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Brexit-Streit um Gibraltar Der Stolperfels

Der Streit um die Zukunft Gibraltars eskaliert: Britische Politiker deuten an, für die Souveränität der Halbinsel notfalls in den Krieg zu ziehen. Worum geht es?

Sollte es der Plan der EU gewesen sein, Großbritannien zu provozieren, wäre er voll aufgegangen. In ihren Richtlinien zu den Brexit-Verhandlungen stärkt sie Spanien im jahrhundertealten Streit um Gibraltar. London reagierte empört - sogar von Krieg ist die Rede.

Worum geht es in dem Streit? In den Brexit-Richtlinienentwurf der EU, der vergangenen Freitag veröffentlicht wurde, heißt es, dass kein Abkommen zwischen der EU und London ohne Zustimmung Spaniens auf Gibraltar angewendet werden darf. Sollte es also nach dem Brexit etwa ein Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien geben, könnte Spanien verhindern, dass es auch in Gibraltar gilt. Ein Kommissionsmitarbeiter erklärte jedoch, dass ein solches Abkommen ohnehin von allen restlichen EU-Staaten einstimmig beschlossen werden müsse, Spanien also in jedem Fall ein Vetorecht habe.

Michael Howard, früherer Parteichef der britischen Konservativen, verglich die Situation in Gibraltar mit dem Krieg um die Falklandinseln. Vor 35 Jahren habe Premierministerin Margaret Thatcher das britische Militär um die halbe Welt geschickt, "um die Freiheit einer anderen kleinen Gruppe von Briten gegen ein anderes Spanisch sprechendes Land zu verteidigen", sagte Howard. Er sei "absolut sicher", dass die jetzige Premierministerin Theresa May "dieselbe Entschlossenheit" zeige, um den Bewohnern Gibraltars beizustehen.

Gebiet von Gibraltar

Gebiet von Gibraltar

Foto: JORGE GUERRERO/ AFP

Zwar hat Howard kein Regierungsamt inne, und seine Zeit als Tory-Chef liegt zwölf Jahre zurück. Doch dem rechten Flügel der Partei wird erheblicher Einfluss auf die Brexit-Politik der Regierung nachgesagt. Anstatt sich etwa von Howards Wortwahl zu distanzieren, legte Verteidigungsminister Michael Fallon kurz darauf nach: "Gibraltar wird bis ans Ende geschützt." Die Bewohner des Gebiets hätten sich klar dagegen ausgesprochen, von Spanien regiert zu werden, sagte Fallon der BBC.

Premierministerin May ließ am Montag einen Sprecher allen Ernstes erklären, dass sie nicht vorhabe, eine militärische Einsatzgruppe nach Gibraltar zu schicken. Dass sie so etwas überhaupt erklären lassen muss, ist bemerkenswert. Ohnehin handele es sich bei den EU-Richtlinien für die Brexit-Verhandlungen bisher nur um einen Entwurf. Eine endgültige Festlegung treffen die EU-Staats- und Regierungschefs erst auf einem Sondergipfel am 29. April.

Ein Seekrieg um das 32.000-Einwohner-Gebiet scheint damit erst einmal vom Tisch. Doch der seit mehr als 300 Jahren andauernde Streit um den sogenannten Affenfelsen, den Spanien 1713 an Großbritannien abgetreten hat, dürfte damit noch lange nicht erledigt sein.

Spanien sendet brisantes Signal an Schottland

Brüsseler Insider halten den Wegfall der Gibraltar-Passage aus den Brexit-Leitlinien für unwahrscheinlich, die spanische Regierung bestehe auf dem Satz. Ein Sprecher der spanischen Regierung betonte, der Gibraltar-Vorschlag sei sehr zufriedenstellend. Nicht nur die konservative Partei PP von Ministerpräsident Mariano Rajoy, auch die oppositionellen Sozialisten und die Liberalen seien sich einig, dass sich nun neue Möglichkeiten mit Blick auf den Landzipfel auftäten.

Madrids Außenminister Alfonso Dastis tat so, als verstehe er die ganze Aufregung nicht. Die spanische Regierung sei "ein wenig erstaunt" über den Ton aus Großbritannien - "einem Land, das für seine Selbstbeherrschung bekannt ist", sagte Dastis am Montag am Rande einer Konferenz. Doch eine Bemerkung, die er gegenüber der Zeitung "El Pais" fallen ließ, dürfte nicht eben zur Beruhigung der Londoner Gemüter beitragen. Gefragt nach dem EU-Beitritt eines unabhängigen Schottlands sagte Dastis: "Ich glaube nicht, dass wir das von vornherein blockieren würden." Zwar betonte er, dass Schottland dann den ganz normalen Beitrittsprozess durchlaufen müsste. Nach hartem Widerstand aber klang das nicht.

Es ist eine brisante Äußerung. Die EU-Mitgliedschaft ist der Hauptgrund für die schottische Regierung, erneut ein Referendum über die Trennung von Großbritannien anzustreben. Beobachter rechneten aber bisher mit einer Blockade Spaniens, das befürchtet, ein EU-Beitritt eines unabhängigen Schottlands würde die Separatisten in Katalonien stärken. Dass Madrid diese Position nun lockert, könnte in London als indirekte Hilfe für die schottische Abspaltungsbewegung interpretiert werden.

"Souveränität Gibraltars wird sich nicht ändern"

Der britische Außenminister Boris Johnson ließ es sich folglich nicht nehmen, klare Worte an Spanien zu richten: "Die Souveränität Gibraltars ist unverändert", sagte er am Montag in Luxemburg. "Sie wird sich nicht ändern, und eine Änderung ist auch undenkbar ohne die ausdrückliche Unterstützung und Zustimmung des Volks von Gibraltar und des Vereinigten Königreichs."

Laut Berichten britischer Medien hatte auch die Regierung in London erwogen, Gibraltar in ihre offizielle Austrittsankündigung aufzunehmen, dann aber davon abgesehen. Der Tory-Politiker Timothy Boswell, Chef des EU-Ausschusses im britischen Oberhaus, kritisierte das scharf. Der Verzicht auf eine klare Ansage in Sachen Gibraltar habe es der EU ermöglicht, Gibraltar als "umstrittenes Territorium" darzustellen, das in den Brexit-Verhandlungen nichts zu sagen habe, erklärte Boswell. Mays Regierung müsse den Eindruck vermeiden, Gibraltar sei eine Nebensache.

Das zumindest dürfte der britischen Regierung inzwischen gelungen sein.


Zusammengefasst: Was wird nach dem Brexit aus Gibraltar? Die spanische Regierung sieht offenbar die Chance gekommen, das Gebiet mehr als als 300 Jahre nach der Abtretung an Großbritannien zurückzubekommen. Die Briten aber wollen das auf keinen Fall akzeptieren. Es kam sogar zu Andeutungen einer militärischen Auseinandersetzung.

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