Neuer britischer Premier Johnson Der blonde Bulldozer

Boris Johnson setzt auf Konfrontation: Ein Kabinett voller Brexit-Hardliner, Drohungen Richtung Brüssel, Attacken gegen die Opposition. Was hat Großbritanniens Premier vor?
Boris Johnson während seiner Parlamentsrede

Boris Johnson während seiner Parlamentsrede

Foto: Jessica Taylor/ UK Parliament/ AFP

"Die Hardliner-Rechte hat die konservative Partei übernommen", twitterte Nick Boles, als am Mittwochabend bekannt wurde, wer künftig der britischen Regierung angehört. "Thatcherianer, Libertäre, No-Deal-Brexiteers" hätten nun die Kontrolle, schimpfte der Mann, der im April die Tories verlassen hatte und nun als unabhängiger Abgeordneter im Unterhaus sitzt. Und der Premierminister sei in Wahrheit nicht Boris Johnson, sondern Nigel Farage, der rechtspopulistische EU-Hasser der Brexit-Partei.

Womit Boles zumindest recht hat: Ein Kompromissangebot an die moderaten Kräfte Großbritanniens ist Johnsons neues Kabinett sicher nicht. Im Gegenteil. War es früher üblich, Kritiker einzubinden, warf der frisch ernannte Premier seine Gegner jetzt reihenweise aus der Regierung: Elf Kabinettsmitglieder hat er gefeuert, sechs sind freiwillig gegangen.

Unter den Geschassten sind fast ausschließlich Proeuropäer oder solche, die zuletzt zu Jeremy Hunt, Johnsons Konkurrent um den Tory-Parteivorsitz, gehalten haben. Auch Hunt selbst nahm seinen Hut, als Johnson ihn vom Außen- zum Verteidigungsminister degradieren wollte.

Brexit-Kampftrupp

Die neue politische Führung des Vereinigten Königreichs ähnelt damit nun einem konservativen Brexit-Kampftrupp, viele waren bereits vor dem Referendum 2016 an der Anti-EU-Kampagne "Vote Leave" beteiligt. Zwar haben lediglich 14 von 30 Kabinettsmitgliedern damals für den EU-Austritt gestimmt. Doch die meisten von ihnen haben ihre Haltung längst geändert und schon unter Theresa May Stimmung für den Brexit gemacht.

Sajid Javid etwa war schon immer ein Europaskeptiker. Er erhält einen der wichtigsten Posten und wird Schatzkanzler. Der frühere Brexit-Minister Dominic Raab übernimmt das Außenressort, der bisherige Umweltminister Michael Gove verantwortet künftig die Vorbereitungen für einen EU-Austritt ohne Abkommen. Mit Priti Patel kehrt eine echte Rechtsauslegerin als Innenministerin ins Kabinett zurück. Vor einigen Jahren noch hatte sie für die Wiedereinführung der Todesstrafe geworben. Theresa Mays hatte sie einst gefeuert, weil sie als Entwicklungsministerin in Israel Gespräche geführt hatte, ohne die eigene Regierung darüber zu informieren.

Parlamentsrede im Video: Johnson will Großbritannien zum "großartigsten Land der Erde" machen

SPIEGEL ONLINE

Besonders brisant: Jacob Rees-Mogg kümmert sich fortan um die Geschäfte des Unterhauses. Er gehört zu den schärfsten Brexit-Hardlinern und ist Chef der sogenannten European Research Group, der Vereinigung der Ultrakonservativen in der Tory-Fraktion.

Und auch in Johnsons direktem Umfeld in Downing Street geben jetzt radikale EU-Gegner den Ton an. Zum Beispiel Dominic Cummings, der frühere Chefstratege hinter der "Vote Leave"-Kampagne. Er war mitverantwortlich für Propaganda-Lügen wie jene, dass Großbritannien wöchentlich 350 Millionen Pfund nach Brüssel schicke und das Geld stattdessen ins heimische Gesundheitssystem stecken könnte. Cummings ist hochumstritten, viele beschreiben ihn als böses Genie oder gar als Psychopathen. Jetzt ist er einer der engsten Berater des Premierministers.

Entschlossenheit ausstrahlen

Auf den ersten Blick scheint klar, was Johnson vorhat: Es geht jetzt darum, möglichst viel Entschlossenheit auszustrahlen, die EU um jeden Preis bis zum 31. Oktober zu verlassen. Damit will er zu Hause die "Zweifler und Weltuntergangspropheten", von denen Johnson nun immer wieder spricht, unter Druck setzen - aber vor allem auch die EU. Brüssel, das ist sein Ziel, soll sich beim Brexit endlich bewegen, an den Verhandlungstisch zurückkehren und Zugeständnisse machen.

Am Donnerstag nutzt Johnson seinen ersten Auftritt als Premierminister im Unterhaus für eine scharfe Ansage in Richtung EU. Der bislang vorliegende Vertrag sei "inakzeptabel für dieses Parlament und für dieses Land", sagt er. Einen Deal könne es nur mit einer "Beseitigung des Backstops" geben. Die umstrittene Notlösung würde im Zweifel eine harte Grenze auf der irischen Insel verhindern, indem ganz Großbritannien Mitglied der Zollunion bleibt. Für Brexit-Ultras ein Horrorszenario.

Allerdings ist Brüssel in dieser Frage bislang stets hart geblieben. Es ist auch völlig unklar, wie Grenzkontrollen zwischen dem EU-Land Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland verhindert werden sollen, wenn man sich nicht rechtzeitig auf eine Freihandelsvereinbarung einigt. Auch Johnson hat darauf keine Antwort, fabuliert weiter über "reichlich Möglichkeiten".

Wenn die EU aber ihre Verweigerungshaltung nicht aufgebe, warnt Johnson, werde man ohne Vereinbarung austreten. Allerdings läuft er Gefahr, dass Brüssel seine Drohung mit einem No-Deal-Brexit als Bluff auffasst - zumal Johnson ohnehin im Ruf steht, heute dies und morgen das Gegenteil zu behaupten.

Neuwahlen rücken näher

Johnson geht damit ein hohes Risiko ein. Sollten die anderen 27 EU-Staaten nicht kollektiv einknicken, bleibt ihm tatsächlich wohl nur noch die Option, auf einen harten Brexit zu drängen. Doch was, wenn ihm dabei das Parlament in die Quere kommt? Wenn die Abgeordneten die Regierung per Gesetz zwingen wollen, einen Aufschub des Austrittstermins zu beantragen?

Zuletzt war eine klare Mehrheit gegen einen No-Deal-Brexit. Labour könnte daher schon im September ein Misstrauensvotum anstrengen, das dank der Johnson-Gegner bei den Tories durchaus Aussicht auf Erfolg hätte. Vielleicht steht die Regierung nach der Sommerpause sogar ohne Mehrheit im Unterhaus da. Bei einer Nachwahl im September droht den Konservativen der Verlust eines Sitzes. Dazu gibt es Berichte, dass mehrere moderate Konservative einen Wechsel zu den Liberaldemokraten erwägen.

Denkbar wäre deshalb, dass Johnson selbst Neuwahlen ausruft, um die schwierigen Machtverhältnisse im Parlament zu verändern - zumal er bislang mit dem Vorwurf kämpfen muss, nicht vom Volk legitimiert zu sein. Der neue Premier werde "bereit sein für eine Wahl", sagt jedenfalls Johnson-Unterstützer Ian Duncan Smith. Auch das neue Kabinett mit all den Kampagnen-erprobten Hardlinern deutet darauf hin, dass Johnson längst Neuwahlen plant, egal wie es beim Brexit ausgeht.

Im Unterhaus ist Johnson offensichtlich schon voll im Wahlkampfmodus. Er wütet und poltert, fuchtelt mit den Armen und schimpft über die Opposition, dass seine Tory-Kollegen vor Freude johlen. Er verspricht sogar "den Anfang einer neuen goldenen Ära". Vorerst aber, so sieht es im Moment aus, stehen den Briten weiter chaotische Wochen und Monate bevor.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren