Boot Camps in den USA Das Versagen der Drill-Maschine

Sie stehen für Disziplin, Erniedrigung, Erschöpfung: Seit knapp 20 Jahren versuchen die USA, jugendliche Taugenichtse in Boot Camps gefügig zu machen. Doch Untersuchungen belegen: Der therapeutische Sinn ist zweifelhaft - und immer wieder kommt es zu Misshandlungen und Todesfällen.

Hamburg - "Du kommst hier nicht raus, wenn Du ihnen vorspielst, was sie haben wollen, Du kommst hier erst raus, wenn Du bist, was sie haben wollen." So beschreibt der amerikanische Autor Morton Rhue - bekannt durch seinen Roman "Die Welle" - das Prinzip des Boot Camps in seinem gleichnamigen Buch.

Die Idee ist simpel: Disziplin, Disziplin, Disziplin. Wer sein junges Leben nicht auf die Reihe bekommt, soll hier auf Linie gebracht werden - genau so, wie es die US-Marines bei der Ausbildung in einem Boot Camp erleben: ständige körperliche Anspannung und pausenlose Erniedrigungen. Der Wille wird gebrochen, um ihn danach wieder aufzubauen. Was bei den Rekruten der US-Elitesoldaten funktioniert, hat nach dem Willen vor allem konservativer amerikanischer Politiker auch bei schwer erziehbaren Jugendlichen zu klappen.

Seit Anfang der neunziger Jahre gibt es Boot Camps in den USA: Einerseits für Straftäter, die den Aufenthalt in einer solchen Einrichtung gewöhnlicher Haft vorziehen - weil sie deutlich kürzer ausfällt. Diese Option gilt nicht für Schwerverbrecher. Und dann gibt es die freiwilligen Boot Camps: Einrichtungen, in die verzweifelte Eltern ihre Kinder schicken, wenn sie nicht mehr mit ihnen zurechtkommen. Beide Arten von Boot Camps werden in den USA sowohl privat wie auch staatlich betrieben. Als Alternative zur Haftverbüßung sind sie auch deshalb so beliebt, weil der Aufenthalt in einem Boot Camp deutlich kostengünstiger ist.

Zweifel an dem Boot-Camp-Konzept

Allerdings gibt es auch in den USA seit langem Zweifel an dem Konzept. Einmal wegen des fragwürdigen therapeutischen Sinns. Der Vorwurf der Kritiker: Sowohl die jugendlichen Straftäter als auch die von ihren Eltern eingelieferten Boot-Camp-Insassen werden zwar mit aller Gewalt gefügig gemacht - aber ohne nachhaltige Konsequenzen. Viele von ihnen würden danach wieder rückfällig.

Aktuelle Untersuchungen ergeben dazu ein gemischtes Bild: Das US-Justizministerium weist bei Boot-Camp-Programmen für jugendliche Straftäter insgesamt eine Rückfallquote von rund 55 Prozent aus. Eine Studie des Ministeriums aus dem Jahr 2003 kam zu folgendem Ergebnis: "Teilnehmer berichteten von positiven kurzzeitigen Veränderungen und Verhaltensweisen, sie verfügten auch über bessere Problemlösungsfähigkeiten und Umgangsformen." Doch dann heißt es weiter: "Von wenigen Ausnahmen abgesehen führten diese positiven Veränderungen nicht zu einer verminderten Rückfälligkeit."

Regionale Untersuchungen kommen auf sehr stark voneinander abweichende Zahlen: Die Kommune Miami-Dade präsentierte kürzlich Daten, wonach von den Insassen des lokalen Boot Camps innerhalb der vergangenen zwei Jahren nur 6,6 Prozent rückfällig wurden. In Pinella County - ebenfalls in Florida - ist man weit weniger zufrieden: Sheriff Jim Coats machte im März 2006 mit Zahlen aufmerksam, die eine Rückfallquote von beinahe 90 Prozent bei ehemaligen Boot-Camp-Insassen zeigen. Von 740 Jugendlichen, die zwischen 1993 und 2005 eine Strafe in der lokalen Einrichtung verbüßten, kamen demnach 666 wieder mit dem Gesetz in Konflikt.

Über 1600 Missbrauchsfälle alleine 2005

Was möglicherweise daran liegt, dass die Boot Camps sehr unterschiedlich geführt werden. Das war auch schon den Autoren der Justizministeriumsstudie von 2003 aufgefallen. "Die Boot Camps, die geringere Rückfallquoten erreichten, hatten mehr Behandlungsmöglichkeiten und längere Sitzungen angeboten, sie enthielten auch mehr nachträgliche Kontrollmöglichkeiten." Doch auch dies wird einen Satz später eingeschränkt: "Allerdings kamen nicht alle Programme mit diesen Maßnahmen zu erfolgreichen Ergebnissen."

Kaum zu leugnen ist mittlerweile der zweite Kritikpunkt gegen Boot Camps: Es gibt immer wieder massive Misshandlungen, schwere Verletzungen - und mitunter Todesfälle. Eine Untersuchung der US-Bundesprüfbehörde Government Accountability Office vom Oktober legte dem US-Kongress alarmierende Zahlen vor: Allein im Jahr 2005 wurden demnach in 33 Bundesstaaten 1619 Misshandlungsfälle in Boot Camps registriert. Zudem untersuchten die Forscher zehn Todesfälle aus entsprechenden Einrichtungen. Ergebnis: Die Programmleiter traf ein erhebliches Maß an Mitschuld.

Zum Beispiel im Fall Roberto Reyes. Der sollte im Thayer Learning Center, einer christlichen Einrichtung im US-Staat Missouri, auf den rechten Weg gebracht werden - und war zwei Wochen später tot. Dass der Junge ernsthafte gesundheitliche Probleme hatte - Gerichtsmediziner diagnostizierten später den Zerfall von Muskelzellen, wohl aufgrund eines Spinnenbisses - war von den Ausbildern als Schwächelei abgetan worden. Stattdessen forderten sie von dem Jungen noch mehr körperliche Leistung.

Der US-Kongress will nun reagieren: Er erwägt strengere allgemeine Kriterien für Boot Camps und eine staatliche Aufsicht der Einrichtungen.

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