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Bootsflüchtlinge in Burma: Gefangen auf dem Sklavenschiff

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Bootsflüchtling aus Burma "Ich dachte, ich hätte eine Chance"

Sie wollten in Malaysia ein neues Leben beginnen, stattdessen wurden sie zu Gefangenen auf einem Sklavenschiff: 50 Tage erlitten die 25-jährige Witwe Ariva Begon und ihre fünf Kinder Schreckliches - und kamen nicht ans Ziel.

Immer wieder muss sie sich festklammern an den Armlehnen ihres pinkfarbenen Plastikstuhls. 50 Tage lang war Ariva Begon auf See, seit fünf Tagen ist sie nun zurück an Land, doch der Boden unter ihren Füßen scheint immer noch zu schwanken.

"Als sei ich immer noch seekrank", sagt die 25-Jährige. Ihr fünf Kinder haben die Strapazen besser weggesteckt: Sie toben mit ihren Spielkameraden zwischen den auf Stelzen gebauten Bambushütten umher, schaukeln in der Hängematte, ärgern die Hühner. Sie benehmen sich, als seien sie zu Hause - sind sie aber nicht: "Wir haben kein Zuhause mehr. Die letzte Nacht habe ich mit meinen Kindern im Arm unter einem Baum verbracht", sagt ihre Mutter.

Das Dorf Thet Key Phine liegt nur einige Kilometer und doch Welten entfernt von der burmesischen Küstenstadt Sittway. Während in Sittway EC-Automaten und Cola-Reklamen von der rasanten Modernisierung Burmas erzählen, erinnern die Zustände in dem unter Kokospalmen kauernden Dorf an die hässliche Seite des Landes. In Thet Key Phine leben Rohingya, muslimische Burmesen, denen in ihrer Heimat die Staatsangehörigkeit verweigert wird. Die etwa 1,4 Millionen Menschen zählende Volksgruppe wird von den Machthabern in Rangun systematisch unterdrückt, verfolgt, vertrieben.

Ariva Begon mit drei ihrer fünf Kinder: "Wir haben kein Zuhause mehr"

Ariva Begon mit drei ihrer fünf Kinder: "Wir haben kein Zuhause mehr"

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Als radikale Buddhisten 2012 brutale Pogrome verübten, starben Tausende. Hunderttausende Rohingyas strandeten - Flüchtlinge im eigenen Land - in der traditionell muslimischen Küstenprovinz Rakhine.

Die Region rund um Sittway ist mit ihren Lagunen, verzweigten Meeresarmen und Flussmündungen ein Schmugglerparadies. Von hier aus haben sich allein in den vergangenen drei Jahren nach Uno-Angaben mindestens 250.000 Menschen eingeschifft, um sich von Schleppern nach Thailand, Malaysia und Indonesien schmuggeln zu lassen.

Eines ist Ariva wichtig: Sie war nicht immer arm und abhängig von der Mildtätigkeit anderer. Sie sei kein Flüchtling, sondern in Thet Key Phine geboren worden, sagt sie mit einem Rest von Stolz. Als Muslime seien sie zwar benachteiligt, ihr Vater sei aber "reich" gewesen. Reich heißt für sie, dass ihm ein ähnliches Grundstück gehörte wie das des Nachbarn, der sie und ihre Kinder heute aufgenommen hat. 300 Quadratmeter festgestampfte Erde, darauf drei Hütten, ein Brunnen. Als sie 14 Jahre alt war, gab ihr Vater das bildhübsche Mädchen einem jungen Fischer zur Frau. Das erste Kind kam, als Ariva noch nicht 15 war.

Doch das Glück währte nicht lang: Erst starb Arivas Mutter, dann der Vater. Vor vier Jahren - Ariva war wieder mal schwanger - kam ihr Mann krank von einem Fischzug zurück. Sieben Tage lang Durchfall und Erbrechen, dann starb auch er. "Ich hatte niemanden mehr", sagt Ariva.

Dem Neffen, auf dessen Grundstück sie ein aus einer Plastikplane gebautes Zelt aufschlagen konnte, waren die vielen zusätzlichen Esser nicht sehr willkommen. Wie in vielen traditionellen Gesellschaften stehen auch bei den Rohingya Witwen ganz unten in der Hackordnung. Wo das allgemeine Elend die Solidarität untergräbt, haben Witwen und Waisen nicht mehr viel zu erwarten. Wie so viele Rohingyas spürte auch Ariva, dass sie in Burma keine Zukunft hat.

"Auf dem Markt hörte ich eines Tages, dass man in Malaysia als Wäscherin gut verdienen kann." Ariva fasste einen tollkühnen Plan: Mitsamt allen ihren Kindern wollte sie die Überfahrt in ein neues Leben wagen. "Ich dachte, ich hätte eine Chance."

Drei Monate lang bettelte sie bei reichen Nachbarn, dann hatte sie 300 Dollar zusammen. Dass das nur ein Bruchteil dessen sein wurde, was die Schlepper für die Reise verlangen, wusste sie damals noch nicht.

Qualen an Bord

Ende März packte sie nach dem Abendgebet ein paar Habseligkeiten in eine Plastiktasche: etwas Reis, ein paar Kleider. Mutter und Kinder liefen zwei Stunden durch die dunkle Hitze, dann halfen ihnen zwei junge Rohingyas an Bord eines kleinen Außenborders. Sechs Stunden fuhren sie hinaus aufs offene Meer, im Morgengrauen gingen sie bei einem ankernden Holzboot längsseits. "Etwa 100 Menschen hockten an Deck."

Erschütternde Szenen: Rohingya an Bord eines Kutters kämpfen um Lebensmittel

Erschütternde Szenen: Rohingya an Bord eines Kutters kämpfen um Lebensmittel

Foto: CHRISTOPHE ARCHAMBAULT/ AFP

Dieses Deck sollte für die kommenden 50 Tage Schauplatz von Arivas Qualen sein. Sie oder ihre Kinder, einer war immer seekrank. Zu essen gab es ab und an eine Hand voll Reis. Wenn sie erstmal in Malaysia sei, müsse sie die Überfahrt abarbeiten, drohten die Schlepper. Die ersten 300 Dollar seien nur für das Übersetzen auf dem Schmugglerboot gewesen. 2000 Dollar für ihre Passage und 1000 Dollar für jedes Kind schulde Ariva ihnen.

Die Crew sei aus Thailand gewesen, ungeduldige Fragen hätten sie mit Schlägen bestraft. "Jeden Tag kamen ein paar mehr Passagiere an. Sie sagten, wir würden losfahren, wenn sie 700 Leute zusammenhaben."

Doch dann kam die hohe Politik dazwischen. Nachdem sie den Menschenhandel an ihren Küsten jahrelang stillschweigend geduldet hatten, schwenkten Thailand und in der Folge Malaysia und Indonesien vor rund drei Wochen auf einen harten Kurs um . "Die Schmuggler sagten uns, dass wir nicht mehr nach Malaysia fahren können."

Das haben die Schlepper dann eingesehen

Bei den Möchtegern-Migranten flossen daraufhin Tränen, aus Freude und Verzweiflung: "Wir wollten alle nach Hause, aber hatten dort doch alles verkauft, um die Überfahrt zu bezahlen." Inzwischen waren die Rohingyas zu Geiseln geworden: Die Thailänder forderten Lösegeld von den Familien an Land, nur dann wollten sie sie gehen lassen. Da reichte es Ariva und drei anderen Witwen an Bord. "Wir haben ihnen gesagt, dass wir niemanden haben, der für uns zahlen würde." Die Schlepper hätten das dann eingesehen.

Es war ein burmesisches Fischerboot, das Ariva und ihre Kinder wieder zurück an Land brachte. Es war keine glückliche Heimkehr. In ihr Zelt waren inzwischen andere Familienangehörige eingezogen. Die sechs sind obdachlos, aber zu viele, um dauerhaft bei Nachbarn unterzukommen.

Wie es weitergehen soll, kann die junge Frau beim besten Willen nicht sagen. "Ich habe kein Geld, meine Kinder zur Schule zu schicken. Für Rohingya-Frauen gibt es keine Arbeit, die meisten Männer sind ja arbeitslos. Mit fünf Kindern finde ich keinen neuen Mann." Am Vortag hat ein amerikanischer Mitarbeiter einer Hilfsorganisation Ariva 100 Dollar zugesteckt. "Danach sind wir in Allahs Hand."

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