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David Cameron: Aufstieg und Fall des Brexit-Zockers

Foto: Stephen Hird/ REUTERS

Ex-Premier David Cameron Der Mann, der den Briten den Brexit einbrockte

David Cameron war Erneuerer, Überflieger, Wahlgewinner - dann ließ der britische Premier das Volk über die EU-Mitgliedschaft abstimmen. Was macht der Hauptschuldige am Brexit-Schlamassel heute?

Seit einiger Zeit sind sie wieder häufiger da, die Fotoapparate, die Kameras, die Mikrofone. Während in Westminister das Brexit-Chaos tobt, suchen Journalisten ein paar Kilometer weiter nach dem Mann, der das ganze Durcheinander überhaupt erst möglich gemacht hat.

Zum Beispiel an jenem Tag im Januar. David Cameron steht vor seinem roten Backsteinhaus im Londoner Nobelstadtteil Notting Hill. Er trägt kurze Hose, den Reißverschluss seiner Fleecejacke hat er bis zur Brust heruntergezogen.

Ein Reporter des Fernsehsenders ITV hat Cameron bei seiner Joggingrunde abgepasst. Ein paar Worte über den Trubel im Parlament, über Premierministerin Theresa May - und dann, als Cameron schon weiterlaufen will, die entscheidende Frage.

"Bereuen Sie es, das Referendum ausgerufen zu haben?"

Der einst mächtigste Mann des Landes stemmt die Hände in die Hüfte. Das tue er nicht, sagt er. "Ich bedaure zutiefst, dass wir das Referendum verloren haben."

Zukunft des Landes aufs Spiel gesetzt

An jenem Januartag in Notting Hill, bei jeder Unterhausdebatte in Westminister, bei allen Verhandlungen in Brüssel - immer geht es auch um Camerons politisches Vermächtnis.

Er war es, der als Premierminister das Referendum über den EU-Ausstieg ausgerufen hatte. Egal, wie es beim Brexit ausgeht: Cameron bleibt derjenige, der die Zukunft des Landes für den eigenen Machterhalt aufs Spiel gesetzt hat.

Per Volksbefragung wollte sich der damalige Regierungschef aus einer schwierigen Lage befreien. Im Januar 2013 kündigte er die Brexit-Abstimmung an. "Es wird eine einfache Entscheidung sein: drinbleiben oder raus", sagte Cameron damals. Dass die Sache mit dem EU-Austritt im Grunde ganz unkompliziert sei, sollte später eine der großen Lügen der EU-Gegner werden.

Cameron stand zu jener Zeit gewaltig unter Druck. Die Tory-Hardliner bliesen zum Aufstand, die Rechtspopulisten von Ukip legten in den Umfragen deutlich zu. Gleichzeitig haderte ein Teil der Liberalen, Camerons Bündnispartner, mit der Koalition mit den Konservativen.

Wollte Cameron dauerhaft seine Macht sichern, so sah er wohl damals die Lage, musste er dem rechten Tory-Flügel etwas anbieten: das EU-Referendum.

Keine Ausreden mehr

Schon damals gab es Warnungen von Parteifreunden. Doch offenbar glaubte Cameron, sein Versprechen niemals einlösen zu müssen. Solange die Tories mit den proeuropäischen Liberalen regierten, das war klar, würde es niemals zu einer Volksabstimmung kommen. Ein gefährliches Spiel.

Camerons Problem war dann sein eigener Erfolg. Bei den Parlamentswahlen 2015 holten die Tories die absolute Mehrheit, fortan regierten sie allein. Nur: Beim Brexit hatte Cameron damit keine Ausreden mehr. Er musste liefern.

Vor dem Referendum stand Cameron jetzt vor der Aufgabe, plötzlich die Vorzüge einer EU zu preisen, die britische Regierungen seit Jahrzehnten als Quell beinahe jeden Übels gegeißelt hatten. Die Kehrtwende nahm ihm kaum jemand ab. Zumal sich Cameron zunächst darauf beschränkte, in Brüssel auf weitere Sonderrechte zu dringen.

Ende der Karriere

Als der Regierungschef an einem regnerischen 23. Juni 2016 mit seiner Ehefrau Samantha in London zur Abstimmung ging, sagte er kein Wort zu den wartenden Medienvertretern. Nur ein kurzes, zaghaftes Lächeln. Es war der Tag von Camerons größter Niederlage, das Ende seiner steilen Karriere. Die Brexit-Befürworter setzten sich durch, drei Wochen später trat der Tory-Chef als Premierminister zurück.

Der Brexit aber kostete ihn nicht nur Amt und Karriere. Er überlagert bis heute und vermutlich für immer alles, wofür Cameron eigentlich stehen wollte. Als er 2005 an die Tory-Spitze trat, war der junge Mann mit Oxford-Vergangenheit ein Liberaler, der die Partei einen und zugleich modernisieren sollte.

Als Premier setzte Cameron später die gleichgeschlechtliche Ehe durch, er erhöhte den nationalen Mindestlohn und engagierte sich für bessere Bildungschancen von Kindern aus armen Familien. Gleichzeitig führte er Großbritannien aus der Finanz- und Wirtschaftskrise.

Aber es war auch Cameron selbst, der die EU-Feindlichkeit in den eigenen Reihen weiter befeuerte. 2009 löste er seine Tories aus der Gemeinschaft der Europäischen Volkspartei - ein Geschenk an die Europagegner in der Heimat. Unter seiner Führung förderten die Tories mit scharfen Vorgaben für die Begrenzung der Zuwanderung ein migrationsfeindliches Klima, das später den Wahlkampf vor dem Brexit-Referendum bestimmte.

Memoiren in Arbeit

Die Frage, was am Ende von ihm in Erinnerung bleibt, will Cameron nun am liebsten selbst beantworten. Im Herbst sollen seine Memoiren erscheinen. 800.000 britische Pfund, heißt es, soll er dafür bekommen. Um in Ruhe schreiben zu können, ließ sich der Ex-Premier eine Designerhütte im Wert von 25.000 Pfund  in den Garten seines Ferienhauses in den mittelenglischen Cotswolds stellen.

An Geld mangelt es offenbar nicht. Auftritte als Redner lässt sich Cameron angeblich mit 120.000 Pfund pro Stunde vergüten. Neben ehrenamtlichen Einsätzen gehört er seit 2017 auch zur Führung eines britisch-chinesischen Investmentfonds. Britische Medien spekulieren gar schon über ein mögliches Polit-Comeback des heute 52-Jährigen.

Was er an Theresa Mays Stelle getan hätte? In seiner letzten Fragestunde als Premierminister im Unterhaus empfahl Cameron seiner designierten Nachfolgerin, das Land auch künftig "so eng wie möglich" an die EU zu binden. Mittlerweile würde man das einen "weichen" Brexit nennen - ein Rat, den May bis heute nicht befolgt hat.

Cameron aber gab nach dem Referendum auf. Er wollte den Brexit nicht. Er hatte gezockt und verloren. Schon jetzt ist der Schaden immens, das Land zutiefst gespalten, die britische Politik wie gelähmt vom Brexit . Die Unsicherheit belastet auch Unternehmen und Angestellte.

Am 11. Juli 2016 trat David Cameron noch einmal vor Downing Street 10. Er erklärte, dass er in wenigen Tagen sein Amt an Theresa May übergeben werde. Dann drehte sich Cameron um und ging zur Tür. Das Mikrofon an seinem Revers war noch an, da trällerte der Premier eine Melodie: "Du duuuuu du du". Fröhlich fast, demonstrativ gelassen. Ganz so, als wäre einfach nichts passiert.

Im Video: Die Brexit-Nacht - 24 Stunden SPIEGEL ONLINE

dbate


Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, David Cameron habe den nationalen Mindestlohn in Großbritannien eingeführt. Tatsächlich geschah dies jedoch schon 1999 unter der damaligen Labour-Regierung. Cameron erhöhte den Mindestlohn jedoch kräftig.

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