Bradley-Manning-Anhörung Angriff als Verteidigung

Ihm drohen fünf Jahrzehnte Gefängnis, ein Leben hinter Gittern: Die US-Army hört nach eineinhalb Jahren Haft den mutmaßlichen WikiLeaks-Flüsterer Bradley Manning an. Der schmächtige Mann bleibt reglos, sein Verteidiger setzt auf Attacke - und knöpft sich den Untersuchungsrichter vor.
Bradley-Manning-Anhörung: Angriff als Verteidigung

Bradley-Manning-Anhörung: Angriff als Verteidigung

Foto: CHIP SOMODEVILLA/ AFP

Da sitzt er nun. Der schmale Mensch in diesem schweren Bürostuhl aus schwarzem Leder. Die Schultern im Tarnanzug überragen kaum die Lehne. Den Kopf hält er einer Schildkröte gleich nach vorn gereckt. Den Blick heftet er auf den Kugelschreiber, der sich beständig zwischen Daumen und Zeigefinger dreht. Hin und her. In wenigen Stunden könnte er seinen 24. Geburtstag feiern. Wenn ihm nach Feiern zumute wäre.

Der kleine Obergefreite Bradley Manning soll das größte Geheimdatenleck in der US-Geschichte gerissen, interne Dokumente der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugespielt haben. Deshalb muss er an diesem Freitag hier sitzen, in diesem Gerichtssaal der Army, draußen in Fort Meade, eine Autostunde entfernt von Washington. Die Vereinigten Staaten von Amerika gegen den Private First Class Manning.

Manning drohen fünf Jahrzehnte Haft

Seit Freitagmorgen läuft die Anhörung in einem Flachdach-Backsteinbau auf dem Gelände der kleinen Militärstadt mit 10.000 Bewohnern und dem Burger King gleich hinterm Haupttor. Reichen die Beweise für die Eröffnung eines Militärprozesses aus? Diese Frage soll Untersuchungsrichter Paul Almanza möglichst bis Weihnachten klären. Kommt es zum Prozess, drohen Manning bis zu 52 Jahre Haft. Dann wäre er erst mit 76 wieder ein freier Mann. Wenigstens eine Hoffnung hat er: Die Todesstrafe wollen die Ankläger nicht fordern.

Die Ermittler haben 34 Vorwürfe zusammengetragen, Almanza referiert sie. Der gravierendste: Manning habe durch die Weitergabe militärischer Geheimnisse wie der US-Kriegstagebücher aus Afghanistan und dem Irak sowie der Botschaftsdepeschen "den Feind unterstützt". Und es geht natürlich auch um jene mittlerweile berüchtigte Videoaufnahme, die zeigt, wie eine Kampfhubschrauber-Besatzung im Bagdad des Jahres 2007 tödliche Jagd auf Zivilisten und zwei Journalisten macht. Manning soll es an WikiLeaks übermittelt haben.

Ob der Obergefreite Manning die Vorwürfe verstanden habe, fragt der Untersuchungsrichter. "Ja, Sir", sagt Manning. Dann dreht er wieder seinen Kugelschreiber.

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US-Soldat Bradley Manning: WikiLeaks-Informant erscheint erstmals vor Militärgericht

Foto: William J. Hennessy Jr./ dpa

Wenn es stimmt, was Manning zugeschrieben wird; wenn dieser 23-Jährige mit dem schwarzen Brillengestell im Jungengesicht die Quelle für das war, was WikiLeaks berühmt gemacht hat: Dann ist nicht deren Gründer und bleiche Popstar Julian Assange die zentrale Gestalt; dann sollte es ManningLeaks statt WikiLeaks heißen.

"Ich möchte weltweit politische Debatten und Reformen anzetteln"

Wenn es so war, dann muss man sich Bradley Manning vor gut zwei Jahren wohl ähnlich versunken in seinem Stuhl vorstellen. Irgendwo in einem fensterlosen Büro im Außen-Stützpunkt "Hammer", einer trostlosen Container-Ansammlung östlich von Bagdad, in der irakischen Wüste nahe der Grenze zu Iran. Der homosexuelle Manning fühlte sich einsam. Die Beziehung zu seinem Freund in Boston sollte bald scheitern. Er dachte über eine Geschlechtsumwandlung nach. Und er zweifelte an seinem Land, an den Kriegen im Irak, in Afghanistan.

Aber er hatte diesen SIPRNet-Computer mit dem roten Internetkabel. Ein Geheimdienstnetz, genutzt von Außen- und Verteidigungsministerium. Und Manning hatte Zugriff. Er soll dann die Geheimdienstdokumente aus dem Computer gezogen und sie WikiLeaks zugespielt haben.

"Ich möchte weltweit politische Debatten und Reformen anzetteln", schreibt mutmaßlich Manning später in einem Internet-Chat unter dem Namen "Bradass87". Der Adressat ist Adrian Lamo, ein bekannter Hacker. Manning vertraut ihm. Lamo aber ist Informant der US-Behörden.

Das hat Manning von seinem Computer im Irak in diesen Gerichtssaal von Fort Meade gebracht.

Da steht jetzt David Coombs. Mannings Anwalt gilt als Experte, wenn es darum geht, Angehörige der Armee herauszuhauen. Selbst einst im Irak-Einsatz, ist der Offizier Coombs der Gegenentwurf zum zerbrechlich wirkenden Manning: Großgewachsen, laut, selbstbewusst. Seine Verteidigungsstrategie: Manning als Whistleblower zeichnen, der nichts Gefährliches angerichtet hat. "Wo ist der Schaden?", fragt er. Die Botschaftsdepeschen, die Kriegstagebücher - all das sei herausgekommen. Na und? Jetzt sitze man hier, erst eineinhalb Jahre später. "Verspätung, Verspätung, Verspätung", ruft Coombs.

Weil eine Verurteilung Mannings zu einer langjährigen Haftstrafe aufgrund der Beweislast kaum zu verhindern scheint, will Coombs das Verfahren unterminieren. Am Freitag geht er in direkte Konfrontation zu Untersuchungsrichter Almanza. Der arbeite im zivilen Leben als Staatsanwalt fürs Justizministerium. Und das führe schließlich ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Julian Assange.

So geht es hin und her. Stunde um Stunde. Immer wieder setzt Almanza die Anhörung aus. Immer wieder lässt er sich im Nebenzimmer juristisch beraten. Immer wieder fordert Coombs ihn auf, den Fall niederzulegen. Er kritisiert Almanza, weil dieser die Zeugenliste der Verteidigung zusammengestrichen habe, weil er weder Präsident Barack Obama noch Außenministerin Hillary Clinton habe vorladen wollen. Obama hatte vor Monaten bereits gesagt, Manning habe "das Gesetz gebrochen". Als unzulässige Beeinflussung des Militärgerichts wollte Coombs das anprangern. "Das ist ein schöner Militärgerichtssaal", sagt er. All die Äußerungen von Obama und Clinton sollten hier eine Rolle spielen.

Coombs wendet sich den drei Dutzend Zuschauern im Saal zu, darunter einige Unterstützer Mannings. Er spricht die Journalisten im Saal an. Der Verteidiger führt einen Schaukampf. Irgendwann unterbricht Almanza genervt, Coombs möge sich doch bitte wieder ihm statt des Publikums zuwenden.

Bradley Manning folgt all dem reglos. Er macht sich Notizen. Er spielt mit dem Stift. Er hat ein paar Mal "Ja, Sir" und "Nein, Sir" zum Untersuchungsrichter gesagt. Mehr nicht. Irgendwann ruft ein Zuschauer: "Bradley Manning, du bist ein Held!" Manning dreht sich nicht um. Und Almanza vertagt - auf Samstag, den Geburtstag des Beschuldigten.

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