EU-Austritt der Briten Was ein harter Brexit im Alltag bedeuten würde

Bei einem harten EU-Ausstieg müssten sich die Briten auf Engpässe einstellen, viele Menschen hamstern schon Lebensmittel und Medikamente. Was würde sich ändern?
Einkaufswagen in britischem Supermarkt (Symbolbild)

Einkaufswagen in britischem Supermarkt (Symbolbild)

Foto: Stefan Wermuth/ REUTERS

Der Brexit, so hat es Theresa May mal gesagt, solle "der Moment der Erneuerung und Versöhnung für unser ganzes Land" sein. Irgendetwas ist dabei schiefgelaufen - auch nachdem die britische Premierministerin ihren Plan B vorgestellt hat, ist der harte Brexit weiter eine Option. Für diesen Fall fürchten Experten chaotische Folgen.

Doch was wären die konkreten Auswirkungen eines EU-Ausstiegs im Alltag der Briten?


Makrelen statt Garnelen

Frischer Salat, Tomaten und Gurken - Produkte, die britische Supermarktregale füllen, wären im Fall eines chaotischen Brexits ohne Abkommen wohl schnell vergriffen. Es könnte zu Wartezeiten beim Zoll kommen.

Die britische Regierung plant daher, die Bevölkerung auf eine Ernährungsumstellung einzuschwören. "Die Menschen würden nicht verhungern, aber sie hätten nicht mehr die gewohnte Auswahl", sagte Tim Lang, Professor für Ernährungspolitik, kürzlich der Londoner "Times". Dann könnte statt Garnelen und Thunfisch aus der EU etwa heimische Makrele auf dem Speiseplan stehen - und statt frischem Gemüse Kartoffeln und Kohl.

Supermärkten geht der Lagerplatz aus

Auch die Supermärkte auf der Insel stellen sich auf den harten Brexit ein. Für die nächsten sechs Monate seien die Kühlhäuser auf der Insel ausgebucht, ausländische Kunden seien bereits abgewiesen worden, verkündeten Vertreter der Industrie.

Und auch viele Bürger bereiten sich auf den Brexit vor - indem sie Vorräte einlagern. In der Facebook-Gruppe "48% Preppers"  diskutieren knapp 7000 Mitglieder, was im Ernstfall nicht fehlen darf. Benannt ist die Gruppe nach den 48 Prozent der Wähler, die bei der Brexit-Abstimmung 2016 für einen Verbleib in der EU stimmten.

Stau, Stau, Stau

Mehr als 10.000 Lastwagen verlassen an einem durchschnittlichen Tag den Hafen im britischen Dover Richtung Frankreich. Das geht schnell: Auf der einen Seite rollen sie auf die Fähre, auf der anderen Seite wieder herunter. Mit dem Brexit würde dieser Vorgang komplizierter: Alle Waren an Bord der Fahrzeuge müssten beim Zoll deklariert werden.

Wissenschaftler des Imperial College London haben die Folgen ausgerechnet: Schon wenige Minuten, die eine gesonderte Überprüfung dauern würde, ergäbe einen 50 Kilometer langen Rückstau auf den Straßen Richtung Inland.

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Kraut und Rüben

Auch auf den Feldern und Äckern des Königreichs könnte der Brexit Folgen haben. Dann etwa, wenn die 75.000 Erntehelfer, die bisher Jahr für Jahr überwiegend aus den östlichen EU-Ländern auf die Insel kommen, nicht mehr einfach so einreisen dürfen.

In Schottland verdarben bereits im vergangenen Jahr Nahrungsmittel auf den Feldern - manche Regionen verzeichneten einen Rückgang der Saisonkräfte von 20 Prozent. Laut einer Studie, die die schottische Regierung in Auftrag gegeben hatte, trug der Brexit dabei "zweifellos" eine Mitschuld - wichtige Faktoren waren die Unsicherheit über die Entwicklung des Arbeitsmarkts und der Währungsverfall.

Engpass bei Medikamenten

80 Arzneimittel sind in England bereits jetzt derart rar, dass die Regierung sie auf einer "Engpass-Liste" führt. Selbst häufig verschriebene Antidepressiva und Schmerzmittel könnten bald knapp werden. Im Oktober standen auf dieser Liste nur 45 Medikamente. Auch aus Nordirland, Wales und Schottland gibt es Berichte über ähnliche Schwierigkeiten.

Umstritten ist, wie es zu der Knappheit kommt - die Regierung verweist mit Nachdruck auf Schwankungen auf dem Weltmarkt. Kritiker dagegen glauben, dass Arzneien von Unternehmen aufgekauft würden. Diese könnten "auf den Brexit spekulieren", so Martin Sawer, Sprecher der britischen HealthCare Distribution Association.

Die Ernstfall-Broschüre

Kann ich nach dem Brexit noch mit meinem britischen Handy telefonieren, wenn ich in die EU einreise? Darf ich die Hunde aus meiner Terrier-Zucht weiterhin exportieren? An wen zahle ich in Zukunft meine Steuern?

Fragen wie diese beantwortet die britische Regierung in der Broschüre  "Wie ich mich darauf vorbereite, falls Großbritannien die EU ohne Deal verlässt". Immerhin, ein Handbuch gibt es schon einmal.

Wahrheiten und Lügen

"Wir schicken der EU jede Woche 350 Millionen Pfund - lasst sie uns stattdessen in unser Gesundheitssystem stecken." Die Aufschrift, die sich über die gesamte Längsseite eines roten Busses zog, sorgte Anfang 2016 für Aufsehen. Boris Johnson fuhr mit diesem Bus durchs Land und machte Wahlkampf für den EU-Austritt.

Schnell wurde enttarnt, dass die Aussage falsch war - es war schlicht nicht mit eingerechnet, dass auch die EU Zahlungen an Großbritannien leistet. Richtig wären wohl 110 Millionen Pfund gewesen.

Doch für Johnson ging die Werbung auf: Umfragen ergaben, dass 78 Prozent der Briten schon einmal von den 350 Millionen gehört hatten, davon hielten sie 47 Prozent für richtig. Der Bus wurde übrigens von einem deutschen Unternehmen in Polen gefertigt.

lmd
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