
EU-Verhandlungen Fantasien aus dem Brexit-Land


London
Foto: Aaron M. Sprecher/ APDass die Briten auf einer Insel leben, ist nicht nur eine geografische Tatsache. Es gilt mitunter auch für die britische Mentalität. Geht es aber um den Brexit, fragt man sich dieser Tage, auf welchem Planeten diese Insel liegt.
Man wolle nach dem Austritt "die exakt gleichen Vorteile" genießen wie zu Zeiten der EU-Mitgliedschaft, erklärte Londons Brexit-Minister David Davis im Januar. Labour-Chef Jeremy Corbyn hat das nicht vergessen. Sollte Großbritannien in Sachen Handel und Zoll gegenüber der EU nicht genauso gut gestellt sein wie vor dem Austritt, werde seine Partei dem Brexit-Deal am Ende nicht zustimmen, erklärte Corbyn am Mittwoch im Londoner Parlament.
Sollte Corbyn das ernst meinen - immerhin hat seine Fraktion dem Brexit-Antrag zugestimmt - lässt sich das fast nur noch mit Realitätsverlust erklären. Denn die Position von Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament ist glasklar: Großbritannien darf nach dem Austritt auf keinen Fall besser dastehen als EU-Mitglieder. Schon allein, um EU-Skeptikern in anderen Ländern keinen Auftrieb zu geben.
Die Position von Premierministerin Theresa May könnte dagegen schwächer kaum sein. In nur zwei Jahren muss sie die hochkomplizierten Verhandlungen zum Erfolg führen, was gelinde gesagt ambitioniert ist - zumal sie an mehreren Fronten zugleich kämpfen muss. Schafft sie es nicht, droht der "dreckige Brexit" ohne Austrittsabkommen. Großbritannien müsste dann auf Basis von WTO-Regeln mit der EU Handel treiben. Für die EU wäre das unschön, für Großbritannien wohl eine Katastrophe. Das britische Finanzministerium hat für diesen Fall einen Einbruch des Bruttoinlandsprodukts um 7,5 Prozent und Steuerausfälle in Höhe von 45 Milliarden Pfund vorhergesagt.
Theresa May im Video: Jetzt kann es kein Zurück mehr geben"
"EU am Rande des Abgrunds"
Die britische Pro-Brexit-Presse scheint das nicht zu stören. "Die EU steht am Rande des Abgrunds", schrieb am Mittwoch etwa der "Daily Telegraph". Das Erstarken des Populismus auf dem Kontinent, die Stärke der britischen Wirtschaft und Europas Angst vor Terrorismus machten einen guten Deal für Großbritannien wahrscheinlich. May müsse "mit vollem Einsatz" spielen.
Allerdings: Terrorismus-Angst und ein Populismus-Problem haben auch die Briten, wie nicht zuletzt die rassistischen Untertöne des Brexit-Wahlkampfs gezeigt haben. Und dass die britische Wirtschaft derzeit stark ist, wird auch daran liegen, dass das Land nach wie vor EU-Mitglied mit vollem Zugang zum Binnenmarkt ist - was sich aber demnächst ändern dürfte.
Das weiß auch May, die am Mittwoch warnte, der Austritt aus der EU werde "für das Vereinigte Königreich Konsequenzen haben". Man werde etwa den Einfluss auf die Regeln der europäischen Wirtschaft verlieren, an denen sich britische Unternehmen auch künftig orientieren müssten. Wohl nicht umsonst hat May auch nicht die "exakt gleichen Vorteile", sondern nur den "bestmöglichen Deal" als Ziel ausgegeben.
Wie schwach Mays Position in Wahrheit ist, zeigt eine Passage aus dem Austrittsantrag. Sollte es am Ende der Verhandlungen keinen Deal geben, heißt es in dem Schreiben an die EU, wäre Großbritannien nicht nur auf WTO-Regeln zurückgeworfen - auch "unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus würde geschwächt". Zwar wären die Nachteile hier, anders als in der Wirtschaft, womöglich für beide Seiten gleich groß. Doch die Gefahr von Anschlägen würde auch in Großbritannien steigen. Dass May zu einer solchen Drohung greift, wirkt einigermaßen verzweifelt.
Werden die Austrittsverhandlugen also mit einer Bestrafung der Briten enden? In Großbritannien wird dieser Eindruck schwer zu vermeiden sein. Dort wurde die EU erst jahrelang verteufelt, dann haben EU-feindliche Politiker und Medien suggeriert, mit dem Brexit werde Großbritannien zu verlorener Größe zurückfinden.
Solche Erwartungen kann der Austrittsdeal nur enttäuschen. Es steht zu befürchten, dass die Brexit-Befürworter ihn deshalb als Bestrafung durch die EU brandmarken werden. Denn sonst müssten sie am Ende womöglich selbst die Verantwortung übernehmen.