Schwarze Brauer gegen Rassismus
Brasiliens Bier-Provokateure
Ihr Craftbeer ist ein Politikum: Zwei schwarze Brüder mischen mit ihrer Brauerei den brasilianischen Markt auf – mit ihrem Bier wollen sie auch den Rassismus im Land bekämpfen.
Aus Porto Alegre berichten Philipp Lichterbeck
Evgeny Makarov (Fotos)
In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für globale Probleme.
Daniel Dias bricht mit jedem Bierbrauerklischee: Er ist jung, schwarz, von Tattoos übersät, trägt eine Kappe und eine Goldkette um den Hals. Der 31-Jährige ist Chefbrauer der Implicantes, zu Deutsch »Provokateure«. Das Craftbeer-Start-up in Porto Alegre ist laut eigener Aussage die erste Brauerei Brasiliens, in der das ganze Team schwarz ist und das Bier als Instrument der schwarzen Widerstandsbewegung sieht. Seitdem Daniel Dias sie vor zwei Jahren mit seinem 34-jährigen Bruder Diego gegründet hat, erhalten die beiden viel Zuspruch – aber auch viel Hass.
Als sie während der Pandemie eine Crowdfundingkampagne starteten, um ihre Brauerei über Wasser zu halten, bekamen sie wieder einmal den brasilianischen Rassismus zu spüren. »Das Bier wird mit schwarzer Scheiße kommen«, hetzte ein Nutzer in sozialen Netzwerken. Ein anderer schrieb, dass die Biersorte Marielle Franco dann wohl »durchlöchert« ausgeliefert werde – eine Anspielung auf die Stadträtin aus Rio de Janeiro, die sich gegen Diskriminierung und Gewalt einsetzte und 2018 erschossen wurde.
Braumeister Daniel Dias (l.) stellt ein Pils her, Brauereigeselle André Amorim hilft ihm dabei
Foto: Evgeny Makarov
Die Gründer von Implicantes fühlen sich von den Attacken bestärkt: »Wir sind notwendig«, sagt Daniel Dias, »als Vorbild für andere schwarze Unternehmer, als Symbol des Kampfs gegen den Rassismus und natürlich als alternative Brauerei.«
Brasilien präsentiert sich gern als offen und harmonisch, doch die Gesellschaft ist von struktureller Diskriminierung und Rassismus durchdrungen – der oft tödlich ist. Jedes Jahr tötet die Polizei Tausende, meist schwarze Männer. Unzählige Handyvideos von Augenzeugen, die im Internet zirkulieren, dokumentieren rassistische Angriffe und exzessive Gewalt.
Durchlöcherte Schießposter der Polizei: Schwarze Brasilianer werden besonders häufig erschossen
Foto: Evgeny Makarov
Im vergangenen November prügelten Sicherheitskräfte eines Carrefour-Supermarkts in Porto Alegre, wo die Bierbrauer wohnen, einen schwarzen Kunden tot – Tausende gingen daraufhin im ganzen Land auf die Straßen.
Auch die meisten Schlüsselposten in Politik und Wirtschaft sind von Weißen besetzt – und bis in den Biermarkt hinein ist spürbar, wer das Land kontrolliert. Bei Messen sind die Dias-Brüder häufig die einzigen schwarzen Teilnehmer. Wenn sie ihr Bier präsentieren, sind sie oft Blicken, manchmal auch Witzen ausgesetzt, die sich auf ihre Hautfarbe beziehen.
Rassismus ist auch auf vielen Etiketten alltäglich: Auf dunklen Bieren prange Daniel Dias zufolge in der Regel eine sexualisiert inszenierte schwarze Frau, die Biere trügen Namen wie mulata, Mulattin.
Mit ihrer Brauerei möchten die Gründer die Verhältnisse verändern: »Wir wollen Themen ansprechen, die in unserer Gesellschaft etabliert sind, und die nicht hinterfragt werden«, sagt Dias. Dazu gehört auch, dass Craftbeer wie alle etwas teureren Konsumprodukte in Brasilien vor allem von den Wohlhabenden konsumiert wird. Das Bier der Dias-Brüder soll für alle zugänglich sein: »Natürlich mögen auch ärmere Brasilianer gutes Bier«, sagt Daniel Dias. »Unser Bier soll nicht exklusiv, sondern demokratisch und inklusiv sein.«
Sehen Sie in der Fotostrecke, wie die Bier-Provokateure arbeiten – und mit welchen Problemen sie im Alltag kämpfen:
Foto: Evgeny Makarov
Fotostrecke
Brauerei-Aktivisten Dias: Hold my beer!
Mitarbeit: Sonja Peteranderl
Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft
Unter dem Titel Globale Gesellschaft berichten Reporterinnen und Reporter aus Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa - über Ungerechtigkeiten in einer globalisierten Welt, gesellschaftspolitische Herausforderungen und nachhaltige Entwicklung. Die Reportagen, Analysen, Fotostrecken, Videos und Podcasts erscheinen im Auslandsressort des SPIEGEL. Das Projekt ist langfristig angelegt und wird über drei Jahre von der Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt.
Ein ausführliches FAQ mit Fragen und Antworten zum Projekt finden Sie hier.
Die Bill & Melinda Gates Foundation (BMGF) unterstützt das Projekt über drei Jahre mit einer Gesamtsumme von rund 2,3 Mio. Euro.
Ja. Die redaktionellen Inhalte entstehen ohne Einfluss durch die Gates-Stiftung.
Ja. Große europäische Medien wie "The Guardian" und "El País" haben mit "Global Development" beziehungsweise "Planeta Futuro" ähnliche Sektionen auf ihren Nachrichtenseiten mit Unterstützung der Gates-Stiftung aufgebaut.
Der SPIEGEL hat in den vergangenen Jahren bereits zwei Projekte mit dem European Journalism Centre (EJC) und der Unterstützung der Bill & Melinda Gates Foundation umgesetzt: Die "Expedition Übermorgen" über globale Nachhaltigkeitsziele sowie das journalistische Flüchtlingsprojekt "The New Arrivals", in deren Rahmen mehrere preisgekrönte Multimedia-Reportagen zu den Themen Migration und Flucht entstanden sind.
Die Brüder Daniel und Diego Dias sehen sich als Bier-Aktivisten: Mit Implicantes, Provokateure, wollen sie eine neue, schwarze Bierkultur etablieren. Die Mischung aus bunter Hipsterästhetik und politischer Haltung trifft das Zeitgefühl der zunehmend selbstbewussten, jungen, schwarzen Generation in Brasilien, die sich nicht länger anpassen will, sondern lautstark für ihre Rechte eintritt.
Foto: Evgeny Makarov
2 / 13
Schwarze Brauereibesitzer sind in Brasilien noch eine Seltenheit. Chefbrauer Daniel (im Bild) arbeitete früher als Ingenieur, Diego verkaufte Reiseversicherungen – in ihrer Freizeit brauten sie Bier im Haus ihrer Mutter. Vor zwei Jahren haben sie ihr Hobby zum Beruf gemacht.
Foto: Evgeny Makarov
3 / 13
Mit Eigenkapital kauften sie eine kleine Brauerei: eine Halle mit Braukesseln, Tanks zur Fermentierung, einem Kühlraum zur Lagerung. Gegründet wurde sie am 20. November 2018, dem Tag des schwarzen Bewusstseins, der dem Widerstand gegen Sklaverei und Rassismus gewidmet ist.
Foto: Evgeny Makarov
4 / 13
Die Atmosphäre in der Brauerei ist familiär. Brauereigeselle André Amorim hat seinen 19 Monate alten Sohn mitgebracht. Auch ein Cousin der Brüder arbeitet im Betrieb. Während des Brauprozesses klingt durch die Halle Blues von B. B. King.
Foto: Evgeny Makarov
5 / 13
Das Gebäude liegt im Industriegebiet Anchieta am Stadtrand von Porto Alegre, in dem es zwei Dutzend weitere kleine Brauereien gibt. In den vergangenen Jahren sind in ganz Brasilien viele Mikrobrauereien entstanden, die abseits des Massenmarktes mit neuen Aromen, einer jüngeren Aufmachung und neuen Konzepten experimentieren.
Foto: Evgeny Makarov
6 / 13
Brasilien ist nach China und den USA der drittgrößte Biermarkt weltweit. Der Süden, wo die Dias-Brüder leben, hat eine besonders starke Biertradition: Einwanderer aus Deutschland hatten die Bierkultur im 19. Jahrhundert mitgebracht. Bis heute wird die Branche von weißen Brauern dominiert – das wollen die Dias-Brüder ändern.
Foto: Evgeny Makarov
7 / 13
Brauen ist hier ein politischer Akt: An den Zapfhähnen prangen in die Luft gestreckte Fäuste, ein Symbol der schwarzen Widerstandsbewegung. Daniel Dias hat auch eine Hopfenfrucht mit einem Zünder auf seinen Arm tätowiert – eine »Hopfengranate«, scherzt er.
Foto: Evgeny Makarov
8 / 13
Die Biersorten von Implicantes sind typische Craft-Biere. Sie werden ausschließlich aus Gerstenmalz hergestellt und nicht wie sonst in Brasilien oft üblich aus Mais oder Reis. Ein halber Liter Pils kostet rund 2,40 Euro – im Vergleich zu normalem Bier ist das nicht gerade billig, für Craft-Bier-Verhältnisse in Brasilien aber relativ günstig.
Foto: Evgeny Makarov
9 / 13
Bis zu 10.000 Liter Bier im Monat kann die Brauerei produzieren – theoretisch. Doch die gebraucht gekaufte Produktionsanlage fiel immer wieder aus und musste repariert werden. Bisher stellten die Brüder daher nur rund 3.000 Liter Bier monatlich her und mussten die Verluste mit Krediten überbrücken.
Foto: Evgeny Makarov
10 / 13
Auch aufgrund der Pandemie brach ihr Umsatz ein. Doch mit den rund 30.000 Euro, die sie mit einem Crowdfunding eingesammelt haben, können sie nun trotzdem Fachkräfte für die Instandhaltung der Anlage einstellen, neue Dosen- und Flaschenabfüllanlagen besorgen und expandieren.
Foto: Evgeny Makarov
11 / 13
Am Anfang waren es vor allem Freunde und Bekannte, die das Bier etwa für Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern bestellten, mit der Zeit wurde die Brauerei aber immer bekannter. Die Kunden sind oft politisch interessiert, unter ihnen sind viele Schwarze. »Foda-se o racismo« (Fuck Rassismus) ist der Slogan der Brauerei.
Foto: Evgeny Makarov
12 / 13
In Porto Alegre haben zwei alternative Bars Biere von Implicantes im Angebot. Bisher beliefern die Brauer nur Kunden aus ihrem eigenen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Bald wollen sie auch in anderen Regionen des Landes vertreten sein.
Foto: Evgeny Makarov
13 / 13
Die Biere zelebrieren schwarze Kultur: Auf den Dosen sind schwarze Persönlichkeiten wie der Fußballer Leônidas da Silva oder die Schriftstellerin Maria Firmina dos Reis abgebildet, deren 1859 erschienener Roman »Ùrsula« das Leben in der Sklaverei beschrieb. Ihr American Brown Ale haben die Brauer Abolicionista (Abolitionist) genannt und Luís Gama aufs Etikett gehoben, einen Anwalt, der Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei kämpfte.
Foto: Evgeny Makarov
Die Brüder Daniel und Diego Dias sehen sich als Bier-Aktivisten: Mit Implicantes, Provokateure, wollen sie eine neue, schwarze Bierkultur etablieren. Die Mischung aus bunter Hipsterästhetik und politischer Haltung trifft das Zeitgefühl der zunehmend selbstbewussten, jungen, schwarzen Generation in Brasilien, die sich nicht länger anpassen will, sondern lautstark für ihre Rechte eintritt.
Foto: Evgeny Makarov
Schwarze Brauereibesitzer sind in Brasilien noch eine Seltenheit. Chefbrauer Daniel (im Bild) arbeitete früher als Ingenieur, Diego verkaufte Reiseversicherungen – in ihrer Freizeit brauten sie Bier im Haus ihrer Mutter. Vor zwei Jahren haben sie ihr Hobby zum Beruf gemacht.
Foto: Evgeny Makarov
Mit Eigenkapital kauften sie eine kleine Brauerei: eine Halle mit Braukesseln, Tanks zur Fermentierung, einem Kühlraum zur Lagerung. Gegründet wurde sie am 20. November 2018, dem Tag des schwarzen Bewusstseins, der dem Widerstand gegen Sklaverei und Rassismus gewidmet ist.
Foto: Evgeny Makarov
Die Atmosphäre in der Brauerei ist familiär. Brauereigeselle André Amorim hat seinen 19 Monate alten Sohn mitgebracht. Auch ein Cousin der Brüder arbeitet im Betrieb. Während des Brauprozesses klingt durch die Halle Blues von B. B. King.
Foto: Evgeny Makarov
Das Gebäude liegt im Industriegebiet Anchieta am Stadtrand von Porto Alegre, in dem es zwei Dutzend weitere kleine Brauereien gibt. In den vergangenen Jahren sind in ganz Brasilien viele Mikrobrauereien entstanden, die abseits des Massenmarktes mit neuen Aromen, einer jüngeren Aufmachung und neuen Konzepten experimentieren.
Foto: Evgeny Makarov
Brasilien ist nach China und den USA der drittgrößte Biermarkt weltweit. Der Süden, wo die Dias-Brüder leben, hat eine besonders starke Biertradition: Einwanderer aus Deutschland hatten die Bierkultur im 19. Jahrhundert mitgebracht. Bis heute wird die Branche von weißen Brauern dominiert – das wollen die Dias-Brüder ändern.
Foto: Evgeny Makarov
Brauen ist hier ein politischer Akt: An den Zapfhähnen prangen in die Luft gestreckte Fäuste, ein Symbol der schwarzen Widerstandsbewegung. Daniel Dias hat auch eine Hopfenfrucht mit einem Zünder auf seinen Arm tätowiert – eine »Hopfengranate«, scherzt er.
Foto: Evgeny Makarov
Die Biersorten von Implicantes sind typische Craft-Biere. Sie werden ausschließlich aus Gerstenmalz hergestellt und nicht wie sonst in Brasilien oft üblich aus Mais oder Reis. Ein halber Liter Pils kostet rund 2,40 Euro – im Vergleich zu normalem Bier ist das nicht gerade billig, für Craft-Bier-Verhältnisse in Brasilien aber relativ günstig.
Foto: Evgeny Makarov
Bis zu 10.000 Liter Bier im Monat kann die Brauerei produzieren – theoretisch. Doch die gebraucht gekaufte Produktionsanlage fiel immer wieder aus und musste repariert werden. Bisher stellten die Brüder daher nur rund 3.000 Liter Bier monatlich her und mussten die Verluste mit Krediten überbrücken.
Foto: Evgeny Makarov
Auch aufgrund der Pandemie brach ihr Umsatz ein. Doch mit den rund 30.000 Euro, die sie mit einem Crowdfunding eingesammelt haben, können sie nun trotzdem Fachkräfte für die Instandhaltung der Anlage einstellen, neue Dosen- und Flaschenabfüllanlagen besorgen und expandieren.
Foto: Evgeny Makarov
Am Anfang waren es vor allem Freunde und Bekannte, die das Bier etwa für Hochzeiten oder Geburtstagsfeiern bestellten, mit der Zeit wurde die Brauerei aber immer bekannter. Die Kunden sind oft politisch interessiert, unter ihnen sind viele Schwarze. »Foda-se o racismo« (Fuck Rassismus) ist der Slogan der Brauerei.
Foto: Evgeny Makarov
In Porto Alegre haben zwei alternative Bars Biere von Implicantes im Angebot. Bisher beliefern die Brauer nur Kunden aus ihrem eigenen Bundesstaat Rio Grande do Sul. Bald wollen sie auch in anderen Regionen des Landes vertreten sein.
Foto: Evgeny Makarov
Die Biere zelebrieren schwarze Kultur: Auf den Dosen sind schwarze Persönlichkeiten wie der Fußballer Leônidas da Silva oder die Schriftstellerin Maria Firmina dos Reis abgebildet, deren 1859 erschienener Roman »Ùrsula« das Leben in der Sklaverei beschrieb. Ihr American Brown Ale haben die Brauer Abolicionista (Abolitionist) genannt und Luís Gama aufs Etikett gehoben, einen Anwalt, der Mitte des 19. Jahrhunderts gegen die Sklaverei kämpfte.