Britisches Drama Merkel will noch einen Brexit-Gipfel
Nein, sagt die Kanzlerin nun zum wiederholten Mal, sie wolle jetzt nicht spekulieren. Auf Was-wäre-wenn-Fragen hat Angela Merkel an diesem Freitagnachmittag keine Lust. Dabei gibt es derzeit kaum Spannenderes. Was wäre, wenn Theresa May auch im dritten Anlauf keine Parlamentsmehrheit für das Austrittsabkommen mit der EU bekommt? Was, wenn sie zurücktreten muss? Von Merkel kommt dazu an diesem Freitag - nichts.
Am Nachmittag betritt die Kanzlerin den deutschen Pressesaal im Brüsseler Ratsgebäude. Die Staats- und Regierungschefs haben soeben darüber diskutiert, wie sie künftig mit China umgehen wollen und ob es eine gemeinsame europäische Industriepolitik geben solle. Ein Wort, das in den vergangenen Jahren keine deutsche CDU-Politikerin in den Mund genommen hätte. Doch Merkel geht es um den Brexit, mal wieder.
Rasch wird klar, dass sie überhaupt nicht spekulieren muss. Merkel hat eine recht klare Vorstellung, wie die nächsten Wochen in Sachen Brexit verlaufen werden. Die Kanzlerin erwartet, dass das Londoner Unterhaus kommende Woche erneut über das Abkommen abstimmt, so viel ist klar. So hat es May ihren Kollegen am Donnerstagabend vorgetragen. Und Merkel geht offenbar, wie fast jeder in Brüssel, davon aus, dass die britische Premierministerin die Mehrheit erneut verfehlen wird.
Video-Analyse zu Mays Auftritt beim EU-Gipfel: "Es kam zu tragikomischen Szenen"
Daher kündigt sie wie nebenbei an, dass man dann eben noch ein weiteres Gipfeltreffen vor dem 12. April abhielte. Bis dahin müssen die Briten entscheiden, ob sie an der Europawahl teilnehmen. Bis zu diesem Tag haben die verbleibenden EU-Mitglieder die Brexit-Frist verlängert, sollte May kommende Woche erneut scheitern. "Wir werden uns dann vor dem Termin noch einmal treffen", sagt Merkel, "sicherlich auch in Anwesenheit der britischen Premierministerin."
Nachverhandlungen schließt Merkel jedoch aus. "Wir werden an den Dokumenten nichts ändern, auch nicht in den nächsten Tagen", sagt sie.
"Es ist noch nicht vorbei"
Der Brexit-Poker ist noch nicht zu Ende. Und anders als Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist Angela Merkel nicht dafür bekannt, irgendwann so genervt zu sein, dass sie einfach hinwirft. Veteranen Brüsseler Gipfelnächte erinnern in diesen Stunden an die Griechenlandkrise im Sommer 2015. Damals wollten die Deutschen die Griechen aus dem Euro drängen, die Franzosen standen dagegen. Beim Brexit scheint es nun umgekehrt zu sein: Die Deutschen zeichnen sich durch Langmut aus, die Franzosen verlieren die Geduld mit den Briten.
"Wir haben uns den ganzen Abend um den Brexit gekümmert", klagt Frankreichs Europaministerin Nathalie Loiseau im Gespräch mit dem SPIEGEL. "Und es ist noch nicht vorbei. Dabei würden wir gerne vorankommen." Man habe May jede erdenkliche Hilfe zukommen lassen. "Aber wir können es auch nicht selbst machen", sagt Loiseau.
Endlos aber werde Frankreich nicht warten, das macht auch sie klar. Sie habe keine Angst vor einer Dauerblockade der EU - "denn diese Sache wird nicht ewig weitergehen."

Brexit Fahrplan 22.3. Grafik
Foto: SPIEGEL ONLINEMerkel will einen ungeregelten Brexit auf jeden Fall vermeiden. Er wäre in ihren Augen ein Versagen europäischer Politik. Dass ein Großteil der Schuld bei den Briten selbst zu verorten wäre, macht die Sache aus Sicht der Kanzlerin offenbar auch nicht attraktiver.
Draghi warnt: Mittelstand nicht auf No-Deal-Szenario vorbereitet
Läuft es also am Ende auf eine Verlängerung der Brexit-Frist um Monate oder gar Jahre hinaus? Sollte May in der kommenden Woche erneut im Parlament scheitern, wäre das eine Option - auch wenn die Franzosen weiterhin skeptisch sind. Dafür müsste es schon "eine neue Initiative, eine neue politische Situation in Großbritannien geben", sagt Loiseau. "Sonst wäre eine lange Verlängerung keine Lösung."
Doch ein aus Merkels Sicht gewünschter Nebeneffekt einer XXL-Verlängerung wäre, dass Unternehmen so mehr Zeit bekämen, sich auf das No-Deal-Szenario vorzubereiten. Dass dies dringend nötig ist, machte der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi klar, der am Freitagvormittag ebenfalls kurz bei den Staats- und Regierungschefs vorbeischaute.
Die Privatwirtschaft sei, anders als Banken und Behörden, immer noch nicht ausreichend auf ein No-Deal-Szenario vorbereitet, sagte Draghi nach Angaben von Diplomaten. Insbesondere bei kleinen und mittelständischen Firmen sei das ein Problem. Deren Inhaber wollten einfach nicht wahrhaben, dass es zu einem No-Deal-Szenario kommen könnte.
Der Frage, ob das ein Versäumnis der Unternehmer, der Verbände oder der Bundesregierung ist, wich Merkel aus. Sie wisse nicht einmal, "ob Mario Draghi speziell die deutschen Unternehmen gemeint hat", sagte die Kanzlerin. "Ich glaube, wir sind eigentlich ganz gut vorbereitet." Sie könne nur bestätigen, "dass der ungeordnete Austritt nicht die beste Lösung ist".