Theresa Mays Brexit-Chaos Dann eben Plan C
Am Ende waren es gerade mal 13 Minuten. 13 Minuten, in denen Theresa May redete, ohne viel zu sagen. In denen die britische Premierministerin wieder einmal sehr deutlich machte, was sie mit Blick auf den Brexit alles nicht will, und in denen sie wenig verriet darüber, was sie stattdessen will. 13 Minuten, in denen das vollgepackte Unterhaus in Westminister auf eine Antwort der Regierungschefin hoffte, aber nur eine Frage bekam: "Wie können wir in diesem Haus eine Mehrheit für einen Deal (mit der Europäischen Union) sicherstellen?"
Es ist, wie es war: Theresa May hat keinen Plan B. Stattdessen hat sie aus ihrem Plan A ein Papierschiffchen gebastelt und es in den Teich gesetzt. Jetzt wartet sie ab, woher der Wind weht.
Viele hatten sich von dieser Rede der Regierungschefin am Montagnachmittag eigentlich anderes erwartet. Nach ihrer historischen Abstimmungsniederlage eine Woche zuvor, als zwei Drittel des Parlaments den von ihr verhandelten Scheidungsvertrag mit der EU in der Luft zerrissen, hatte May angekündigt, erstmals überhaupt mit anderen Parteien nach einem Ausweg aus der Brexit-Zwickmühle suchen zu wollen.

Theresa May
Foto: Kirsty Wigglesworth/ dpaEine Aufgabe, die erschwert wurde dadurch, dass Jeremy Corbyn, der Chef der größten Oppositionspartei Labour, sich jedem Gespräch verweigert, solange die Regierung die Option auf dem Tisch lässt, notfalls ohne jede vertragliche Absicherung aus der EU auszuscheiden. Und weil May ihrerseits früh klar gemacht hatte, dass sie die Kernelemente ihres Brexit-Plans nicht voreilig aufzugeben gedenkt, blieb im Grunde kein Spielraum für Kompromisse.
Erst mal die eigenen Reihen schließen
May, die den Begriff Sturheit auf ein ganz neues Niveau gehoben hat, versuchte übers Wochenende dennoch unermüdlich, das Patt aufzulösen. Von ihrem Landsitz Chequers aus nahm sie Kabinettsmitglieder, Abgeordnete ihrer konservativen Partei und einzelne Vertreter der Opposition ins Gebet. Dabei versuchte sie auch herauszufinden, ob sie auf Labour-Seite gegebenenfalls genügend Parlamentarier gewinnen könnte, um die Rebellion in den eigenen Reihen zahlenmäßig auszugleichen.
Offenbar vergebens.
Am Sonntagabend informierte sie nach britischen Medienberichten ihre Minister darüber, dass sie nun doch erst einmal die Tory-Renegaten und ihren De-facto-Koalitionspartner, die nordirische DUP, zurückgewinnen wolle.
Wie genau das gehen soll, verriet May am Montag allerdings nicht. In ihrem 13-minütigen Statement ließ die 62-Jährige lediglich wissen, dass sie sowohl einen No Deal als auch ein zweites Referendum - das zur Absage des Brexit führen könnte - für gefährlich hält. Sie kündigte abermals an, mit der EU über den sogenannten Backstop für die nordirisch-irische Grenze verhandeln zu wollen. Mit dieser Notfalllösung würde Nordirland für einen unbestimmten Zeitraum in der EU-Zollunion bleiben, sollten sich London und Brüssel bis Ende 2020 nicht auf einen Freihandelsvertrag einigen können.
Um guten Willen zu demonstrieren, versprach May zudem, dem Parlament größeres Mitspracherecht beim Aushandeln der künftigen Beziehungen zur EU einzuräumen. Labour köderte sie mit der Zusage, Arbeitnehmerrechte auch nach dem Brexit nicht anzutasten. Und schließlich soll die geplante Neuregistrierung der etwa 3,5 Millionen EU-Bürger im Königreich kostenfrei erfolgen. Ansonsten will sie weiterreden - mit wem auch immer.
Ein kühner Vorstoß aber, ein überraschender Plan, der dazu geeignet wäre, eine Mehrheit des Unterhauses hinter sich zu vereinen: Fehlanzeige. May, so scheint es, ist nicht mehr in der Lage, den Brexit-Prozess zu steuern. Das müssen andere für sie tun. Allen voran das Parlament.
Mehrere Ideen aus dem Parlament
Das Unterhaus hat nun bis zum Dienstag kommender Woche Zeit, May auf einen Kurs zu bringen - oder gar: zu zwingen. Etliche Vorstellungen geistern durch den Palast von Westminster, die in den nächsten Tagen in Form von Gesetzesanträgen zur Abstimmung gestellt werden. Völlig unabsehbar, ob es wenigstens für einen davon eine Mehrheit gibt. Und sei es nur eine theoretische.
- So plant eine überparteiliche Gruppe von Abgeordneten, ein vertragsloses Ausscheiden aus der EU ohne jede Übergangsfrist - den sogenannten No Deal - praktisch illegal zu machen. Sollte kurz vor dem Brexit-Datum am 29. März kein Abkommen vorliegen, würde die Regierung mit diesem Antrag dazu gezwungen, den Austrittsprozess im allerletzten Moment zu stoppen.
- Andere Parlamentarier wollen sich das Recht erstreiten, im Unterhaus sämtliche möglichen Brexit-Varianten zu testen: Mit solchen "Fingerzeig-Abstimmungen" würde deutlich, ob es überhaupt einen Weg heraus aus dem parlamentarischen Patt gibt.
- Eine dritte Gruppe will anregen, Mays Deal mit der EU doch noch zuzustimmen, allerdings mit der erheblichen Einschränkung, den nordirischen Backstop zeitlich zu befristen.
May wird immer mehr zur bloßen Zuschauerin
Die EU, die jedes Aufschnüren des Austrittsvertrags bislang strikt abgelehnt hat, würde dadurch unter erheblichen Zugzwang geraten. Dass die Einheit der 27 restlichen EU-Staaten allmählich zu bröckeln droht, wurde am Montag deutlich: Da regte Polens Außenminister an, den Briten durch eine Befristung des Backstop entgegenzukommen - was von der irischen Regierung postwendend zurückgewiesen wurde.
So oder so: In Großbritannien hat eine Entwicklung begonnen, an deren Ende Theresa May nur noch Zaungast eines Spektakels namens Brexit sein könnte. Der schleichende Machttransfer von der Exekutive zur Legislative - der nur möglich ist, weil das Land nicht mittels einer festgeschriebenen Verfassung, sondern durch Gewohn- und Gepflogenheiten regiert wird - ist nicht ohne Risiko. Aber am Ende vielleicht alternativlos. Und womöglich ist May gar nicht einmal so unglücklich darüber.
Das zumindest argwöhnte am Montag Yvette Cooper. May, so die Labour-Abgeordnete, wolle ebenfalls einen No Deal verhindern, aber angesichts der Machtverhältnisse in der konservativen Partei, wisse sie nicht, wie. "Jetzt hofft sie, dass wir das im Parlament für sie erledigen." Dass wohl auch May damit endgültig erledigt wäre, ist ein Preis, den viele Abgeordnete mehr als bereitwillig zahlen würden.