Endlich verständlich Das Wichtigste zum Brexit

Das Wichtigste zum Brexit - endlich verständlich
Am 23. Juni 2016 haben die Briten in einem Referendum mit knapper Mehrheit von 51,9 Prozent für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt, den sogenannten Brexit. Die Wahlbeteiligung lag bei 72 Prozent. Schottland und Nordirland sprachen sich mehrheitlich dagegen aus, Wales und England dafür. Um die Stimmen der Briten wurde von beiden Lagern hart gekämpft. Die „Leave“-Befürworter rund um Tory-Polterer Boris Johnson und Ukip-Chef Nigel Farage hatten ihre Kampagne populistisch zugeschnitten und sogar mit unwahren Behauptungen gespickt. Etwa damit, dass wöchentlich 350 Millionen Pfund, die das Königreich angeblich an die EU zahle, nach einem Austritt in das Gesundheitswesen fließen könnten.
Großbritanniens Haltung zum „Projekt Europa“ war von Anfang an zwiespältig. Zwar forderte schon Winston Churchill nach Ende des Zweiten Weltkriegs "eine Art Vereinigte Staaten von Europa", seine Briten sollten allerdings nicht Teil dieses Bundes sein. Und so bemühte sich das wirtschaftlich schwächelnde Land auch erst seit den Sechzigerjahren um einen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), der 1973 erfolgte. Doch wenig später kam es bereits wieder zu Absetzbewegungen, die ein erstes Referendum 1975 nach sich zogen: Mehr als 67 Prozent der Briten sprachen sich damals jedoch für einen Verbleib in der Gemeinschaft aus.
Dennoch pochten die Briten auf einen Sonderstatus. So setzte die konservative Premierministerin Margaret Thatcher 1984 den viel zitierten Briten-Rabatt durch, wonach Großbritannien einen Ausgleich für seine Zahlungen in den EU-Haushalt erhält. Auch bei den Schengener Abkommen blieb Großbritannien weitgehend außen vor. Dem Euro schloss sich das Königreich ausdrücklich nicht an.
In den Jahren vor dem Referendum hatte die Schuldenkrise im Euroraum dazu beigetragen, dass die immanente britische EU-Skepsis wuchs. Kritiker befürchteten gravierende Konsequenzen für die britische Wirtschaft und einen Bedeutungsverlust der Nationalstaaten. Hinzu kam die Angst bei manchen Briten vor zunehmender Einwanderung der neuen EU-Bürger aus Osteuropa. Das trug zum Aufstieg der EU-kritischen UK Independence Party (Ukip) bei. Deren Siegeszug erhöhte den Druck auf den konservativen Premier David Cameron, EU-kritische Töne anzuschlagen und gegenüber der Gemeinschaft hart aufzutreten. So verweigerte er 2011 etwa die Zustimmung zum Europäischen Fiskalpakt, der strenge Haushaltsdisziplin und nationale Schuldenbremsen verordnete.
Mit Blick auf die Unterhauswahl 2015 hatte Cameron den Briten dann eine Volksabstimmung versprochen, sollten er und seine Tories wiedergewählt werden. Damit erfüllte er eine langjährige Forderung der EU-Gegner in seiner Partei. Im Vorfeld des Referendums warb der Premier für den Verbleib in der EU. Dieser liege im nationalen Interesse. Weil die Wähler anders entschieden, trat er zurück. Als Nachfolgerin setzte sich Theresa May bei den Tories durch.
Grundsätzlich ist es jedem Staat erlaubt, internationale Verbindungen wie die Europäische Union auch wieder zu verlassen. Im Vertrag von Lissabon wurde erstmals auf Betreiben der Briten ein solches Verfahren durch eine Austrittsklausel schriftlich festgehalten. Seit Ende 2009 gilt Artikel 50, Absatz 1 des EU-Vertrags: "Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten."
Die Absätze 2 bis 4 erläutern das Prozedere eines formellen Austritts. Dementsprechend hat Premierministerin Theresa May dem Europäischen Rat, also den Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten, ihre Absicht auszutreten, am 29. März 2017 offiziell mitgeteilt. Daraufhin wurden Verhandlungen zwischen dem austrittswilligen Mitgliedsstaat und dem Europäischen Rat in Gang gesetzt. Die EU-Kommission hat für die Rolle des Verhandlungsführers den ehemaligen französischen Außenminister Michel Barnier eingesetzt. Neben der Kommission gestaltet auch der Europäische Rat die Verhandlungen mit. Ziel dieser Verhandlungen war ein Abkommen, das die Einzelheiten des Austritts regelt, erst danach sollte ein Rahmen für zukünftige Beziehungen des Vereinten Königreichs mit der Union gesteckt werden. An den Beratungen des Rates über den Austritt und dem anschließenden Beschluss über das Abkommen darf Großbritannien selber laut Absatz 4 nicht teilnehmen.
Auf europäischer Seite muss der Europäische Rat das fertige Abkommen mit superqualifizierter Mehrheit beschließen. Aber auch das Europäische Parlament hat dabei ein Vetorecht. Und auch das britische Parlament muss dem Abkommen zustimmen.
Der Zug Richtung Brexit kann rein theoretisch auch noch gestoppt werden und das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleiben. Dazu müsste wohl ein neues Referendum angesetzt werden. Es ist aber auch möglich, dass Großbritannien nach dem 29. März 2019 ohne Abkommen die Union verlässt. Die wirtschaftlichen Folgen wären dann aber kaum vorhersehbar.
Schon zu Beginn der Verhandlungen hat die EU klargemacht, dass Großbritannien nur Zugang zum Binnenmarkt mit freiem Warenverkehr haben werde, wenn es auch dessen übrige Bedingungen – den freien Verkehr von Kapital, Dienstleistungen und Personen akzeptiere. Eine britische Rosinenpickerei“ werde es nicht geben, sagte Bundeskanzlerin Merkel schon kurz nach dem Brexit-Votum im Juni 2016. Im Verlauf der Verhandlungen wiederholte Chefunterhändler Michel Barnier immer wieder, dass die vier Freiheiten des Binnenmarktes nicht verhandelbar seien.
Die Beibehaltung des Status der EU-Bürger, die auf der Insel leben, wie der der Briten auf dem EU-Festland war für die Europäer ebenfalls zentral. Betont wurde außerdem, dass Großbritannien finanzielle Verpflichtungen, die es bereits für die Zukunft eingegangen ist, auch einhalten muss. Zwischenzeitlich war die Rede von einer Rechnung von bis zu 100 Milliarden Euro. In dem Vertragsentwurf vom November ist keine Summe genannt, Berechnungen gehen aber von bis zu 50 Milliarden aus.
Auch in der Nordirland-Frage hat die EU eine klare Position: Das Karfreitagsabkommen solle in allen seinen Dimensionen erhalten bleiben, so Barnier. Dazu gehörte bisher, dass Nordirland und die Republik Irland in einen gemeinsamen europäischen Rechts- und Wirtschaftsrahmen eingebettet sind.
Im November 2018 einigten sich die britische Regierung und die EU auf eine Austrittsvereinbarung und eine Willenserklärung über die künftigen Beziehungen. Gleich anschließend hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit Blick auf die Widerstände in Großbritannien klargemacht, dass der ausgehandelte Vertrag nicht mehr verhandelbar sei. Anfang 2019 lehnte das britische Unterhaus die Einigung ab und forderte Nachverhandlungen.
874 Tage nach dem britischen Brexit-Referendum einigten sich EU und die britische Premierministerin Theresa May im November 2018 auf einen Plan, wie der Austritt vonstattengehen soll. Herausgekommen sind 585 Seiten, inklusive dreier Zusatzprotokolle und einer Reihe von Anhängen.
Die wichtigsten Punkte des Entwurfs:
Übergangsphase
Mit der Vereinbarung und dem Austrittstermin am 29. März 2019 tritt zunächst eine fast zweijährige Übergangsphase bis Ende 2020 in Kraft, die noch einmal verlängert werden kann. In der Zeit wird sich fast nichts am Status quo ändern, aber weiter über die künftigen Beziehungen verhandelt. Großbritannien zahlt weiter Beiträge, kann aber nicht mehr mitreden."Backstop"-Lösung nach Ende der Übergangsphase
Falls man sich in der Übergangsphase nicht auf ein Abkommen einigen kann, was mit Blick auf langwierige Verhandlungen der EU bei anderen Freihandelsabkommen nicht unwahrscheinlich ist, bleibt das Königreich noch eine Zeit lang als Ganzes in einer Zollunion mit der EU (Backstop). Das dient vor allem dazu, Grenzkontrollen zwischen Irland und Großbritannien zu verhindern und damit den sensiblen Frieden in Nordirland zu sichern. Zölle entfielen bei dieser Backstop-Lösung, es gäbe nur einen gemeinsamen Außenzoll, somit also keine Kontrollen zwischen Irland und Nordirland. Allerdings bliebe Nordirland über den Binnenmarkt enger an EU-Regeln gebunden, was weniger sichtbar auch Kontrollen in der Irischen See notwendig machen könnte. Großbritannien kann diese Zollunion nur nach Abschluss eines echten Freihandelsabkommens über die künftigen Beziehungen verlassen. Zudem muss es sich an die EU-Außenhandelspolitik halten und auch bei einer Vielzahl von EU-Standards bleiben. Und es könnte auch erstmal keine eigenen Freihandelsverträge mit anderen Ländern abschließen.Künftiges Verhältnis
Mit der Zusage zur vereinbarten Übergangsphase und der anschließenden vorläufigen Zollunion ist May einen sehr weiten Schritt hin zu einer auch künftig engen Bindung an die EU gegangen. Festgelegtes Ziel ist am Ende ein Freihandelsabkommen, das ein Minimum an Zöllen und größtmögliche Angleichung von Standards beinhaltet. Und das muss für das gesamte britische Gebiet gelten, also auch für Nordirland. Die EU-Interpretation geht deswegen dahingehend, dass Großbritannien nach Eintreten einer wahrscheinlichen Backstop-Lösung auch in einem Vertrag über die künftigen Beziehungen nicht hinter die sehr weitgehenden und für die Briten bewegungseinschränkenden Bedingungen dieses Backstops zurückfallen können.Bürgerrechte
Die Rechte der rund 3,5 Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger und einer Million Briten in den restlichen EU-Ländern sollen uneingeschränkt gewahrt bleiben. Sie dürfen dort arbeiten und sind sozialversichert. Das gilt auch für alle, die bis zum Ende der oben genannten Übergangsphase umziehen.Restzahlungen an die EU
Großbritannien muss die finanziellen Verpflichtungen einhalten, die es als EU-Mitglied gemacht hat. Auch diejenigen, die es für die Zukunft zugesagt hat. Eine Summe wird in der Vereinbarung nicht genannt, aber die Berechnungen gehen von einer Summe bis zu 50 Milliarden Euro aus.
Schon nach dem Bekanntwerden erster Details aus der Vereinbarung flammten vor allem bei den Briten heftige Diskussionen auf. Brexitgegner wie Brexit-Hardliner wollten sich nicht mit dem je nach Sichtweise zu weitgehenden beziehungsweise zu weichen Ergebnissen zufriedengeben. Einige Minister in Mays Kabinett traten aus Protest zurück, darunter auch ihr Brexit-Minister.
Hauptkritikpunkt der Hardliner rund um den im Sommer 2018 zurückgetretenen Außenminister Boris Johnson: Der Ausstieg wird butterweich bis kaum merklich vonstattengehen. Die von ihnen angestrebte völlige Loslösung und uneingeschränkte Bewegungsfreiheit im Außenhandel kann sich im Extremfall auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschieben. Und bis der Wirklichkeit wird, muss sich Großbritannien weiter den Regeln der EU unterwerfen, ohne selbst mitreden zu können. Viele sehen darin einen Knebelvertrag der EU.
Die Brexitgegner wiederum sehen den Sinn in einem solchen Vertrag nicht, der nur eine Verschlechterung im Vergleich zur gleichberechtigten EU-Mitgliedschaft bringen könne.
Aufgrund des heftigen Widerstands aus beiden politischen Lagern war schnell klar, dass der Plan nicht einfach durch das britische Unterhaus kommen würde. Eine für Dezember 2018 anberaumte Abstimmung wurde darum verschoben. Doch es half nichts: Mitte Januar ist Mays Brexit-Deal krachend im Parlament gescheitert. Nur 202 Abgeordnete stimmten dafür, 432 waren dagegen. Ein darauf von Labour initiiertes Misstrauensvotum überstand May jedoch knapp. Nun droht umso mehr ein Brexit ohne Deal (siehe Frage 9).
May-Lager
Die konservative Theresa May, ursprünglich eine verhaltene "Remainerin", geriet nach dem Referendum 2016 in die undankbare Rolle, als Nachfolgerin des zurückgetretenen Premiers David Cameron die britischen Leitlinien eines Brexits auszuarbeiten und mit der EU zu verhandeln. In ihrer Grundsatzrede vom Januar 2017 hatte sie einen "harten" Brexit angekündigt, musste diese Position aber in den Verhandlungen mit der EU mehr und mehr aufweichen. Sie galt vor allem durch heftige Störfeuer aus den eigenen Reihen als geschwächt. An ihrem ausgehandelten Deal, der von fast allen Seiten torpediert wurde, hielt sie unbeirrt fest. Ihr Kabinett stimmte dem Plan zu, doch danach traten mehrere ihrer Minister zurück. Bei der Abstimmung im Unterhaus im Januar 2019 scheiterte das Abkommen schließlich. Ein anschließendes Misstrauensvotum gegen die Premierministerin überstand sie jedoch knapp. Nun hofft May, die EU zu Nachverhandlungen bewegen zu können, um den Vertrag doch noch durchs Parlament zu bringen und einen harten Brexit zu verhindern.
Brexit-Hardliner
Ihre härtesten Widersacher hat May in ihrer eigenen Partei: Bei den Tories opponierte eine Gruppe um den früheren Londoner Bürgermeister und Ex-Außenminister Boris Johnson von Anfang an gegen Mays Brexitpläne. Die Hardliner wollten unbedingt einen harten Bruch mit der ihnen verhassten EU. Sie pochen auf größtmögliche Unabhängigkeit des Königreichs. Johnson bezeichnet alles andere als eine "moralische und intellektuelle Demütigung". Die von May präsentierte Einigung ist für die Hardliner ein nicht akzeptabler Knebelvertrag der EU. Die Vereinbarung zu Nordirland stößt auch auf Widerstand bei den nordirischen Unionisten, die Mays Mehrheitsbeschaffer im Parlament sind. Im Januar konnten sich die Brexit-Hardliner schließlich vorerst durchsetzen. Mithilfe ihrer Stimmen ist der Vertrag bei der Abstimmung im Unterhaus abgeschmettert worden.
Labour
Die oppositionelle Labourpartei tut sich mit einem eigenen klaren Brexit-Kurs immer noch schwer. Ihr Chef Jeremy Corbyn zögerte vor dem Referendum 2016 zunächst, sich klar auf die Seite der "Remainer" zu stellen. Ein neues Referendum sieht die Parteiführung nach wie vor skeptisch, obwohl Teile der Partei dies fordern. Das im November ausgehandelte Brexit-Abkommen lehnte Labour ab. Nachdem der Deal im Unterhaus gescheitert war, strengte Corbyn ein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin an. May überstand das Votum jedoch, und so waren Neuwahlen - Corbyns forderstes Ziel - erst einmal vom Tisch. Zuletzt sorgte Corbyn für Schlagzeilen, als er May in einem Brief seine Unterstützung anbot, wenn sich die Regierung rechtlich enger an die EU binden würde, als im Vertrag vorgesehen.
Die Befürchtung ist, dass der fragile Frieden bedroht sein könnte, wenn es nach einem Brexit zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland eine harte Grenze geben würde. Das katholische Irland stand jahrhundertelang unter englischer Herrschaft, nach einem Unabhängigkeitskrieg gegen England wurde es 1921 zum Freistaat, später dann zur Republik. Allerdings verblieb Nordirland im Vereinigten Königreich, das Land war geteilt. Als Folge von Diskriminierung und Unterdrückung der katholischen Minderheit brach 1968 ein Bürgerkrieg in Nordirland aus, der erst 1998 mit dem Karfreitagsabkommen beendet wurde. Eine offene Grenze war zentraler Bestandteil dieses Friedensdeals. Zu den Konfliktzeiten war die Grenze teils schwer militärisch bewacht und bevorzugtes Ziel von Anschlägen. In den "Troubles" - wie Briten und Iren den Konflikt nannten - starben rund 3500 Menschen. Noch heute leidet die Gesellschaft in Nordirland unter einer starken konfessionellen Spaltung. Auf der einen Seite stehen Protestanten, die sich als Briten verstehen, auf der anderen Seite Katholiken, die sich als Iren fühlen und teilweise die Autorität des britischen Staats sogar offen ablehnen.
So galt schon seit Beginn der Verhandlungen die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland als eines der schwierigsten Probleme. Ausgehandelte Zwischenergebnisse führten zu Verwerfungen zwischen Premierministerin May und ihren faktischen Koalitionspartnern von der nordirischen DUP, zahlreiche demütigende Extrarunden für May waren hier die Folge. Die im November 2018 erzielte Vereinbarung zwischen der EU und der britischen Regierung sieht nun vor, mit einer Art Zwischenlösung das Problem zu umgehen: Konkret soll die Nordirlandfrage erst im noch auszuhandelnden Vertrag über die künftigen Beziehungen gelöst werden. Dafür soll Großbritannien bis 2020 mit Verlängerungsoption übergangsweise EU-Passivmitglied bleiben. Falls man sich bis dahin nicht einigen kann, soll ganz Großbritannien zunächst in eine Zollunion mit der EU eintreten: Innere Zölle entfielen, es gäbe nur einen gemeinsamen Außenzoll, somit also keine Kontrollen zwischen Irland und Nordirland. Allerdings bliebe Nordirland über den Binnenmarkt enger an EU-Regeln gebunden, was weniger sichtbar auch Kontrollen in der Irischen See notwendig machen könnte. Faktisch bliebe die Provinz damit EU-Mitglied und würde näher an die Republik Irland rücken.
Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, wie die künftigen politischen und Handelsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU aussehen könnten. Die EU geht nach der im November ausgearbeiteten Vereinbarung davon aus, dass die Beziehungen nicht hinter den Bedingungen der vereinbarten vorläufigen Zollunion zurückfallen können, die nach Ende der Übergangsphase ohne ein neues Abkommen eintreten würde. Die Chance, dass sich die Verhandlungspartner noch vor Ablauf der Übergangsfrist auf einen Vertrag über die künftigen Beziehungen einigen können, stehen nicht gut. Allerdings ist das auch nicht ausgeschlossen, immerhin haben sich beide Parteien auch auf eine politische Absichtserklärung über die künftigen Beziehungen geeinigt. Ziel ist weiterhin ein möglichst barrierearmes Freihandelsgebiet ohne Zölle, Gebühren oder Grenzen bei den Mengen. Wie das genau aussehen soll, muss noch ausgehandelt werden.
Folgende Modelle für die künftigen Beziehungen sind in der Vergangenheit genannt worden:
Europäischer Wirtschaftsraum (Norwegen-Modell)
Die Variante bedeutete wohl die engste Anbindung der Briten an die EU. Neben Norwegen gehören auch Liechtenstein oder Island dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) an. Viele sehen darin einen weichen Brexit. Es gäbe einen nahezu vollständig freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen oder Personen. Die Briten müssten sich den EU-Standards unterwerfen, hätten dabei jedoch so gut wie kein Mitspracherecht. Sie unterlägen auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Ebenso müssten sie einen substanziellen Beitrag zum EU-Haushalt leisten. Die Briten könnten dann aber anders als jetzt - eigene Freihandelsabkommen mit anderen Staaten abschließen. Wenn die EU neue Abkommen schließt, wären sie allerdings ebenso außen vor. Vor allem die Verfechter eines harten Brexit sind gegen diese Variante. Sie kann als ausgeschlossen gelten.bilaterale Verträge (Schweiz-Modell)
Die Schweiz gehört nicht dem EWR an und hat mit der EU über eine Vielzahl an Einzelverträgen bilaterale Beziehungen ausgehandelt. Zwischen beiden Parteien herrscht ein nahezu freier Waren- und Personenverkehr, dies gilt jedoch nur partiell für Dienstleistungen und gar nicht für den Kapitalverkehr. Die Schweizer haben eigenständig wesentliche EU-Standards übernommen und zahlen ebenfalls in den EU-Haushalt ein.Zollunion (Türkei-Modell)
Die Türkei und die EU sind seit 1996 über die Zollunion der Gemeinschaft miteinander verbunden. Die Türkei hat zollfreien Zugang zum Binnenmarkt für Industrie- und verarbeitete Agrargüter. Ebenso gilt ein gemeinsamer Außenzolltarif für diese Waren. Entsprechend musste die Türkei Rechtsvorschriften an EU-Recht anpassen. Sie kann aber in der EU-Außenhandelspolitik nicht mitreden.erweitertes Freihandelsabkommen (Kanada-Modell)
Bei einer solchen Variante gäbe es einen Zugang zum EU-Binnenmarkt nur unter bestimmten Bedingungen, gleichbedeutend mit einem harten Brexit. Ein Beispiel wäre das umfassende Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (CETA), auch das EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine enthält eine solche Freihandelsübereinkunft. Es würden so gut wie keine Zölle erhoben. Sogenannte nicht-tarifäre Handelshemmnisse, also beispielsweise unterschiedliche Umweltstandards, müssten in vielen Bereichen angeglichen oder zumindest gegenseitig anerkannt werden.Im Falle eines No-Deals: Handel im Rahmen der Welthandelsorganisation
Sollten sich Großbritannien und die EU auch nicht auf ein erweitertes Freihandelsabkommen einigen können, wären beide Parteien wieder dem Handel im Rahmen der Regularien der Welthandelsorganisation (WTO) unterworfen. Zwar sind in diesem Rahmen Zölle und andere Hemmnisse in der Vergangenheit schon stark reduziert worden. Dennoch gäbe es bei dieser Variante immer noch die stärksten Handelsbeschränkungen. Großbritannien wäre allerdings komplett frei, eigene bi- oder multilaterale Abkommen zu schließen und müsste sich dem Rechts- und Handelsregime der EU nicht unterwerfen.
Die EU bereitet sich darauf vor, und auch die Briten spielen dieses Szenario durch. Das Risiko, dass Großbritannien ohne eine neue Einigung aus der Union ausscheidet, ist nach dem Scheitern von Mays Brexit-Deal im Parlament deutlich gestiegen. Denn die vereinbarte Übergangsphase kann nach dem 29. März 2019 erst in Kraft treten, wenn alle Parteien bis dahin final zugestimmt haben.
Handelsrechtlich würde Großbritannien im Fall eines No-Deals gegenüber der EU auf den Status eines Drittlandes zurückfallen. Beide müssten sich dann den geltenden Regeln der Welthandelsorganisation WTO unterwerfen, die schon seit Jahrzehnten dafür steht, Handelshemmnisse zwischen Staaten und multistaatlichen Bündnissen zu reduzieren, was ihr bis heute aber nicht vollständig gelungen ist.
Sollte keine Einigung erzielt werden, wäre als erstes der Grenzverkehr betroffen. Zoll- und Passkontrollen würden kurzfristig wiedereingeführt. Die Folge wären sehr lange LKW-Rückstaus im Südosten der Insel, die Lieferkette wäre erst einmal unterbrochen. Britische Behörden rechnen angeblich mit Staus von bis zu 50 Kilometern Länge. Die britische Automobilindustrie hätte Nachschubprobleme bei zugelieferten Teilen aus Europa und müsste mit erheblichen Mehrkosten durch Zölle und andere Hemmnisse rechnen. Das gleiche gilt auch für Fleisch-Einfuhren. Auch bei Medikamentenlieferungen könnte es erst einmal Engpässe geben. Die europäische Krankenversicherungskarte, die eine medizinische Versorgung innerhalb der EU sicherstellt, verlöre kurzfristig ihre Gültigkeit.
Im Fall eines No-Deal-Brexits würde Großbritannien außerdem aus allen EU-Institutionen und aus allen EU-Agenturen fliegen, etwa aus der Europäischen Arzneimittelagentur und aus der Europäischen Agentur für Flugsicherheit. Die Briten müssten so schnell wie möglich eigene Agenturen aufbauen, und auf eine wechselseitige Anerkennung von Vorschriften drängen. Bis das alles geregelt wäre, könnten allerdings Jahre vergehen. Im schlimmsten Fall könnte ein No-Deal-Brexit dazu führen, dass aus Großbritannien kommende Flugzeuge kurzfristig keine europäischen Flughäfen mehr ansteuern dürften.
Besonders kritisch wäre aber auch die plötzliche Wiederkehr einer echten inneririschen Grenze mit vermehrten Kontrollen, was eventuell auch zu einem Wiederaufflackern des Konflikts um Nordirland führen könnte.
Der Internationale Währungsfonds warnte im September 2018 vor den gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen eines ungeordneten Brexits. Ein deutlich schwächeres Wirtschaftswachstum, ein Anstieg der Staatsverschuldung und ein Verfall der britischen Währung könnten die Folgen sein. Auch der Immobilienmarkt könnte von einem starken Preisverfall betroffen sein.
Die konservative Premierministerin Theresa May lehnt ein Referendum über ihren Plan für den Brexit oder gar einen Verbleib des Königreichs in der Union kategorisch ab. Dennoch gibt es immer wieder Rufe danach, aus den unterschiedlichsten politischen Richtungen. So haben etwa der ehemalige Labour-Premier Tony Blair oder der Liberale Nick Clegg für einen Verbleib bzw. ein neues Referendum geworben.
Labour-Chef Jeremy Corbyn hat darauf gesetzt, dass Mays Plan im Parlament durchfällt und es daraufhin zu Neuwahlen kommt. Da sein Misstrauensvotum gegen die Premierministerin jedoch gescheitert ist, sind Neuwahlen vorerst vom Tisch. Corbyn schließt jedoch nicht aus, weitere Misstrauensvoten gegen die Regierung anzustrengen. Für ein zweites Referendum wollte sich der Parteichef bisher nicht offensiv einsetzen, obwohl dies von Teilen seiner Partei gefordert wird. Unter anderem Keir Starmer, der Schattenminister für den Brexit, möchte für Labour die Möglichkeit eines Verbleibs in der Union und ein Referendum darüber offenhalten.
Es bleiben jedoch nur noch wenige Wochen bis zum Austrittstermin am 29. März 2019. Ein zweites Referendum bräuchte aber Zeit für die Vorbereitung und Durchführung. Das Brexit-Referendum im Juni 2016 hatte 13 Monate in Anspruch genommen. Auch wenn ein erneutes Referendum schneller auf den Weg gebracht werden könnte, es wäre sicher unumgänglich, die EU um eine Erweiterung der Frist für den Austritt zu bitten.
Einen klar vorgezeichneten juristischen Weg in der EU zu bleiben, gibt es für die Briten allerdings auch nicht. Artikel 50 des EU-Vertrages räumt zwar jedem Mitgliedstaat die Möglichkeit des Austritts aus der Union ein und legt das Prozedere grob fest. Wie ein Mitgliedstaat aber einen Austritt nach Artikel 50 noch vor Ablauf der festgelegten Frist rückgängig machen kann, ist darin nicht erklärt.
Am 10. Dezember hat allerdings der Europäische Gerichtshof entschieden, dass das Vereinigte Königreich eigenmächtig über einen Rücktritt vom EU-Ausstieg entscheiden kann. Eine Voraussetzung dafür ist, dass das britische Parlament zuvor der Rücknahme der Austrittserklärung zustimmt. Die Rücktrittserklärung muss schriftlich beim Europäischen Rat erfolgen. Mit dem EuGH-Urteil ist ein britischer Rückzug vom Brexit auch ohne Zustimmung der anderen 27 Mitgliedsländer mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar. Dem Urteil vorausgegangen war der Antrag mehrerer Abgeordneter des schottischen, britischen und Europaparlaments am obersten schottischen Zivilgericht, das den Fall dem EuGH zur Klärung vorlegte.
bis Mitte März 2019: Das EU-Parlament ratifiziert das Austrittsabkommen, sobald das britische Unterhaus dem Vertrag zugestimmt hat. Danach beschließt der Rat der Europäischen Union das Abkommen. Dazu ist eine superqualifizierte Mehrheit nötig: mindestens 72 Prozent der Mitgliedsstaaten, die zusammen mindestens 65 Prozent der Bevölkerung vertreten.
29. März 2019: Großbritannien tritt formell aus der EU aus. Falls es zu einem Brexit mit ratifiziertem Deal kommt, beginnt nun die Übergangszeit bis Ende 2020. Außerdem werden nun die künftigen Beziehungen zwischen EU und Vereinigtem Königreich verhandelt.
Im Juli 2020 wird entschieden, ob die Übergangsperiode möglicherweise verlängert wird.
31. Dezember 2020: Die ursprünglich angesetzte Übergangszeit endet. Falls sich die Parteien in den Verhandlungen nicht auf ein Freihandelsabkommen einigen konnten, setzt nun eine Notfallregelung ("Backstop") ein. Dieser würde eine harte Grenze zwischen Nordirland und Irland bis auf weiteres verhindern.