Brexit-Drama Jetzt will sogar Farage ein neues Referendum

Nigel Farage
Foto: action pressDas britische Brexit-Drama ist an Überraschungen nicht arm, doch das hatten selbst Insider kaum für möglich gehalten: Nigel Farage, Ex-Chef der nationalkonservativen Ukip-Partei und Galionsfigur der Brexiteers, liebäugelt öffentlich mit einem zweiten Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens.
Für Katholiken wäre das in etwa so, als würde der Papst die Existenz Gottes infrage stellen. Denn bisher hat das Pro-Brexit-Lager noch jeden als Demokratie- und Volksfeind gebrandmarkt, der es wagte, im Austrittsreferendum etwas anderes als das letzte und heilige Wort des Wählers zu sehen. Farage aber erklärte am Donnerstag in einer Talkshow eine zweite Volksabstimmung für potenziell sinnvoll. Sie würde das Gezeter des Remain-Lagers "für eine Generation vernichten" und die Politik zu einem harten Brexit zwingen - egal, wie negativ die Konsequenzen für die Wirtschaft wären.
Die Absage aus Downing Street kam prompt. "Wir werden kein zweites Referendum durchführen", sagte ein Sprecher von Premierministerin Theresa May. Die Brexit-Gegner aber nahmen Farages Vorschlag freudig auf. Nick Clegg, Ex-Chef der Liberaldemokraten - der einzigen britischen Partei mit klarer Pro-EU-Position - setzte einen Tweet ab, den er bis vor Kurzem wohl selbst für unmöglich gehalten hätte: "Ich stimme mit Nigel überein." Labour-Politiker Chuka Umunna sagte dem "Guardian", Farage habe zum ersten Mal in seinem Leben etwas Sinnvolles von sich gegeben. Das britische Volk habe "jedes Recht, offen gegenüber dem Brexit zu sein".
I agree with Nigel.
— Nick Clegg (@nickclegg) January 11, 2018
"Dann müssten die Briten ohne Abkommen austreten"
Eine zweite Volksabstimmung gilt im Remain-Lager als letzte Chance, den Brexit doch noch zu verhindern - und Umfragen legen nahe, dass die EU-Freunde es gewinnen könnten. Die Buchmacher Coral und Betfair haben die Möglichkeit eines zweiten Referendums nach Farages Einlassung von 10 auf 20 Prozent erhöht. Die Siegchancen eines Remain-Lagers taxieren die Wettanbieter auf satte 63 Prozent.
Eine Frage aber stellt in Großbritannien bisher kaum jemand: Was würde die EU tun, wenn das britische Volk - oder auch das britische Parlament - einen mühsam ausgehandelten Deal kurz vor dem Austrittsdatum am 29. März 2019 platzen ließe?
"Dann müssten die Briten ohne Abkommen austreten", meint Elmar Brok (CDU), Mitglied in der Brexit-Steuerungsgruppe des EU-Parlaments. Zwar wäre auch er für ein zweites Referendum - "aber es müsste eine Abstimmung über den Verbleib in der EU sein, nicht über den Inhalt des Austrittsdeals". Ähnlich äußert sich der britische Europaabgeordnete Seb Dance. "Ich glaube keine Sekunde daran, dass die EU-Kommission oder die Mitgliedstaaten nach einem Referendum die Verhandlungen von vorn beginnen würden." In einem zweiten Referendum könne es deshalb nur darum gehen, "dass man die Sache komplett abbläst".
Was ist Londons Kurs - und gibt es überhaupt einen?
Eine andere Frage ist, ob die Briten ihren Austrittsantrag überhaupt einseitig zurücknehmen können. In Artikel 50 des EU-Vertrags, der den Austritt regelt, steht darüber kein Wort - und Juristen sind sich uneins. In Brüssel befürchtet man, dass London den Antrag zurückziehen und später neu stellen könnte, um Zeit zu gewinnen. Das EU-Parlament hat deshalb in einer Resolution gefordert, dass ein Rücktritt der Briten vom Brexit nur zu Bedingungen möglich sein dürfe, die von den anderen EU-Ländern festgelegt werden.
Die britische Regierung bleibt derweil unverdrossen auf Kurs - sofern von einem Kurs die Rede sein kann. Denn weiterhin ist unklar, wie etwa die Rückkehr einer harten Grenze auf der irischen Insel verhindert werden kann, wenn Großbritannien wie von Mays Regierung angekündigt aus der Zollunion ausscheiden und die Zuwanderung kontrollieren will. Auch wie die britischen Finanzdienstleister den wichtigen Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten sollen, den die Regierung unbedingt verlassen will, weiß niemand.
In einem Gastbeitrag von Brexit-Minister David Davis und Schatzkanzler Philip Hammond, der am Mittwoch in der "Frankfurter Allgemeinen" erschien, stand dazu wenig Erhellendes. Man müsse fantasievoll und erfinderisch auf eine maßgeschneiderte Lösung hinarbeiten, schrieben sie. Es sind Sätze, die man in Brüssel inzwischen im Schlaf aufsagen kann.
Am Mittwoch sagte Hammond auf einer Wirtschaftskonferenz in Berlin, die EU möge doch bitte Vorschläge zum zukünftigen Verhältnis mit Großbritannien machen. Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie, zeigte sich davon überrascht. Er habe verstanden, dass die Briten kein Handelsabkommen wie Norwegen, keines wie die Schweiz und auch keines wie Kanada haben wollten. "Aber um Himmels Willen", sagte Kempf, "lasst uns endlich wissen, was ihr wollt."
Zusammengefasst: Die Forderungen nach einem zweiten Referendum über den britischen EU-Austritt werden immer lauter. Jetzt spielt sogar der ehemalige Ukip-Chef Nigel Farage, eine zentrale Figur des Brexit-Lagers, mit dem Gedanken an eine zweite Volksabstimmung - mit dem Ziel, einen harten Brexit unausweichlich zu machen. Seine Gegner hoffen dagegen, dass sie den Austritt damit noch abwenden können. Doch fraglich ist, ob die Briten ihren Austrittsantrag überhaupt einseitig zurücknehmen können.