Umstrittene Brexit-Frist Brüssel und London pokern um Verlängerung

Feilschen um jeden Tag: Längere Brexit-Verhandlungen sollen für die EU nur infrage kommen, wenn die Briten endlich sagen, was sie wollen. Danach sieht es nicht aus.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier

Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier

Foto: Michael Gruber/ AP

Am 29. März 2019 tritt Großbritannien aus der EU aus - das hat Premierministerin Theresa May immer und immer wieder betont. Seit Dienstag gehört dieses Mantra der Vergangenheit an. Sollte es am 12. März bei der entscheidenden Sitzung des Parlaments keine Mehrheit für ihr Austrittsabkommen geben, wird May über eine Verschiebung des Brexits abstimmen lassen.

Dass die anderen 27 EU-Staaten einer solchen Verlängerung zustimmen müssten - und zwar einstimmig -, kommt dagegen in der innerbritischen Diskussion bestenfalls am Rande vor. Dazu passt, dass die britische Regierung in dieser Angelegenheit bisher weder in Brüssel noch in den anderen EU-Hauptstädten vorgefühlt hat. Keine Anfrage - auch keine informelle - sei in Sachen Verlängerung aus London eingegangen, heißt es aus dem Umfeld von EU-Ratspräsident Donald Tusk. Eine britische Regierungsvertreterin bestätigt, dass man bisher keine solche Initiative gestartet habe.

Laufen die Briten also erneut Gefahr, die Position der EU falsch einzuschätzen? Könnte das ihr letzter Fehler sein, bevor sie in einen katastrophalen No-Deal-Brexit schlittern, wie die "Washington Post" kürzlich gewarnt hat ?

In Großbritannien scheinen das zumindest einige zu ahnen. Solange eine Verlängerung keinen "praktischen Nutzen" habe, würden die EU-27 ihr kaum zustimmen, sagte der ehemalige Tory-Parteichef Iain Duncan Smith einem britischen Radiosender. Den Brexit zu verschieben, ohne zu wissen, wozu man die zusätzliche Zeit brauche, sei eine "komplett sinnlose Übung".

Macron: Keine Verlängerung ohne klares Ziel

Die Signale aus Brüssel sind dagegen widersprüchlich. Mitte Februar hatte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Stuttgart gesagt, kein Mitgliedstaat würde sich einem britischen Antrag auf Verlängerung widersetzen. Am Donnerstag relativierte EU-Chefunterhändler Michel Barnier: "Die Frage ist immer, wofür und wozu." Das Problem solle nicht hinausgeschoben werden, sagte er nach einem Treffen mit Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. "Das Problem soll gelöst werden."

Ähnlich hatte sich am Mittwoch Spaniens Regierungschef Pedro Sánchez geäußert. Eine Verlängerung, die keinen realistischen Plan verfolge, wäre lediglich eine "Verlängerung der Unsicherheit". Am schärfsten formulierte es Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: "Wenn eine Verlängerung kein klares Ziel hat, würden wir sie auf keinen Fall akzeptieren", sagte er nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Eine solche Lösung ist aber weiterhin nicht in Sicht. Die britische Regierung und das Parlament sagen nach wie vor nur, was sie nicht wollen: den sogenannten Backstop. Dieser sieht vor, dass das Vereinigte Königreich zunächst in der EU-Zollunion bleibt, sollte nicht rechtzeitig ein neues Abkommen über das Verhältnis mit der EU stehen. Damit soll das Entstehen einer neuen harten Grenze zwischen Irland und Nordirland verhindert werden.

Großbritannien, befürchten allerdings Kritiker in London, könnte auf ewig in diesem Backstop gefangen bleiben. Wie sich das aber beheben lässt, ohne dass der Backstop seinen von der EU geforderten Rückversicherungs-Charakter verliert, haben sie bisher nicht verraten.

Kakophonie aus Brüssel

Dennoch scheinen einige in der EU bereit, den Briten die Verschiebung des Brexits in jedem Fall zuzugestehen. "Wenn Großbritannien etwas mehr Zeit braucht, dann werden wir uns dem nicht verweigern", sagte Merkel nach dem Treffen mit Macron. Auch Ratspräsident Tusk erklärte, die EU hätte "Verständnis" für den Wunsch nach einer Fristverlängerung.

Man gebe in Sachen Brexit-Verlängerung derzeit eine "Kakophonie" von sich, räumte ein ranghoher EU-Diplomat ein: "Der eine sagt dieses, der andere jenes." Hinter den Kulissen aber scheint weitgehende Einigkeit zu herrschen. Sollten die Briten um eine Verlängerung bitten, würden sie sie bekommen.

Zwar glaube kaum jemand, dass die britische Politik Ende Juni weniger zerrissen ist als Ende März, sagen Diplomaten mehrerer EU-Länder unisono. Zugleich aber wolle niemand den Briten die Verlängerung abschlagen und die Verantwortung für eine No-Deal-Katastrophe übernehmen - schon deshalb nicht, weil die Londoner Brexiteers dann mit Leichtigkeit der EU die Schuld zuschieben könnten.

Bleibt die Frage, warum Macron trotzdem damit droht, die Verlängerung zu verweigern. Eine Theorie lautet, dass der Franzose damit die Chancen Mays steigern will, den Austrittsdeal doch noch durchs Parlament zu bekommen. "Wenn es zumindest eine kleine Gefahr gibt, dass die EU die Verlängerung verweigert", so ein EU-Diplomat, "dann steigert das den Druck auf die Abgeordneten, dem Deal in letzter Minute zuzustimmen."

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