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Abstimmung in London Unterhaus will Brexit nur mit Abkommen - und nachverhandeln

Die Abgeordneten im britischen Parlament lehnen einen ungeregelten Brexit ab und verlangen Nachverhandlungen mit der EU über die Nordirlandfrage.

Das britische Parlament sagt endlich, was es will: Die Abgeordneten stimmten am Dienstagabend dafür, dass es einen Brexit nur dann geben soll, wenn ein Austrittsabkommen mit der EU zustande kommt.

Die Parlamentarier billigten einen Antrag der konservativen Abgeordneten Caroline Spelman, der einen sogenannten No-Deal-Brexit ablehnt. Dabei wird allerdings nicht konkretisiert, wie die Regierung dies verhindern soll.

318 Parlamentarier stimmten dafür, 310 dagegen. Damit fiel die Entscheidung sehr knapp aus. Auch mehrere Tories stimmten dafür und stellten sich damit gegen Premierministerin Theresa May, die einen No-Deal-Brexit nicht ausschließen wollte. Der Antrag ist noch nicht bindend.

Auch in einer anderen Frage legten sich die Abgeordneten mehrheitlich fest: Sie votierten mit 317 zu 301 Stimmen dafür, dass die Regierung in London Nachverhandlungen mit der EU über das Irlandproblem aufnimmt. Der Antrag stammte von dem konservativen Abgeordneten Graham Brady. Dabei geht es darum, wie die Grenze zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Land Irland geregelt werden soll, wenn das Königreich nicht mehr Mitglied der Europäischen Union ist.

Die bisher vorgesehene Regelung sieht vor, dass Großbritannien in der EU-Zollunion bleibt, sollte man sich mit Brüssel nicht rechtzeitig auf ein Freihandelsabkommen verständigen. Auf diese Weise will man eine harte Grenze auf der irischen Insel vermeiden. Daran stören sich allerdings viele Briten, die eine ewige Bindung an die Europäische Union fürchten.

Wie es anders funktionieren könnte, ist allerdings völlig offen. Denn die Europäische Union machte am Dienstagabend binnen Minuten klar: Änderungen am Brexit-Vertrag werde es nicht geben. Dies teilte ein Sprecher von EU-Ratspräsident Donald Tusk mit. Diese Linie sei mit den Hauptstädten der 27 verbleibenden EU-Staaten abgestimmt.

Man sei aber offen für eine Verschiebung des Brexit-Datums 29. März. "Sollte es einen begründeten Antrag für eine Verlängerung geben, wären die EU-27 bereit, ihn in Erwägung zu ziehen und darüber einstimmig zu entscheiden", ließ Tusk erklären.

Zuvor hatten im britischen Parlament fünf andere Anträge zur Regelung des Brexit-Verfahrens keine Mehrheit unter den Abgeordneten erzielt:

  • Zunächst lehnte das britische Unterhaus einen Antrag des oppositionellen Labour-Chefs Jeremy Corbyn ab, wonach es weitere Abstimmungen über eine engere Bindung an die EU nach dem Brexit und ein zweites Referendum geben sollte. Damit wollte Corbyn einen ungeordneten Brexit verhindern. 296 Abgeordnete stimmten dafür, 327 dagegen. Mit dem Ergebnis war gerechnet worden.
  • Danach wurde auch der Vorschlag der schottischen Nationalpartei SNP für einen Verbleib Schottlands in der EU trotz Brexit vom britischen Unterhaus abgelehnt - und zwar deutlich. Der von Fraktionschef Ian Blackford eingebrachte Antrag sah zudem eine Verschiebung des EU-Austritts vor. Nur 39 Abgeordnete stimmten dafür, 327 dagegen.
  • Anschließend wurde auch ein dritter Antrag mit 321 zu 301 Stimmen abgelehnt. Dabei handelte es sich um das sogenannte Grieve's Amendment, das die Entscheidung über den Brexit-Kurs in die Hände des Parlaments legen sollte. Das Ergebnis war verhältnismäßig knapp - offenbar stimmten auch Labour-Abgeordnete für den Vorschlag des konservativen Abgeordneten Dominic Grieve. Dennoch reichte es nicht für eine Mehrheit.
  • Selbst der vierte Antrag, dem am ehesten die Chance auf eine Mehrheit zugetraut worden war, scheiterte. Das Parlament lehnte den sogenannten Cooper-Antrag mit 321 Neinstimmen zu 298 Jastimmen ab. Er stammte von der Labour-Abgeordneten Yvette Cooper und sah ein Gesetzgebungsverfahren zur Verschiebung des EU-Austritts vor.
  • Danach folgte Antrag "J" - auch er wurde abgelehnt. 290 Abgeordnete stimmten dafür, 322 dagegen. Der Antrag stammte von der Labour-Abgeordneten Rachel Reeves und sah ebenfalls eine mögliche Verschiebung des EU-Austritts vor.

Zusammen mit den beiden schlussendlich angenommenen Vorschlägen lagen dem Parlament insgesamt sieben Anträge vor.

Abschließend muss noch über das Gesamtpaket abgestimmt werden. Sollte es abgelehnt werden, sind alle Änderungen hinfällig.

Das britische Pfund geriet während der diversen Abstimmungen im Parlament unter Druck. Der Kurs gegenüber dem Dollar gab nach, gegenüber dem Euro fiel er auf ein Tagestief.

Premierministerin Theresa May hatte zuvor eingeräumt, dass die von ihr angestrebten Neuverhandlungen mit der EU über die Nordirlandregelungen "nicht einfach" würden. In einem Telefonat, das sie mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker geführt habe, sei der Widerstand aus Brüssel gegen ein Aufschnüren des Brexit-Abkommens deutlich geworden, sagte May. "Es wird nicht einfach sein."

Unterdessen hat das niederländische Parlament der Regierung in Den Haag Sondervollmachten zugestanden für den Fall, dass Großbritannien ohne ein Abkommen aus der Europäischen Union ausscheidet. Die Abgeordneten erteilten der Regierung das Recht, in einem solchen Fall Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments zu ändern. Sie beschränkten dieses Recht aber auf ein halbes Jahr.

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Über welche Anträge abgestimmt wurde - hier der Überblick.

Wie das Parlament seine Macht gegenüber Theresa May stärkt - hier eine Analyse.

wal/dpa/Reuters
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