
Präsidentschaftswahl: Brasilien vor Rechtsruck
Wahlen in Brasilien Angst vor der Diktatur
Bevor Marcela Silva auf die Straße tritt, vergewissert sie sich, dass sie nicht als Anhängerin der Arbeiterpartei PT zu erkennen ist. Sie verzichtet auf T-Shirts mit politischen Aufdrucken, die Handzettel mit dem Bild des PT-Präsidentschaftskandidaten Fernando Haddad hat sie in einem neutralen Rucksack verstaut.
"Vor ein paar Tagen haben sie einen Freund von mir verprügelt, weil er Flugblätter für Haddad bei sich hatte", erzählt sie. Ihr Freund kam gerade aus der Uni, als mehrere junge Männer mit einer Eisenstange auf ihn losgingen. "Sie riefen: Du wirst sterben, wir sind Bolsonaro!"
Vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl am kommenden Sonntag greift die politische Gewalt in Brasilien um sich. Nach Angaben der PT ist es in den vergangenen Tagen im ganzen Land zu über 50 Attacken auf PT-Anhänger und Angehörige der LGBT-Gemeinde gekommen. In den meisten Fällen sind Anhänger des ultrarechten Präsidentschaftskandidaten Jair Bolsonaro für die Attacken verantwortlich, der alle Umfragen mit großem Abstand anführt.
In Salvador erstach ein Bolsonaro-Fan einen schwarzen Capoeira-Meister und Musiker, nachdem der sich als PT-Anhänger zu erkennen gegeben hatte. Im Nordost-Bundesstaat Sergipe und in São Paulo wurden zwei Transsexuelle ermordet, in beiden Fällen werden Bolsonaro-Fans als Täter verdächtigt. Ihr Idol hat sich immer wieder verächtlich über Schwule, Lesben und Transsexuelle geäußert, er schürt die Gewaltbereitschaft seiner Anhänger .

Jair Bolsonaro
Foto: Silvia Izquierdo/ dpaAuf einer Kundgebung im Garten seines Hauses in Rio kündigte er eine "umfassende Säuberung" an. "Wir werden die roten Banditen aus unserem Vaterland vertreiben!" In einem Tweet mokierte er sich über das "Geflenne" seiner Gegner.
Seine Anhänger multiplizieren Bolsonaros Hasstiraden auf Twitter, Facebook und Whatsapp; die Schwelle zur Gewalt ist gefährlich gesunken. "Wir trauen uns nur noch in Gruppen auf die Straße", sagt LGBT-Aktivistin Silva.
Gemeinsam mit ihrem Freund Andrey Chagas, ebenfalls LGBT-Aktivist aus dem Amazonas-Bundesstaat Pará, lotst sie die Wahlkampfkarawane des PT-Kandidaten Haddad durch die nachmittägliche Rushour von Rio de Janeiro. Ihr Ziel ist die Favela Maré, eines der größten und gewalttätigsten Elendsviertel der Stadt.
"Die Pastoren rufen im Gottesdienst dazu auf, Bolsonaro zu wählen"
Früher war der Slum eine Hochburg der PT, doch in den vergangenen Wochen sind viele Wähler zu Bolsonaro übergelaufen. Anwohner machen vor allem die evangelikalen Pfingstkirchen, die überall in den Favelas präsent sind, für den Erfolg des Rechtspopulisten verantwortlich: "Die Pastoren rufen während des Gottesdienstes dazu auf, Bolsonaro zu wählen", sagt Monica Silva, eine junge Frau, die als Mitarbeiterin der Gesundheitsbehörde jeden Tag zahlreiche Haushalte besucht.
Etwa 30 Prozent der Brasilianer gehören Schätzungen zufolge den fundamentalistischen Pfingstkirchen an, im Kongress verfügen sie über eine mächtige Lobby. Edir Macedo, ein ehemaliger Straßenhändler, der mit seiner "Igreja Universal" ein weltweites Kirchenimperium errichtet hat, erklärte kurz vor dem ersten Wahlgang seine Unterstützung für Bolsonaro. Zehntausende Pastoren im ganzen Land fungieren seither als inoffizielle Wahlhelfer.

Präsidentschaftswahl: Brasilien vor Rechtsruck
Täglich empfängt der Kandidat in seinem Haus in dem Neureichenviertel Barra da Tijuca Delegationen von Pastoren. Ein Prediger, der trotz der Hitze einen schwarzen Anzug und Krawatte trägt, lächelt beseelt in die Kameras der wartenden Fernsehjournalisten. Statt auf Fragen zu antworten, stimmt er ein religiöses Lied an. "Wir beten, dass Bolsonaro gewinnt", sagt einer seiner Begleiter. Die Trennung von Kirche und Staat ist in Brasilien Fiktion, der Wahlkampf zu einem Religionskrieg geworden.
In Universitäten und anderen öffentlichen Gebäuden tauchen immer öfter Hakenkreuz-Schmierereien auf. Die Polarisierung in der Gesellschaft hat Freundschaften zerstört und Familien zerrissen.
Unter den Gegnern des rechten Kandidaten wächst die Angst vor einer neuen Diktatur. In den vergangenen Tagen wurden zahlreiche öffentliche Universitäten von der Polizei durchsucht. Gerichte ordneten zudem an, dass die Universitäten Protestbanner mit Aufschriften wie "zensiert" oder "Gegen Faschismus. Für Demokratie" abnehmen müssen.
"Bolsonaro versteht nicht, wie eine Regierung funktioniert"

Fernando Haddad
Foto: Marcelo Chello/ dpaAuch in den Amtsstuben der Hauptstadt Brasília macht sich Panik breit. "Bolsonaro versteht nicht, wie eine Regierung funktioniert", klagt eine Beamtin im Landwirtschaftsministerium. "Er wird ein Chaos anrichten".
Auch eingefleischte Gegner der PT warnen vor dem Autoritarismus des Ex-Militärs. "Es riecht nach Faschismus", befand Ex-Präsident Fernando Henrique Cardoso nach dessen jüngsten Hasstiraden. Die ehemalige Umweltministerin und Präsidentschaftskandidatin Marina Silva erklärte nach Wochen des Schweigens ihre "kritische Unterstützung" für Haddad: Bolsonaro stelle eine Gefahr für die Demokratie dar.
Ein Neuanfang - mit einem Rechten an der Spitze?
Doch diese Einsicht kommt wohl zu spät: Haddad hat es nicht geschafft, eine breite, parteienübergreifende Front aller Demokraten auf die Beine zu stellen. Die PT steht in ihrem Kampf gegen Bolsonaro weitgehend allein.
Sie trägt dafür einige Mitverantwortung: Statt den Mitte-Links-Politiker Ciro Gomes zu unterstützen, der eine reelle Chance gegen Bolsonaro gehabt hätte, haben sie auf einem eigenen Kandidaten beharrt. Die Korruptionsskandale aus der Amtszeit von Ex-Staatschef Lula da Silva hat die PT nie aufgearbeitet und damit die Menschen verprellt.
Für viele Wähler steht nun ausgerechnet ein rechtsradikaler Hassredner für die Hoffnung auf einen Neuanfang.