Brexit-Drama EU bleibt hart - und droht Briten mit No-Deal-Folgen

Eu-Kommissionspräsident Juncker (l.) und Brexit-Chefunterhändler Barnier: Letzte Frist für Großbritannien
Foto: EMMANUEL DUNAND/ AFPNormalerweise scherzt der Kommissionschef gern im Europaparlament. Am Mittwochnachmittag aber liest Jean-Claude Juncker seine Brexit-Rede komplett vom Blatt ab. "Es ist das erste Mal, dass ich im Europäischen Parlament eine Rede verlese", sagt er am Ende. "Manchmal ist der Moment so wichtig, dass das nötig ist."
Juncker steht an einem kleinen Pult, das der Saaldiener an seinem Platz ganz vorne im Plenum aufgebaut hat. Er sagt nicht viel Neues, und genau das ist die Nachricht. Die Frist bis zum 12. April gilt weiterhin, betont Juncker. Dieses Datum hatte der Europäische Rat zuletzt gesetzt: Sollten die Briten nicht Ende Mai an der Europawahl teilnehmen wollen, ist es der Brexit-Tag. "Nach dem 12. April laufen wir Gefahr, dass das gute Funktionieren der Europawahl gefährdet wird und damit das gute Funktionieren der Europäischen Union", sagt Juncker. Deshalb sei der Tag "die letzte Frist" für die Annahme des Austrittsabkommens durch das Londoner Unterhaus.
Ändern, das deutet er an, könnten das nur die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Treffen am 10. April. "Der Rat müsste noch einmal anders entscheiden, ansonsten ist keine weitere Verlängerung möglich", so Juncker. Das No-Deal-Szenario, sagt er düster, werde immer wahrscheinlicher.
May müsse beim Sondergipfel sagen, welchen Weg sie einschlagen wolle. "Wir werden alles daransetzen, bis zur letzten Minute einen Weg zu ermöglichen", fügt Juncker hinzu. "Die europäische Union wird niemanden ausweisen." Er werde sich gemeinsam mit EU-Chefunterhändler Michel Barnier bemühen, "einen ehrenwerten Austritt des Vereinigen Königreichs sicherzustellen".
Unterhaus-Debatten "beliebter als Spiele der Premier League"
Wie genau das gelingen soll, verrät er nicht. Allerdings deutet Juncker an, dass die EU sich wohl doch ein Stück bewegen könnte. Sollten die Briten den Austrittsdeal bis zum 12. April annehmen, sei er für eine Verschiebung des Brexits auf den 22. Mai. Dieser Tag galt bisher als Brexit-Datum nur für den Fall, dass das britische Unterhaus dem Deal bis Ende März zugestimmt hätte. Ein kleiner Schritt, aber immerhin.
Guy Verhofstadt, Brexit-Chefkoordinator des Europäischen Parlaments, äußert sich ähnlich: Auch er plädierte dafür, den Briten bis zum 22. Mai Zeit für die ausführenden Gesetze zu geben, sollten sie sich rechtzeitig vor dem 12. April einigen. Verhofstadt ist es auch, der ein bisschen Leichtigkeit in die Parlamentsdebatte bringt. Die Übertragungen aus dem Londoner Unterhaus würden sich auf dem Kontinent inzwischen größerer Beliebtheit erfreuen als die Spiele der Premier League, sagt er. "Leider enden sie anders als die Spiele immer mit einem Unentschieden."
Im Video: Dann eben mit Jeremy
Zu derartigen Scherzen scheint in London indes niemand mehr aufgelegt. Zwar hat Premierministerin May wieder Bewegung in die festgefahrene Debatte gebracht, indem sie erstmals ernsthaft auf die oppositionelle Labour-Partei zugegangen ist. Die aber verlangt für ihre Kooperation den Verbleib Großbritanniens in der EU-Zollunion.
Eine solche Einigung zwischen May und Labour-Chef Jeremy Corbyn könnte zwar eine Mehrheit im Parlament sichern - könnte aber auch Mays Tory-Partei zerreißen. Denn zu deren zentralen Forderungen gehört, nach dem Brexit in völliger Freiheit Handelsverträge mit Drittstaaten abschließen zu können. Bliebe Großbritannien in der EU-Zollunion, wäre das kaum möglich.
Es sei absolut denkbar, dass die Situation in London auch kommende Woche "chaotisch" bleibe, meint ein britischer Regierungsbeamter. Die Staats- und Regierungschefs der EU-27 aber haben zuletzt wiederholt betont, dass sie einer weiteren Verlängerung der Brexit-Frist nur noch zustimmen würden, wenn es einen guten Grund - sprich: einen konkreten Plan der Briten - gebe. Was passiert, wenn May am kommenden Mittwoch mit leeren Händen beim Brexit-Sondergipfel auftaucht, weiß niemand. Inzwischen scheint nicht einmal mehr ausgeschlossen, dass die EU Großbritannien ohne Deal ausscheiden lässt.
"Schade, nur noch britischen Käse zu essen"
Was dann passieren könnte, malt die EU-Kommission den Briten derzeit in bunten Farben aus. Am Mittwoch hat sie die Folgen eines No-Deal-Szenarios für den Zoll-Bereich dargestellt, am Donnerstag sind Verkehr und Lebensmittelsicherheit, am Freitag Fischerei und Umwelt an der Reihe.
Ein No-Deal-Brexit wäre ein "radikaler rechtlicher Wandel", warnte EU-Finanzkommissar Pierre Moscovici. Die EU-27 seien sich einig, dass der Zollkodex der Union unverzüglich und vollumfänglich auf alle Einfuhren aus Großbritannien angewandt würde. "Das hätte beträchtliche Folgen für den Waren- und Personenverkehr", sagte der Franzose. Allein zwischen Dover und Calais verkehrten pro Tag rund 11.000 Lkw.
Moscovicis Beamte steuerten anschließend konkrete Beispiele bei. Die Einfuhr typisch britischer Leckereien wie Cheddar-Käse, Frühstücksspeck, Würstchen oder Schweinefleischpastete in die EU könnten die Briten nach einem No-Deal-Brexit erst einmal vergessen. Denn der Import von Lebensmitteln auf tierischer Basis sei dann illegal. Damit, so hieß es, wolle man niemanden ärgern. "Aber jemand könnte sonst sehr ernste Krankheiten in die EU einschleppen."
Ob die britische Regierung ähnliche Regelungen träfe - also beispielsweise den Import von Käse aus der EU unterbände - könne sie natürlich nicht sagen, sagte eine Kommissionsexpertin. "Aber nur noch britischen Käse zu essen, wäre für die britischen Verbraucher doch ziemlich schade." Das sei ihre persönliche Meinung. "Ich bin Französin."