Großbritannien und die EU haben sich nach vier chaotischen Jahren auf einen Deal geeinigt. Damit endet ein Kapitel der Saga auf vernünftige Art – denn die Briten haben sich nie wirklich als Teil der EU gesehen.
Nein, das Drama zwischen Großbritannien und dem europäischen Kontinent ist nicht zu Ende. Der Brexit war nur ein weiterer Akt, der nun in letzter Minute mit der Einigung auf einen Handelsvertrag zu Ende gegangen ist.
Es ist ein Sieg der Vernunft. Seit dem britischen Referendum von 2016 hat man eines immer wieder gehört: Der Brexit sei irre, ein unnötiger Akt der Selbstverstümmelung, der sowohl das Vereinigte Königreich als auch die EU weltpolitisch und wirtschaftlich schwächen wird. Das aber wäre nur dann ohne Abstriche richtig, wenn es sich bei diesem Königreich um ein Land handelte, das sich nicht nur Europa, sondern der Europäischen Union zugehörig fühlt.
Das aber war nie wirklich der Fall. Die Briten haben die EU schon immer eher als Freihandelszone betrachtet. Das Ziel der politischen Einigung war nie das ihre. Schon Winston Churchill war zwar ein entschiedener Befürworter der europäischen Integration, sah sein eigenes Land aber nur als Partner und nicht als Teil eines solchen Europas. Daran hat sich bis heute wenig geändert.
Als die Briten dennoch 1973 der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft beitraten, taten sie das vor allem, um von deren grenzenlosen Handel zu profitieren. Ein weiteres Ziel war freilich, den entstehenden politischen Machtblock notfalls bremsen zu können – was sich von innen am besten bewerkstelligen lassen würde. Ironischerweise war dies auch eines der Hauptargumente der sogenannten Proeuropäer in London: Viele von ihnen wollten ihr Land nicht in der EU halten, weil sie so große Freunde der EU gewesen wären, sondern weil sie zu Recht um den britischen Einfluss fürchteten.
Dass Großbritannien diesen Einfluss preisgegeben hat, ist einer der wenigen irrationalen Aspekte des Brexits, zumindest aus britischer Sicht. Für die Preisgabe der wirtschaftlichen Vorteile der EU-Mitgliedschaft gilt das schon nur noch eingeschränkt. Denn die Teilnahme am freien Handel in der EU war immer auch an die Freiheit jedes EU-Bürgers gebunden, überall in der EU leben und arbeiten zu dürfen. Brüssel hat das in den Verhandlungen vehement verteidigt, gerade weil die EU mehr ist als nur eine Freihandelszone. Die Londoner Unterhändler haben das nie verstanden, was Bände spricht über das Verhältnis der meisten britischen Politiker zur EU.
Für sie war der Brexit am Ende deshalb auch eine Kosten-Nutzen-Rechnung: Auf der einen Seite standen die wirtschaftlichen Vorteile der EU-Mitgliedschaft, auf der anderen die in einem zunehmend xenophobischen Großbritannien steigenden politischen Kosten der Einwanderung aus der EU.
Für große Teile des britischen Volks dürfte der Brexit dagegen vor allem eine emotionale Entscheidung gewesen sein, es war die Wahl zwischen einer gefühlten Unabhängigkeit und einer gefühlten babylonischen Gefangenschaft in der EU – verbunden mit der Überzeugung, dass eine Rückkehr zur Unabhängigkeit die Rückkehr zu früherem nationalen Glanz bedeutete. Ein Politikdarsteller wie Boris Johnson wusste das, und er hat es genutzt, um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen, britischer Premierminister zu werden.
Für viele Politiker und Bürger Großbritanniens aber ist das Gefühl, keine Europäer unter vielen anderen Europäern zu sein, Teil ihres Selbstbilds. Und auch Großbritannien halten sie nicht für ein weiteres europäisches Land unter vielen, sondern für ein besonderes oder gar auserwähltes.
Natürlich denken nicht alle Briten so. Aber leider sind sie nicht diejenigen, die im Großbritannien der Gegenwart den Ton angeben. Deshalb ist der Austritt ihres Landes aus der EU nicht unvernünftig.
Die EU ist dadurch freier, die Schritte zu gehen, die sie gehen muss, um sich in einer globalisierten Welt zwischen den USA und China behaupten zu können – denn dafür ist es schon jetzt reichlich spät. Großbritannien wiederum braucht den Brexit vielleicht, um zu spüren, wie klein die Nebenrolle wirklich ist, die es auf dieser Weltbühne spielen wird.
Spanien, Frankreich, die Niederlande, Portugal oder Deutschland haben bereits erkannt, dass der frühere belgische Außenminister Paul-Henri Spaak recht hatte: Es gibt in Europa kleine Länder und solche, die noch nicht erkannt haben, dass sie klein sind.
Eines Tages werden auch die Briten erkennen, dass ihr Land etwas Besonderes sein mag, aber nicht besonders groß ist. Und vielleicht werden sie dann sogar zurückkehren. Für die EU wäre es ein guter Tag.