Bremse Großbritannien Warum die Briten die EU blockieren
London - Glaube nur keiner, die Zukunft bringe bessere Zeiten. Im Gegenteil. Was Großbritanniens Beitrag zur Europäischen Union angeht, wird der Wechsel von Tony Blair zu Gordon Brown im Amt des Premierministers den Grundsatz bestätigen: "Es kommt nichts Besseres nach."
Blair war der europafreundlichste britische Regierungschef, seit der Konservative Edward Heath 1973 die verspätete Aufnahme des Landes in die damalige EWG durchsetzte. Die Szene aus Brüssel, wo Blair an diesem Freitagmittag als Oberblockierer dasteht, wird sich immer wieder aufs Neue wiederholen. Nur dürfte der Ton unter Brown, der ab Mittwoch im Amt ist, deutlich rauer werden. Gar nicht zu reden von seinem konservativen Herausforderer David Cameron, der nach derzeitigen Umfragen die nächste Wahl gewinnen wird und sich im Europaparlament mit EU-Feinden und Rechtspopulisten zusammentun will.
Stur Nein sagen, bis das Projekt kippt - so tickt Brown
Blairs panisches Bestehen auf "roten Linien" und auf der Vetomöglichkeit in allen Fragen der Außenpolitik, in der Sicherheits- und Rechtspolitik sowie bei der Grundrechtecharta hat zwei Gründe. Erstens agiert der scheidende Premier als Megaphon des kommenden. Gordon Browns prägende EU-Erfahrung war der Streit um die geplante Quellensteuer auf Sparguthaben im europäischen Ausland. Stur widerstand der Brite allem Druck, bis die Steuer vom Tisch war.
So glaubt Brown, auch in Zukunft EU-Politik machen zu können. Blairs harte Haltung ist nur ein Vorgeschmack darauf.
Zweitens hat es Blair daheim mit einer EU-skeptischen Öffentlichkeit und ganz überwiegend EU-feindlichen Medien zu tun. Die Vermeidung eines Referendums über den jetzt diskutierten verschlankten Vertrag ist "die Benchmark, auf die es den Briten ankommt", sagt ein europäischer Spitzendiplomat.
Blair benutzt das Referendum ganz offen als Druckmittel und offenbart damit das jämmerliche Scheitern seiner Europapolitik der vergangenen zehn Jahre: Großbritanniens Haltung zur EU ist keineswegs positiver oder wenigstens realistischer geworden, sondern immer skeptischer. Ausnahmen wie die neue Minderheitsregierung der schottischen Nationalisten in Edinburgh bestätigen die Regel.
Die Londoner Debatte beherrschen EU-feindliche Zeitungen wie "Daily Mail" und die Blätter des Medienunternehmers Rupert Murdoch ("Times", "Sun"). Wie sich der amerikanische Staatsbürger Murdoch die EU vorstellt, war kürzlich in einem "Sun"-Leitartikel nachzulesen: "Unsere Politiker müssen die EU dazu bringen, wieder zu jener Freihandelszone zu werden, die vor einem halben Jahrhundert angestrebt wurde."
Traditionell robuster Polit-Ton der Briten
Dass sich die britischen Vertreter im Brüsseler Konferenzsaal häufig isoliert finden, hat neben inhaltlichen Differenzen auch psychologische Gründe. Traditionell ist der Ton der politischen Debatte in London robuster als auf dem Kontinent. Extremforderungen aufzustellen, anschließend aber doch einem brauchbaren Kompromiss zuzustimmen - das gilt nicht als Gesichtsverlust, sondern als hohe Kunst.
Tief verwurzelt in der britischen Psyche ist außerdem das Gefühl, dass Isolation nicht immer falsch sein muss. Schließlich stand das damalige Empire im Juni 1940 auch vollkommen allein der Blitzkriegs-Maschine der Nazis gegenüber.
Londons politische Elite lehnte das europäische Einigungsprojekt zunächst ab. In den sechziger Jahren dann fühlte sich der "kranke Mann Europas" durch die Beitritts-Vetos des französischen Präsidenten Charles de Gaulle tief verletzt. Nach ihrer doch noch erfolgten Aufnahme bemühten sich die Briten lange Zeit vergeblich, das französisch-deutsche Kartell zu durchbrechen.
In den 34 Jahren der britischen Mitgliedschaft haben Großbritannien und die EU freilich voneinander profitiert. Der gut funktionierende Binnenmarkt, die größere Haushaltsdisziplin der vergangenen Jahre, vor allem die Erweiterung auf 27 Mitglieder: Bei all diesen Vorhaben gehörten die Briten zu den Vorreitern. Ihre Skepsis gegenüber der Brüsseler Regelflut ist längst europäisches Allgemeingut geworden.
Allerdings hat sich Großbritannien seit Gründung des Binnenmarktes vor mehr als 20 Jahren an keinem Projekt europäischer Integration beteiligt. Weder das Abkommen von Schengen (Freizügigkeit an den Grenzen) noch der Vertrag von Prüm (Datenabgleich durch Polizei und Staatsanwaltschaft) trägt eine britische Unterschrift. Den Beitritt zur Währungsunion, den Premier Blair gern durchgesetzt hätte, vereitelte der bisherige Schatzkanzler Brown.
Tony Blair: "Überzeugter Europäer"?
Blair hat sich einen "überzeugten Europäer" genannt, und das ist nicht einmal falsch. "Wenn er im Unterhaus über Europa redet, verändert sich seine Stimme. Da merkt man: Der mag die EU", hat Denis MacShane beobachtet, der seinem Premier drei Jahre lang als Europa-Staatssekretär diente. "Aber eine ganze Reihe der Kollegen Regierungschefs beeindrucken ihn nicht sonderlich."
Von Angela Merkel und Frankreichs Nicolas Sarkozy hingegen ist er sehr angetan, weil sie in vieler Hinsicht die britische Weltsicht teilen: reformorientiert in der Wirtschaftspolitik, pro-amerikanisch, liberal in Gesellschaftsfragen.
Dass all dies aber nicht den Willen zu enger Zusammenarbeit in Europa ausschließt, scheinen die Briten nicht zu verstehen. Oder sie wollen nicht.