Ministertreffen in Bratislava EU will bei Verteidigung zusammenrücken - notfalls ohne Briten

Ministerin von der Leyen in Bratislava und Kollege Le Drian
Foto: Christian Bruna/ dpaSchaut man sich Ursula von der Leyen und Jean-Yves Le Drian vor dem Treffen der Verteidigungsminister in Bratislava an, könnte man meinen, Berlin und Paris hätten sich nie lieber gemocht. "Mein Freund!", ruft von der Leyen und lacht, als Le Drian mitten in ihr Pressestatement platzt. Eigentlich ist das ein kleiner Fauxpas, doch von Irritation keine Spur. "Das ist meine Freundin", flötet Frankreichs Verteidigungsminister. Er sagt noch ein paar Sätze über das starke deutsch-französische Verhältnis, dann schlendern die beiden Arm in Arm ins neoklassizistische Tagungsgebäude.
Bei dem, was die Deutsche und der Franzose vorhaben, werden sie jede Einigkeit brauchen. Die EU-Minister berieten am Dienstag erstmals über die deutsch-französische Initiative zu stärkerer Zusammenarbeit bei Sicherheit und Verteidigung. Deren Befürworter - neben Deutschland und Frankreich sind dies vor allem Italien und Spanien - fordern im Kern folgendes:
- Ein permanentes EU-Hauptquartier für zivile und militärische Operationen. Derzeit ist die militärische Führung der EU auf nicht weniger als fünf Kommandozentren verteilt, was immer wieder für Reibungsverluste sorgt.
- Eine bessere Nutzung der EU-Kampfverbände. Die seit 2005 existierenden "Battlegroups" der EU mit 1500 bis 3000 Mann wurden bisher noch nie eingesetzt. Das soll sich nach Vorstellungen der EU-Kommission ändern; Deutschland und Frankreich wollen zudem das Eurokorps stärken.
- Ein europäisches Sanitätskommando, um mobile Kliniken und Ärzte schnell an Krisenherde zu bringen. In der Ebola-Krise etwa "war die EU nicht handlungsfähig", kritisiert von der Leyen.
- Eine bessere Zusammenarbeit bei Truppen- und Materialtransport, bei der Auswertung von Satellitenbildern und bei Rüstungsinvestitionen.
Der Zeitpunkt, heißt es aus Verhandlungskreisen in Bratislava, sei günstig wie vielleicht seit Jahrzehnten nicht: Mit den Briten würden demnächst die härtesten Gegner der Militärpläne aus der EU verschwinden, und im Frühjahr stehen in Frankreich, den Niederlanden und Bulgarien schon wieder Wahlen an.
Doch wer hoffte, die Briten würden nach dem Austrittsreferendum ihre Blockadehaltung aufgeben, sah sich getäuscht.
"Wir sind weiterhin gegen jeden Vorschlag einer EU-Armee oder eines EU-Armeehauptquartiers", sagte Londons Minister Michael Fallon vor dem Treffen in Bratislava. "Das würde die Nato schlicht untergraben." Das Verteidigungsbündnis müsse ein "Eckstein" der europäischen Verteidigung bleiben.

Michael Fallon
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In Berlin und Paris hatte man mit so etwas gerechnet. Beide Regierungen wollen einen bisher ungenutzten EU-Mechanismus einsetzen, sollten die Briten ihren Widerstand nicht aufgeben: die "ständige strukturierte Zusammenarbeit", kurz SSZ.
Artikel 42 und 46 des Vertrags von Lissabon erlauben es einer Gruppe von Mitgliedsländern, sich zusammenzutun. Die Bundesregierung glaubt laut einem internen Vermerk, dass einzelne Staaten das nicht verhindern können: Der Europäische Rat könne die SSZ mit qualifizierter Mehrheit beschließen. Sie ist erreicht, wenn mindestens 20 der 28 Mitgliedstaaten mit zusammen 65 Prozent der EU-Bevölkerung zustimmen.
Doch Fallon gibt sich davon unbeeindruckt. "Es gibt hier keine Mehrheit für eine EU-Armee", so der Brite. Großbritannien habe Schweden, die Niederlande, Polen, Lettland und Litauen auf seiner Seite - also einige jener Staaten, die traditionell auf die Nato als Gegengewicht zu Russland setzen.
London macht aktiv Lobby gegen Kooperationspläne
Damit scheint die größte Befürchtung der Deutschen wahr zu werden: Die Briten halten nicht nur nicht still, sondern machen aktiv Lobby gegen die Kooperationspläne. Sollte London noch mehr Länder auf seine Seite ziehen, könnte sogar die Mehrheit für die SSZ im Rat wackeln.
Für diese Diskussion aber, beschwichtigen Diplomaten aus den Befürworterländern, sei es noch zu früh. Derzeit gehe es nur um einen ersten Gedankenaustausch. Alle 28 Mitgliedstaaten - also auch Großbritannien - seien sich einig, dass die EU in Sachen Verteidigung effektiver zusammenarbeiten müsse, sagte die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nach dem Treffen. Das sei, anders als von den Kritikern befürchtet, kein Angriff auf die Nato.
Ähnlich äußerte sich Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der ebenfalls nach Bratislava gekommen war. "Es gibt keinen Widerspruch zwischen einer starken europäischen Verteidigung und einer starken Nato", so Stoltenberg. "Beide verstärken sich gegenseitig."

Verteidigungsministertreffen in Bratislava
Foto: Christian Bruna/ dpa
Sollten sich die Briten am Ende dennoch verweigern, was Diplomaten für wahrscheinlich halten, könnte man auch die SSZ-Karte spielen - daran ließen die Befürworter der Zusammenarbeit keinen Zweifel. "Diese Option lag heute auf dem Tisch", sagte Mogherini. Und sie sei bereit, sie einzusetzen.
Wie weit die von ihr beschworene Einigkeit reicht, wird man schon in wenigen Wochen sehen können. Mogherini will die Vorschläge aus den EU-Hauptstädten zu einem Plan verdichten, den die Verteidigungsminister bei ihrem nächsten Treffen Mitte November verabschieden könnten. Eine Entscheidung wäre dann beim Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember möglich.
Sollte dort die ständige strukturierte Zusammenarbeit beschlossen werden, muss das aber keinesfalls bedeuten, dass die EU plötzlich einig vorwärtsmarschiert. Denn ist die SSZ erst einmal eingerichtet, können deren Mitglieder Beschlüsse wieder nur einstimmig fassen. Damit hat jedes Land ein Vetorecht. Erpressungspotenzial inklusive.
Zusammengefasst: Deutschland und Frankreich wollen die EU-Verteidigungspolitik stärker verzahnen: Sie fordern unter anderem ein permanentes EU-Hauptquartier und eine bessere Nutzung der EU-Kampfverbände. Doch die Briten wollen das verhindern und suchen dafür Verbündete. Berlin und Paris könnten nun zu einem Trick greifen und einen bisher ungenutzten Mechanismus im Vertrag von Lissabon aktivieren.