Gegen den Willen der Regierung Britisches Parlament erzwingt Abstimmung über Brexit-Alternativen
Das britische Parlament wird gegen den Willen der Regierung an diesem Mittwoch über Alternativen zum Brexit-Abkommen abstimmen. Ein entsprechender Antrag erhielt am späten Montagabend in der Schlussabstimmung im Unterhaus eine Mehrheit von 327 zu 300 Stimmen.
Damit haben sich die Abgeordneten größeren Einfluss auf den Brexit-Prozess verschafft - und Premierministerin Theresa May eine erneute Schlappe verpasst. Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, bezeichnete das Ergebnis via Twitter als "weitere demütigende Niederlage für die Premierministerin, die komplett die Kontrolle über ihre Partei, ihr Kabinett und den Brexit-Prozess verloren hat".
Another humiliating defeat for a Prime Minister who has lost complete control of her party, her Cabinet and of the Brexit process.
— Keir Starmer (@Keir_Starmer) March 25, 2019
Parliament has fought back - and now has the chance to decide what happens next. https://t.co/pvdt0HbGY8
Als Optionen für die Testabstimmungen am Mittwoch werden unter anderem eine engere Anbindung an die EU und ein zweites Referendum gehandelt. Auch eine direkte Abkehr vom Brexit durch Zurückziehen der Austrittserklärung ist im Gespräch.
Ein Votum für eine dieser Varianten wäre rechtlich zwar nicht bindend - es würde aber einen Hinweis darauf geben, wofür es eine Mehrheit im Parlament geben könnte. Und für Großbritannien, wo normalerweise die Regierung die Agenda bestimmt, ist es ein durchaus bedeutender demokratischer Schritt.
Das Brexit-Ministerium erklärte am späten Montagabend, das Votum stelle einen "gefährlichen" Präzedenzfall dar. Das Abstimmungsergebnis sei "enttäuschend" und bringe das "Gleichgewicht zwischen unseren demokratischen Institutionen" durcheinander.
May hatte am Montagnachmittag eingestanden, dass sich noch immer keine Mehrheit für den Brexit-Deal abzeichnet, den sie mit Brüssel ausgehandelt hatte. Daher wolle sie vorerst nicht erneut über dieses Vertragspaket zum EU-Austritt abstimmen lassen, sagte sie vor dem Unterhaus. "Mit großem Bedauern muss ich feststellen, dass es zum jetzigen Zeitpunkt immer noch nicht ausreichend Unterstützung im Unterhaus gibt, um ein drittes Mal votieren zu lassen."
Bereits zwei Mal ist das zwischen May und Brüssel ausgehandelte Abkommen im Unterhaus durchgefallen. Eine Mehrheit für den Deal wäre nach Ansicht von Beobachtern aber auch dieses Mal nicht in Sicht.
Ursprünglich wollte Großbritannien die EU am 29. März verlassen, also an diesem Freitag. In der vergangenen Woche bot die EU der Regierung in London eine Verschiebung des Termins bis zum 22. Mai an. Bedingung dafür ist allerdings, dass das Unterhaus in dieser Woche dem Austrittsvertrag zustimmt. Andernfalls gilt die Verlängerung nur bis zum 12. April. In dem Fall soll London vor diesem Termin sagen, wie es weitergehen soll.

Der Druck auf May war zuletzt noch einmal deutlich gestiegen. Britische Medien hatten am Wochenende berichtet, die Premierministerin könnte von ihrem Kabinett zu einem baldigen Rücktritt gezwungen werden. Erste Namen für mögliche Nachfolger im Amt kursieren bereits (mehr zur Brexit-Starre der Premierministerin - und was sie überhaupt noch ausrichten kann - erfahren Sie hier).
Drei britische Staatssekretäre treten zurück
Am Montag traten im Brexit-Streit zudem drei britische Staatssekretäre zurück. Industrie-Staatssekretär Richard Harrington gab seinen Rückzug via Twitter bekannt. Er warf der Regierung vor, "Roulette" mit dem Schicksal der Bevölkerung zu spielen. Er wolle alles ihm Mögliche unternehmen, um einen EU-Austritt Großbritanniens ohne Abkommen zu verhindern.
Nach Angaben aus Regierungskreisen scheiden zudem Außenstaatssekretär Alistair Burt und Gesundheitsstaatssekretär Steve Brine aus der May-Regierung aus. Alle drei Staatssekretäre hatten am Montagabend für mehr Befugnisse des Unterhauses im Brexit-Prozess gestimmt.
Video: Opposition attackiert May
Die EU treibt unterdessen die Vorbereitungen auf einen möglichen chaotischen Brexit weiter voran. Die EU-Kommission veröffentlichte am Montag dazu neues Informationsmaterial für Bürger. Darin ist unter anderem beschrieben, was im Fall der Fälle bei Reisen ins Vereinigte Königreich beachtet werden muss - dass beispielsweise die Europäische Krankenversicherungskarte nicht mehr gelten würde und dass wieder Zusatzkosten für die Handynutzung anfallen könnten.
Sollte Großbritannien tatsächlich ohne Austrittsvertrag aus der EU ausscheiden, wird mit dramatischen Folgen für die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche gerechnet. Millionen EU-Bürger in Großbritannien und Briten in der EU würden in große Unsicherheit gestürzt.