Die EU und der Brexit Juristen halten Reformversprechen an Cameron für unerfüllbar

Premier Cameron fordert von der EU das Versprechen, dass nach dem Referendum der Briten über einen Austritt aus der EU tiefgreifende Reformen stattfinden. Doch laut einem Rechtsgutachten des Bundestags ist das kaum möglich.
Cameron (beim EU-Gipfel): Der britische Premier setzt die Europäische Union unter Druck

Cameron (beim EU-Gipfel): Der britische Premier setzt die Europäische Union unter Druck

Foto: AP/dpa

Die Debatte über das Referendum Großbritanniens zum Verbleib in der EU wird immer brisanter. Es scheint inzwischen klar zu sein: Ein großer Teil von David Camerons Forderungen ist ohne Änderungen der europäischen Verträge nicht zu erfüllen. Der britische Premier will unter anderem, dass EU-Bürger, die im Vereinigten Königreich arbeiten, erst nach vier Jahren Sozialhilfe beziehen können.

Das Problem: Einer Änderung der europäischen Verträge müssen alle 28 EU-Länder zustimmen, in einigen davon muss sogar die Bevölkerung befragt werden. Vor dem britischen Referendum, das spätestens bis Ende 2017 stattfindet, ist das nicht zu schaffen. Deshalb entwickelten die EU-Mitglieder bei ihrem Gipfel am Donnerstagabend eine Art Zwischenlösung: Die Vertragsänderung findet erst nach dem Referendum statt. Die wesentlichen Inhalte werden jedoch bereits zuvor in rechtsverbindlicher Form vereinbart.

Doch laut einer juristischen Expertise aus dem Bundestag, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, kann die Bundesregierung die von den Briten geforderte "unumkehrbare Zusage" gar nicht abgeben - denn einer Änderung der europäischen Verträge müsste der Bundestag zustimmen. In Irland wäre demnach gar ein Referendum fällig.

Nach Meinung der Juristen aus dem Referat EU-Grundsatzangelegenheiten kämen für eine verbindliche Zusage an die Briten drei Möglichkeiten in Betracht:

  • eine politische Absichtserklärung aller EU-Staats- und Regierungschefs,

  • eine gemeinsame Erklärung aller Mitgliedstaaten zur Auslegung der bestehenden europäischen Verträge,

  • ein sogenannter rechtsverbindlicher Beschluss oder

  • ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen den Mitgliedstaaten.

Variante eins halten die Fachleute des Bundestags offenbar nicht für realistisch, da eine reine Absichtserklärung den Briten kaum genügen würde. Auch die zweite Variante würde "die Rechtslage selbst nicht verändern", heißt es in der Expertise. Die Briten aber verlangten "rechtsverbindliche und unabänderliche Klarstellungen", die auch nach einem Regierungswechsel in einem anderen Mitgliedstaat noch gültig seien.

Der Bundestag müsste zustimmen

Für den dritten Weg, den "rechtsverbindlichen Beschluss im Rahmen des Europäischen Rates, mit dem ein Protokoll oder eine Vertragsänderung zugesagt werden", haben die Fachleute des Bundestags ein Beispiel parat - das sogenannte "Edinburgh Agreement". In der schottischen Stadt hatte der Europäische Rat am 12. Dezember 1992 Ausnahmen für Dänemark in den Bereichen Verteidigungspolitik und Währungsunion beschlossen, die bei der nächsten Vertragsänderung eingefügt wurden.

Doch an einem solchen Beschluss, so die Rechtsexperten, müsste der Bundestag im Zuge einer "qualifizierten Stellungnahme" beteiligt werden. Dann müsste die Bundesregierung einen Parlamentsvorbehalt gegen den EU-Rechtsakt einlegen, wenn wesentliche Belange der Stellungnahme auf EU-Ebene nicht durchsetzbar sind. Deshalb könnte auch der rechtsverbindliche Beschluss nach Meinung der Bundestagsjuristen den britischen Wunsch nach einer "unumkehrbaren Zusage" nicht erfüllen.

Als Alternative könnte man die Zusage an Cameron auch in einen völkerrechtlichen Vertrag der Mitgliedstaaten fassen. Einem solchen Abkommen der Mitgliedstaaten müsste der Bundestag aber sogar noch vor der eigentlichen Änderung der EU-Verträge zustimmen. Dies wäre nach Meinung der Fachleute insbesondere dann der Fall, wenn das Abkommen "auf die Regelung der politischen Beziehungen des Bundes zu den übrigen EU-Mitgliedstaaten gerichtet ist".

Der linke Europapolitiker Fabio de Masi will den Spieß jetzt umdrehen. Cameron wolle aus der EU eine "totale Freihandelszone" machen. Deshalb müsse das deutsche Grundgesetz geändert werden - so dass die Bevölkerung, wie auch in Irland, per Referendum über die Änderung der EU-Verträge für die Briten befragt wird.

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