Brexit EU-Politiker drohen Irland mit Zollkontrollen

Hamburger Hafen
Foto: Christian Charisius/ dpaJe näher der Brexit-Termin Ende März rückt, desto deutlicher tritt das Dilemma der EU-27 zutage: Sollten der Backstop die Verhandlungen scheitern lassen, würde er womöglich genau das schaffen, was er eigentlich verhindern soll - eine neue echte Grenze auf der irischen Insel. Denn falls Nordirland in der Nacht vom 29. auf den 30. März vom EU-Mitglied zum Drittstaat wird, wäre Irland verpflichtet, die neue EU-Außengrenze zu schützen - und zwar mit eigenen Zöllnern und Polizisten.
Davon allerdings wollen die Iren nichts wissen. Damit droht Streit mit den anderen EU-Staaten. Denn diese verfolgen in den Brexit-Verhandlungen ein Ziel, das ihnen im Zweifel noch wichtiger ist als der Frieden in Irland: der Schutz des EU-Binnenmarkts.
Sollten die Iren im Fall eines ungeregelten Brexits die Grenze nicht kontrollieren, "dann hätten die Briten eine 500 Kilometer lange Hintertür in den Binnenmarkt", sagt der Grünen-Europaabgeordnete Philippe Lamberts, Mitglied der Brexit-Steuerungsgruppe des EU-Parlaments. Um das zu verhindern, müsse man notfalls auch zu drastischen Maßnahmen greifen. "Sollte Irland sich weigern, nach einem harten Brexit die Grenze zu Nordirland zu schützen, müssten wir die Zollgrenze auf den Kontinent verlegen", sagte Lamberts auf Nachfrage des SPIEGEL.
Auch Elmar Brok, ebenfalls Mitglied im Brexit-Gremium des EU-Parlaments, hält eine Absicherung der Grenze für unvermeidlich. "Sonst haben wir bald amerikanische Chlorhühnchen in der EU." Und Chlorhühnchen, so denkt Brok sich das offenbar, fürchten die Deutschen noch mehr als ein erneutes Aufflammen des Bürgerkriegs in Nordirland. "Die Verteidigung des Binnenmarkts ist in Deutschland die Basis unseres ökonomischen Erfolgs", sagt Brok. Sollten die Iren die EU-Außengrenze nicht schützen, "müssten wir die Zollgrenze gegenüber Irland errichten". Das käme praktisch einem Ausschluss Irlands aus dem EU-Binnenmarkt gleich.
Weber: "Sollen wir uns denn erpressen lassen?"
Brok aber sieht in den Problemen Irlands offenbar keinen Grund, die Haltung der EU zu ändern. "Dafür zerstören wir doch nicht die Einheit des Binnenmarkts", sagt der CDU-Mann. "Wenn wir den Binnenmarkt zerstören, ist die EU am Ende." Auch Manfred Weber, Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament und deren Spitzenkandidat für die Europawahl, lehnt es ab, die Position der EU wegen der irischen Grenzfrage aufzuweichen. "Sollen wir uns denn erpressen lassen?", sagt der CSU-Mann. Die Verantwortung in der Grenzfrage liege auf britischer Seite. Würde die EU an diesem Punkt nachgeben, gefährdete sie den Zusammenhalt ihres Binnenmarkts. Das werde man keinesfalls zulassen, sagte Weber. "Der Binnenmarkt ist konstitutiv für die EU."
In Dublin will man eine öffentliche Debatte über die Grenzfrage am liebsten ganz vermeiden. Entsprechend irritiert zeigt sich die irische Regierung über die Wortmeldungen aus dem EU-Parlament. Damit werde der Druck von Großbritannien auf Irland verlagert, sagt ein irischer Beamter. Dabei seien es die Briten, die durch das Karfreitagsabkommen von 1998 verpflichtet seien, die Grenze auf der irischen Insel offen zu halten. Wie das mit dem Brexit zu vereinbaren ist, müsse London beantworten. Das sieht Weber ähnlich: "Wir hängen weiterhin im luftleeren Raum, es fehlt eine klare Ansage der Briten."
Zeichen für ein Umdenken in Irland
Inzwischen aber scheint Irlands Premier Leo Varadkar zu dämmern, dass er im Falle eines harten Brexits um Grenzkontrollen nicht herumkommen wird - Friedensabkommen hin oder her. Zwar erklärte die irische Regierung zunächst mehrfach, selbst im Fall eines ungeregelten Brexits an der Grenze so gut wie gar nichts ändern zu wollen. Doch zuletzt hörte sich das anders an. Im schlimmsten Fall könne eine harte Grenze "Leute in Uniform umfassen" sowie "physische Infrastruktur wie Kameras, womöglich Polizeipräsenz und Militär zu Unterstützung", sagte Varadkar kürzlich dem Branchendienst Bloomberg.
Das könnte zwar neue Unruhen auslösen, aber die drohende Alternative - ein De-facto-Ausschluss aus der EU-Zollunion - würde praktisch bedeuten, dass Irland sich gemeinsam mit Großbritannien von der EU löst. Grünen-Politiker Lamberts hofft, dass die irische Regierung in diesem Fall auf EU-Linie einschwenken würde. Denn sie müsste sich entscheiden - "zwischen einer Grenze ohne Kontrollen oder dem EU-Binnenmarkt".