Theresa May und der Brexit Merkels kühle Botschaft

Die befürchtete Hängepartie bleibt aus, Theresa May übernimmt die Macht in Großbritannien. Kanzlerin Merkel signalisiert, dass die designierte Premierministerin nicht mit Zugeständnissen rechnen darf.
Bundeskanzlerin Angela Merkel

Bundeskanzlerin Angela Merkel

Foto: HANNIBAL HANSCHKE/ REUTERS

Es wollen ja alle Klarheit in diesen Tagen von den Briten. Insofern hätte Angela Merkel, bei allem Ärger, den ihr das Königreich in diesen Wochen beschert, natürlich ein kleines Lob aussprechen können.

Schließlich weiß die Kanzlerin jetzt, mit wem sie es künftig zu tun haben wird in London, nachdem David Cameron - "do-doo-do-do" - sich verabschiedet hat. Die bisherige Innenministerin Theresa May wird schon am Mittwoch als Premierministerin übernehmen. Und sie hat auch gleich alle heimlichen Hoffnungen in der Bundesregierung zerstreut, man könnte es sich noch mal überlegen mit dem Ausstieg aus der Europäischen Union. "Brexit heißt Brexit", hat May verkündet.

Merkel sieht jetzt also tatsächlich ein wenig klarer. Doch sie reagiert kühl auf die jüngsten Nachrichten aus dem Reich der Abtrünnigen. Keine Würdigung, dass der befürchtete Machtkampf bei den Tories ausfällt und der EU damit eine monatelange Hängepartie erspart bleibt. Kein Wort der Erleichterung, dass nun eine ausgewiesene Pragmatikerin die Verhandlungen mit den verbleibenden 27 Mitgliedstaaten führen wird. Eine, die - wenn auch sehr zurückhaltend - für den Verbleib in der Union plädiert hatte.

Der Fairness halber muss man sagen, dass May noch nicht im Amt ist, Glückwünsche also zu früh kämen. Aber eine Mahnung an die Adresse Mays hatte Merkel immerhin schon parat an diesem Dienstag, als sie gemeinsam mit dem irischen Ministerpräsidenten Enda Kenny im Kanzleramt vor die Presse trat: "Die Aufgabe der neuen Premierministerin wird sein, dann auch einmal Klarheit zu gewinnen über die Frage, welches Verhältnis möchte Großbritannien in Zukunft zur Europäischen Union aufbauen."

Die Botschaft ist deutlich: Mag sein, dass ihr eure internen Querelen überwunden habt. Aber erwartet deswegen kein Entgegenkommen.

Natürlich wird die Kanzlerin froh sein, dass die Verhältnisse in Downing Street 10 überraschend schnell geklärt sind. Natürlich wird sie froh sein, dass weder der extrovertierte Boris Johnson noch die Außenseiterin Andrea Leadsom den Ausstieg organisieren werden, sondern die kabinettserfahrene May.

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Theresa May: Mit Leoschuhen in die Fußstapfen von Cameron

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Mays nüchterner Politikstil sei für die anstehenden Brexit-Verhandlungen von Vorteil, glaubt Herbert Reul, der Vorsitzende der Unionsabgeordneten im Europaparlament. "Vielleicht kommt nun wieder mehr Rationalität in die Debatte." Das komme auch der Kanzlerin entgegen. May gilt als unideologisch, unaufgeregt, diskret - kaum ein Porträt kommt ohne den Vergleich mit Angela Merkel aus.

Die CDU-Chefin aber hält nicht nur solche Parallelen für Unsinn. Sie gibt sich auch keinen Illusionen hin: Pragmatismus allein wird die Verhandlungen nicht leichter machen.

May will sich Zeit lassen

Wohl nicht zufällig hatte die Kanzlerin am Montagabend - kurz nachdem Mays Nominierung bekannt geworden war - noch einmal betont, dass den Briten ein freier Zugang zum EU-Binnenmarkt nur gewährt werden könne, wenn sie im Gegenzug ihren Arbeitsmarkt für EU-Bürger offen halten. Genau dieses Prinzip der Freizügigkeit stellt May infrage. "Es ist eine große Herausforderung für die Premierministerin, die sehr unterschiedlichen Erwartungen ihrer Bürger in den Austrittsverhandlungen zu erfüllen", sagt Manfred Weber, Chef der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament.

Wann die offiziellen Gespräche über den Brexit starten, ist noch völlig ungewiss. Es werde erst verhandelt, wenn Großbritannien seinen Austrittsantrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags gestellt habe, bekräftigte Merkel am Dienstag. Mit der Aktivierung des Artikels beginnt eine zweijährige Frist, innerhalb der die Trennung abgeschlossen werden sollte.

Hinter den Kulissen laufen die Vorbereitungen für den Tag X. Im Auswärtigen Amt trat am vergangenen Donnerstag erstmals die Taskforce zu den Brexit-Folgen zusammen. Darin sind auf Beamtenebene alle Ministerien und das Kanzleramt vertreten. Die Arbeitsgruppe steht noch ganz am Anfang, zunächst einmal will man sich einen Überblick verschaffen. "Das Referendum hat viele technische und politische Fragen aufgeworfen, auf die wir Antworten finden müssen", heißt es im Auswärtigen Amt.

Ein bisschen Zeit bleibt den Beamten dafür wohl noch, Merkel rechnet mit einem Verhandlungsbeginn nicht vor September. Daran ändert auch die rasche Stabübergabe an der britischen Regierungsspitze nichts. May jedenfalls will sich nicht drängeln lassen. "Artikel 50 sollte aktiviert werden, wenn wir dazu bereit sind", sagte Kabinettsmitglied Chris Grayling, ein enger Vertrauter der designierten Premierministerin. "Das Wichtigste ist jetzt, dass wir das tun, was in unserem nationalen Interesse liegt."

Im Video: Theresa May und der Brexit

SPIEGEL ONLINE


Zusammengefasst: Mit der raschen Machtübergabe von David Cameron an Theresa May bleibt der EU nach dem Brexit-Referendum eine monatelange Hängepartie erspart. Angela Merkel reagiert dennoch reserviert auf die neue Premierministerin. May gilt zwar als Pragmatikerin, doch die Kanzlerin weiß: Die Verhandlungen werden kompliziert. Wann sie offiziell beginnen, ist völlig offen.

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