Mays Brexit-Niederlage im Unterhaus Schlappe, die nächste

Theresa May muss erneut eine bittere Brexit-Niederlage im britischen Unterhaus einstecken. Das Votum ist für sie zwar nicht bindend - doch die symbolische Wirkung ist fatal.
Theresa May

Theresa May

Foto: Dominic Lipinski/ dpa

Am Ende, als die Abgeordneten auf den Oppositionsbänken jubeln und feixen, ist die Person, um die es eigentlich geht, gar nicht da. Theresa May tut sich ihre nächste Brexit-Schlappe im Unterhaus diesmal nicht live an. Wo sonst die britische Premierministerin Platz nimmt, sitzt nun ein anderer: Brexit-Minister Stephen Barclay.

Labour-Chef Jeremy Corbyn nutzt diese Gelegenheit zur Attacke. Parlamentssprecher John Bercow solle May in den Saal zitieren. "Es ist überraschend, dass die Premierministerin nicht einmal da ist, um das Ergebnis dieser Abstimmung zu hören", sagt Corbyn. Bercow entgegnet, es könne sich ja ein anderes Regierungsmitglied äußern - doch auch unter den Anwesenden: keine Reaktion.

Es ist eine bittere Niederlage für May und ihre Leute - wegen eines Papiers, das eigentlich Formsache sein sollte: 303 Parlamentarier stimmten nun aber gegen den Antrag, mit dem sich die Regierung lediglich ihren Fahrplan für die nächsten Tage bestätigen lassen wollte.

Am Dienstag hatte May im Unterhaus mehr Zeit für die Brexit-Gespräche in Brüssel gefordert. Auf Geheiß des Parlaments verhandelt sie dort nach, will neue Zusicherungen erhalten, um die Zweifler in der Heimat auf ihre Seite zu ziehen - vor allem beim Backstop, der umstrittenen Sonderlösung für Nordirland.

"Wir müssen alle die Nerven behalten", sagte May den Parlamentariern. Am 27. Februar dürften diese dann abermals über die nächsten Schritte entscheiden.

Lange sah es so aus, als werde es vorerst keinen ernsten Widerstand geben. Die proeuropäischen Rebellen unter den Tories verständigten sich darauf, erst Ende des Monats wieder in die Offensive zu gehen. Wenn May dann wie angekündigt wieder vor das Parlament tritt, werden Anträge erwartet, die den Brexit-Kurs umsteuern sollen: etwa in Richtung eines zweiten Referendums - oder mit dem Versuch, einen Austritt ohne Abkommen per Gesetz auszuschließen.

An diesem Donnerstag aber wollten die EU-Anhänger stillhalten. Doch die Premierministerin hat viele Gegner - auch und gerade unter den Brexit-Hardlinern.

Mehrheit gegen No-Deal-Szenario

Bereits am Mittwoch hatten sich die Anzeichen verdichtet, dass May ein Aufstand der European Research Group (ERG) bevorsteht. Dabei handelt es sich um eine mächtige Truppe Ultrakonservativer in den Reihen der Tories. Dutzende Abgeordnete gehören ihr an - genug, um der Premierministerin entscheidend in die Quere zu kommen. Denn die Regierung verfügt im Unterhaus nur über eine knappe Mehrheit.

Einige ERG-Politiker trugen nun plötzlich Bedenken vor: Mit ihrem Antrag schließe die Regierung den No Deal de facto aus. Ein Tabu für die Hardliner, welche die Option eines ungeregelten Brexits ohne Abkommen auf jeden Fall erhalten wollen.

Hintergrund: Ende Januar hatten die Abgeordneten May nicht nur zu konkreten Nachverhandlungen in Brüssel aufgefordert - sondern sich mehrheitlich auch unverbindlich gegen ein No-Deal-Szenario ausgesprochen. Der nun vorliegende Antrag nimmt darauf je nach Sichtweise indirekt Bezug: Das Unterhaus bekräftige seine Unterstützung für den am 29. Januar beschriebenen Brexit-Kurs, heißt es darin.

Das reichte, um die Brexit-Ultras anzustacheln. "Es ist Wahnsinn", sagte ERG-Vize Mark Francois am Donnerstagmorgen der BBC. Seine Interpretation des dünnen Textes: Der Antrag der Regierung nehme ein wichtiges Druckmittel bei den Verhandlungen in Brüssel, indem er einen ungeregelten Brexit ablehne.

May schwänzt Verkündung des Ergebnisses

Im Laufe des Tages beackerten Mays Leute die Hardliner. Brexit-Minister Stephen Barclay bestätigte im Unterhaus, für die Regierung bleibe No Deal auf dem Tisch - egal, wie sich das Parlament dazu positioniert hat. Doch das sorgte lediglich für Empörung bei den Proeuropäern - die Brexiteers konnte Barclay so nicht umstimmen.

Am Nachmittag sickerte schließlich die Nachricht durch: Die ERG habe in einer Sitzung entschieden, sich bei der Abstimmung enthalten zu wollen. Damit war Mays Niederlage besiegelt.

Indem die Premierministerin die Verkündung des Ergebnisses schwänzt, sendet sie nun aber ein deutliches Signal: alles halb so wichtig, soll das offensichtlich heißen. Und damit liegt May zunächst einmal nicht ganz falsch.

Denn auch die Entscheidung dieses Abends ist für sie rechtlich nicht bindend. May hält vorerst unbeirrt an ihrem Plan fest, führt weiter Gespräche in Brüssel, so teilt es ein Sprecher noch am Abend mit.

Die Regierungschefin wird ohnehin nachgesagt, sie spiele auf Zeit. May wolle die Abgeordneten so lange hinhalten, bis am Ende die Sorge vor einem Aufschub oder einem harten Brexit so groß ist, dass sich genügend Parlamentarier hinter ihrem mit neuen Zusicherungen aus Brüssel versehenen Deal versammeln.

Die symbolische Wirkung des heutigen Votums aber dürfte für May noch zum Problem werden.

Nach der Abstimmung Ende Januar konnte May mit dieser Erzählung in Brüssel auftreten: Eine Mehrheit in London für den Brexit-Deal ist zum Greifen nah, konnte die Premierministerin sagen, es bedürfe nur noch einiger Änderungen beim Backstop.

Diese Strategie funktioniert so nun nicht mehr. Die Zerrissenheit innerhalb Mays eigener Partei, die verfahrene Lage zwischen Brexit-Fanatikern und solchen, die am liebsten in der EU bleiben, das Londoner Regierungschaos - all das tritt an diesem Donnerstag einmal mehr offen zutage.

Dabei hätte es für May sogar noch einen vergleichsweise charmanten Ausweg gegeben. Die Tory-Politikerin Anna Soubry, eine entschiedene Brexit-Gegnerin und scharfe May-Kritikerin, forderte die Regierung in einem Änderungsantrag dazu auf, ihre Erkenntnisse über einen harten EU-Ausstieg zu veröffentlichen.

Dieser Antrag hätte den eigentlichen Text der Regierung im Erfolgsfall nicht nur ergänzt - sondern umgeschrieben. Das wiederum hätte bedeutet, dass über den Hauptantrag gar nicht mehr abgestimmt worden wäre. May wäre somit um eine klare Niederlage herumgekommen.

Doch den Gefallen tut Soubry May nicht. Als ein Regierungsvertreter mehr Transparenz in Aussicht stellt, zieht sie sofort zurück. "Es gibt keinen Grund, meinen Änderungsantrag einzubringen", schreibt Soubry auf Twitter. Stattdessen greift sie May später an: Diese haben einen "schweren Schlag" erlitten, sagt Soubry. An der Spitze der Regierung gebe es eine "tiefgreifende Führungsschwäche".

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