farrall war bis vor nicht allzu langer Zeit Analystin bei der australischen Bundespolizei und dort mit al-Qaida befasst. Mittlerweile hat sie den Job an den Nagel gehängt und promoviert - natürlich über al-Qaida. Seit Jahren, so schreibt sie, beschäftige sie sich schon mit Abu al-Walid al-Masri, denn dieser war nicht nur einer der ersten arabischen Dschihad-Kämpfer in Afghanistan und dort eine echte Größe, er hat auch noch ein Dutzend Bücher über seine Erfahrungen am Hindukusch geschrieben.
Im September 2009 hatte Farrall in einem Artikel in einer australischen Tageszeitung darauf hingewiesen, dass Masri nach Jahren der Zurückhaltung wieder von Neuem in die internen Debatten der Taliban einsteige. So hatte der Ägypter, dessen echter Name Mustafa Hamid lautet, den Taliban kurz zuvor empfohlen, nicht nur auf Beute und Waffen zu starren, sondern mehr Geiseln zu nehmen.
Auch andere Terrorexperten nahmen den Wiedereintritt Masris in die Theoretikerszene wahr. Der Historiker und Qaida-Spezialist Vahid Brown etwa stieß bereit im Juli 2009 auf neue Ratschläge des Dschihadisten für die .
Mein Brieffreund, der Talib
Doch was anderenfalls eine interessante Beobachtung innerhalb des überschaubaren Zirkels von Terror-Historikern geblieben wäre, ist nun zu einem Gegenstand von allgemeinem Interesse geworden. Denn Abu al-Walid schrieb zurück - und etablierte über das Internet eine digitale Korrespondenz mit Leah Farrall. Bislang hat er ihr sechsmal geschrieben und einen Artikel von ihr im "Australian" kommentiert.
So etwas kommt nicht häufig vor. Leah Farralls Reaktion in ihrem Blog fiel entsprechend aus: "Dass mich das umwirft, ist eine massive Untertreibung." Der Taliban-Berater gab sich entschieden gelassener: "Machen wir uns bereit für einen intellektuellen Dialog zwischen der Schönen aus der Sicherheitsbranche und dem Terroristen."
Dankenswerterweise hat Leah Farrall die arabischen Antworten Masris in ihrem Blog veröffentlicht, zwei auch in englischer Übersetzung. Ein guter Teil des Inhalts ist wirklich eher für Geschichtsschreiber des globalen Dschihadismus von Interesse.
Bin Laden ohne Unterstützung?
Aber Leah Farrall hat die Korrespondenz auch auf aktuelle, politische Fragen gelenkt - und Antworten erhalten, die ein Schlaglicht auf die mindestens angespannten Beziehungen zwischen al-Qaida und den Taliban werfen.
"Ich bezweifle, dass irgendeine Art von Strategie hat", gibt der Ägypter beispielsweise zur Protokoll. Bin Laden zeichne sich durch "rasche und seltsame Änderungen der strategischen Zielsetzung" aus, und falls sein Netzwerk Visionen für Afghanistan habe, fehlten ihm in jedem Fall Kapazität und Alliierte, sie umzusetzen.
Warum ein US-Abzug für al-Qaida ein Problem wäre
Überdies wäre ein Abzug der US-Truppen aus dem Land für Osama Bin Ladens Netzwerk eher ein Problem, denn den meisten Taliban und Afghanen seien die Terroristen der Qaida nicht willkommen. Ersteren gelte Bin Laden als Verderber des Taliban-Staates, weil er die US-Armee auf den Plan gerufen habe, letzterer aus dem selben Grund als der Mann, der den Krieg wieder nach Afghanistan holte.
Es könnte schwer sein für , den Taliban-Chef, Osama Bin Laden auszuweisen, wenn die Amerikaner weg seien. Aber Hausarrest sei eine Möglichkeit, die Gastfreundschaft würde jedenfalls ans Bedingungen geknüpft.
Masri: Es gibt keinen Vermittler
Die ideologische Kluft zwischen Taliban und al-Qaida ist in Expertenkreisen schon länger ein Thema - aber es gibt bislang keine derartige Stimme mit vergleichbarem Gewicht aus einem der beiden Lager. Im Gegenteil, nach außen betonen die beiden Gruppen ihre Allianz, auch wenn sie die ideologischen Haarrisse natürlich in der Propaganda spiegeln: Die Taliban betonten kürzlich, sie seien keine Gefahr für das Ausland, al-Qaida will nach wie vor international zuschlagen.
Masris Ausführungen sind potentiell umso interessanter, als für die USA in Afghanistan das "end game" seine Schatten vorauswirft: In welchem Zustand soll und kann Afghanistan dereinst zurück gelassen werden - und wären Verhandlungen mit den Taliban hilfreich?
Auch danach fragte Farrall Masri und erhielt Antwort. Seiner Ansicht nach schränke das Bündnis mit Bin Laden die Taliban ein, es limitiere ihre politischen Optionen. Selbst früher freundlich gesinnte Staaten wie die Arabischen Emirate oder Saudi-Arabien pflegten keine Beziehungen mehr, die Taliban betrieben eine äußerst schwache Außenpolitik. Eine graduelle Trennung von al-Qaida, so der Dschihad-Stratege, könne helfen. Allerdings hält Masri förmliche Verhandlungen dann doch für unvorstellbar. Diese hätten stets den Ruch von Kapitulationen. Es gäbe zudem keine neutralen Vermittler mehr. Er hält dies für eine Spätfolge des Diktums von George W. Bush: Entweder ihr seid für oder gegen uns.
Ein Kämpfer der ersten Generation
Abu al-Walid al-Masri ist eine ernstzunehmende Stimme. Er fungiert nicht nur als inoffizieller Taliban-Ratgeber, sondern veröffentlicht auch in ihrem offiziellen Magazin "al-Sumud", was bedeutet, dass die Taliban-Führung ihn nach wie vor als Teil der Bewegung betrachtet.
Der Ägypter ist eine lebende Legende des Dschihadismus. In Alexandria als Ingenieur ausgebildet, arbeitet er in Kuwait bei Mercedes Benz, kämpfte ab 1978 an der Seite der Palästinenser im Südlibanon. Doch da waren ihm zu wenig Gläubige und zu viele Nationalisten. Schon ab 1979 kämpfte er dann gegen die sowjetischen Invasoren in Afghanistan. Als arabischer Freiwilliger der ersten Stunde war er eng und gut bekannt mit den anderen Größen seiner Generation: Dem damaligen Vordenker Abdullah Azzam, dem kommenden Osama Bin Laden, dem Taliban-Oberhaupt Mullah Omar, aber auch lokalen Führern wie Dschalaluddin Hakkani.
Er stach als Intellektueller heraus, der auch Mao und Sun Tzu gelesen hatte. Bald galt er als brillanter Stratege. Eines aber war er nie: förmliches Qaida-Mitglied. Im Gegenteil, mit Osama Bin Laden verband ihn offenbar eine Hassliebe, mehrfach machte er sich über den Saudi lustig, einmal erklärt er, Bin Laden gehöre vor ein Militärgericht. Die Anschläge vom 11. September 2001 kritisierte er von Beginn an. Masri fungierte in dieser Zeit, das war damals noch möglich, übrigens parallel als Reporter für al-Dschasira. Viele Details über frühen Streit zwischen Taliban und al-Qaida stammen von ihm.
Die Iraner lassen ihn schreiben - warum?
Doch es gibt auch Schönheitsfehler in der Korrespondenz. So befindet sich Masri seit 2002 oder 2003 mutmaßlich in Iran, wohin er geflohen war - und damit fernab des Schlachtfelds. Aus dem Umfeld seiner Familie verlautete 2007, dass er dort mit einigen Angehörigen festgehalten werde. Ob er für irgendjemanden außer sich selbst spricht, ist ungewiss.
Das zweite Problem ist die Authentizität des Autors. Vieles spricht zwar dafür: Die Sprache, die Themen, die Bezugname auf das eigene Erlebte. Aber letzte Sicherheit kann man bei einer digitalen Korrespondenz kaum haben.
Zudem bleibt offen, warum die Iraner Masri gestatten, sich öffentlich zu äußern.
Unterdessen hat nicht nur Farall, sondern auch Masri hat seine Antworten online gestellt. Zwar behält Farall sich - als Forscherin - vor, dass niemand die Briefe Masris vor ihr selbst auswertet. Doch die "Taliban Letters" sind in der Welt, spätestes seit der "New Yorker"-Journalist Steve Coll jüngst darüber bloggte.
Für Analysten der Nachrichtendienste sind die Texte ohnehin ein Fest, für Historiker und Terrorexperten ebenso. Dass al-Qaida auf die Kritik Abu al-Walids eingeht, ist unwahrscheinlich. Aber Osama Bin Laden wird es gewiss nicht freuen, dass die Debatte über die Kluft zu den Taliban nun neue Nahrung erhalten hat.