EU-Gipfel in Salzburg Premierministerin May prallt ab

Britische Regierungschefin May in Salzburg
Foto: CHRISTOF STACHE/ AFPBeim Dinner hatte Theresa May knapp zehn Minuten, um die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Staaten zu überzeugen. Zehn Minuten, um zumindest einen kleinen Keil in die bisher feste Wand zu treiben. Zehn Minuten, um zwischen Wiener Schnitzel und Sachertorte endlich direkt mit ihren EU-Amtskollegen über den Brexit zu reden.
Die Staats- und Regierungschefs sollten von Beobachtern zu Teilnehmern werden, sagte die britische Premierministerin zu ihnen nach Angaben von EU-Beamten. Großbritannien habe sich bereits bewegt, und nun sei die restliche EU an der Reihe. Dann setzte May sich wieder. Von den anderen Staats- und Regierungschefs antwortete niemand. Sie diskutierten stattdessen am Donnerstag beim informellen Gipfel in Salzburg mit EU-Chefverhandler Michel Barnier weiter - ohne May.
Damit war ein weiterer Versuch Mays gescheitert, an Barnier vorbei über den Brexit zu verhandeln. Doch ihre Gesprächspartner denken offenbar gar nicht daran, Zugeständnisse zu machen. Bei den zentralen Streitfragen - dem britischen Zugang zum EU-Binnenmarkt und der irischen Grenzfrage - "haben wir sehr klare Prinzipien", sagte etwa Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Nicht die EU, sondern Großbritannien müsse sich bewegen, insbesondere was die Frage der irischen Grenze betreffe.
Merkel: "Es gibt auch ein paar Maßstäbe"
Den britischen Vorwurf, die EU sei zu wenig zu Kompromissen bereit, konterte Luxemburgs Premier Xavier Bettel kühl: "An unserem Tisch sitzen einige Kollegen, die das gleiche über Theresa May sagen." EU-Ratspräsident Donald Tusk beschied, dass Mays Vorschläge zu den künftigen Handelsbeziehungen "nicht funktionieren werden".
Auch Kanzlerin Angela Merkel sagte, man sei sich einig gewesen, "dass es in Sachen Binnenmarkt keine Kompromisse geben kann". Sicher, man werde aufeinander zugehen müssen. "Aber es gibt auch ein paar Maßstäbe", so Merkel. Einer davon sei, "dass man nicht zum Binnenmarkt gehören kann, ohne Teil des Binnenmarkts zu sein." Es war eine Absage an Mays Wunsch, mit der EU eine Freihandelszone für Waren zu gründen, Dienstleistungen und den freien Personenverkehr aber außen vor zu lassen.
Einen Fortschritt gab es in Salzburg nur bei der Frage, wann das Austrittsabkommen beschlossen werden soll. Das solle nun nicht wie geplant beim regulären EU-Gipfel Mitte Oktober, sondern bei einem Sondergipfel im November geschehen. Unter einer Bedingung, betonte Tusk: Dass die Briten bis dahin eine "präzise und klare" Lösung für die Irland-Frage vorlegen. Ansonsten sei ein Gipfel im November sinnlos.
Damit ist die Irland-Frage weiterhin die größte Hürde auf dem Weg zu einem Deal. Durch den Austritt der Briten aus dem EU-Binnenmarkt und der Zollunion drohen neue Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland. Die EU besteht deshalb auf einer Notbremse, auch "Backstop" genannt: Notfalls muss Nordirland praktisch Teil der EU-Zollunion bleiben.
Das aber hätte eine Zollgrenze zwischen Nordirland und dem restlichen Vereinigten Königreich zur Folge - was May unter keinen Umständen akzeptieren werde, wie sie auch beim Dinner in Salzburg wieder betonte. Dabei hat sie der Notbremse erst im Dezember 2017 zugestimmt. May selbst sagt zwar, sie stehe zu der Einigung, man müsse sie aber "entwickeln". Ein britischer EU-Diplomat meint, May habe einem Backstop zugestimmt - und nicht unbedingt dem Backstop, den sich die restliche EU vorstelle.
Druck auf May steigt
Zugleich läuft den Verhandlern die Zeit davon. Der EU-Sondergipfel Mitte November gilt als letzter Termin, damit das britische Parlament den Deal noch rechtzeitig zum Brexit-Datum am 29. März 2019 absegnen kann.
Nicht nur der Zeitplan setzt May unter Druck. In den vergangenen Tagen häuften sich drastische Warnungen aus der Wirtschaft. Man habe die Brexit-Notfallpläne bereits in Gang gesetzt, sagte Sergio Ermotti, Chef der UBS-Bank. Das gelte für die gesamte Branche: "Das Finanzsystem arbeitet bereits unter der Annahme, dass es kein Austrittsabkommen gibt." Im Grunde sei es schon fast egal, ob sich London und Brüssel noch einigen. "Alles, was von jetzt an passiert, wird die Sache nicht mehr billiger machen", sagte Ermotti dem Nachrichtendienst Bloomberg.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) erklärte, dass es für Großbritannien keinen guten Brexit geben werde - alle wahrscheinlichen Ausgänge hätten negative Folgen für die britische Wirtschaft - ein No-Deal-Szenario wäre das schlimmste von allen. Mark Carney, Chef der Bank of England, warnte May und ihre Minister davor, dass ein harter Brexit die britischen Immobilienpreise um bis zu 35 Prozent drücken könnte.
"Man muss die Briten in den Abgrund blicken lassen"
Hinzu kommen die innenpolitischen britischen Querelen. Sollte May den Wunsch der EU erfüllen und weitere Zugeständnisse machen, droht ihr eine Revolte in den eigenen Tory-Partei. Schon ihren aktuellen, auf ihrem Landsitz in Chequers entstandenen Brexit-Plan halten die Hardliner unter den Tories für eine Kapitulation gegenüber der EU. Beim Tory-Parteitag vom 30. September bis 3. Oktober droht der Streit weiter zu eskalieren.
Wenn das britische Unterhaus über den Brexit-Deal mit der EU abstimmt, kann May zudem nicht auf die Hilfe der oppositionellen Labour-Partei zählen. Labours Schatten-Außenministerin Emily Thornberry sagte kürzlich, es sei kein akzeptabler Austrittsvertrag in Sicht. Das werde noch vor Weihnachten zum Sturz Mays führen.
Den Brüsseler Brexit-Unterhändlern ist das keineswegs entgangen. Es gebe etwa fünf Varianten für ein Austrittsabkommen - und für keine davon habe May eine parlamentarische Mehrheit, meint ein EU-Diplomat. Die Lösung? "Man muss die Briten in den Abgrund blicken lassen."
Wer wollte, konnte in Salzburg erste Erfolge dieser Strategie erkennen: Am Ende des Gipfels kündigte May an, in Kürze einen neuen Vorschlag zur irischen Grenze vorzulegen. Zugleich schloss sie alles aus, was Nordirland vom Vereinigten Königreichs loslösen würde. Sollte es keinen für ihr Land akzeptablen Deal geben, sagte May, "dann bereiten wir uns auf 'No Deal' vor."
Zusammengefasst: Die britische Premierministerin Theresa May hat beim EU-Gipfel in Salzburg versucht, direkt an die anderen Staats- und Regierungschefs zu appellieren - um sie zu Zugeständnissen in den Brexit-Verhandlungen zu bewegen. Doch das ging schief: Die EU beharrt auf ihrer Position.