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Irland und Nordirland: Einig entzweit

Foto: PAULO NUNES DOS SANTOS/ AFP

Brexit und die Folgen für Irland Angst an der grünen Grenze

Der Brexit-Prozess hat begonnen - und nirgendwo werden die Folgen drastischer sein als an der irisch-nordirischen Grenze. Im schlimmsten Fall droht ein neuer Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten.

Im Juli 2015 fusionierte die traditionsreiche Molkerei Ballyrashane mit der nicht minder bekannten Monaghan Creamery. Gemeinsam wollten die zwei Mittelständler den ganzen Nordwesten Irlands mit heimischen Milchprodukten versorgen - größer, stärker, wettbewerbsfähiger.

Das ungewöhnliche an der hoffnungsvollen Firmen-Hochzeit: Es war eine grenzüberschreitende Fusion zwischen Irland und Nordirland. Warum auch nicht? Innerhalb der EU schien so ein Konstrukt ja völlig risikolos.

Der Schock kam im Jahr darauf. Seit dem Brexit-Referendum ist noch nicht einmal mehr klar, ob das Unternehmen bald Zölle auf Milch bezahlen muss, die in südirischen Ställen gemolken und in nordirischen Molkereien verarbeitet wird.

So geht es zahlreichen mittelständischen Betrieben entlang der irischen Grenze. Manche ziehen sich vorsorglich aus dem anderen Landesteil zurück, andere eröffnen Dependancen, wo sie bisher keine brauchten. Nirgendwo hat der britische EU-Ausstieg das Potenzial, sich so unmittelbar auszuwirken, wie im nordirischen Grenzland.

Seit dem Friedensschluss von 1998 existiert diese Grenze nur noch in den Köpfen. Was Produktion, Arbeitsplätze oder das tägliche Shopping angeht, ist die Insel längst zusammengewachsen. Das hat auch die gegenseitige Abhängigkeit vertieft. Die Handelsbilanz zwischen den irischen Landesteilen  fällt leicht zugunsten des Nordens aus. Im Augenblick ist das vorteilhaft, doch wenn es zu Zollzahlungen käme, wäre das schnell vorbei - der kleine Norden ist vom Süden weit abhängiger als umgekehrt.

Keiner weiß, wie es weitergeht

Die Unsicherheit, wie es nach dem Brexit weitergehen wird, nervt viele. Die Geschäftsleute im Norden, klagt Nordirlands Handelsverbands-Chefin Ann McGregor, lebten deshalb "in einem Limbo der Unsicherheit". Und Stephen Kelly, Chef des Industrieverbands Manufacturing NI, droht offen damit, dass Firmen das Land verlassen könnten, "um Sicherheit in der EU zu suchen".

Immer mehr Wirtschaftsvertreter machen Druck auf die britische Premierministerin Theresa May: "Es ist lebenswichtig, zu einem vernünftigen Abkommen über das Thema Grenze zu kommen, das Firmen auf beiden Seiten profitable Geschäfte erlaubt", mahnte etwa Carolyn Fairbairn, die Generaldirektorin des britischen Arbeitgeberverbands CBI.

Das sieht auch Simon Coveney so, Außenminister der Republik Irland. Sein Land, machte er zum Beginn der Verhandlungen zwischen Britannien und der EU klar, werde Zölle an der irischen Grenze nicht tolerieren. Wenn man eine harte Grenze vermeiden wolle, müsse es auch nach dem Brexit eine Sonderregelung für die irischen Landesteile geben, die es "Nordirland erlaubt, weiterhin zu funktionieren". Die Verhandlungsführer der EU setzten das Grenzthema als einen von drei Schwerpunkten auf ihre Verhandlungsliste.

Es geht um mehr als Wirtschaft

Für Nordirland ist der Brexit Zündstoff. Rein statistisch betrachtet erscheint der EU-Ausstieg dort wie eine Konfessionsfrage: Wer katholisch ist und sich als Ire fühlt, ist dagegen. Wer Protestant ist und die Union mit Britannien befürwortet, ist dafür.

Zumindest prinzipiell. Auch die rechtslastige nordirische Democratic Unionist Party DUP, stärkste "protestantische" Kraft in der Provinz, hat ihren letzten Wahlkampf als Pro-Brexit-Kampagne geführt. Für die DUP ist die Grenzfrage auch eine brisant politische: Sie grenzt sich damit von der Republik und der tendenziell linken Gerade-noch-Minderheit der Katholiken in Nordirland ab.

Brexit-Nachteile will die DUP allerdings genauso vermeiden wie ein von der katholisch-republikanischen Sinn Fein gewünschtes Referendum: Da steht dann direkt das Gespenst einer Wiedervereinigung von Irland mit Nordirland im Raum. Auch fast 20 Jahre nach dem Friedensschluss könnte sich daran der Konflikt neu entfachen, in dem sich DUP und Sinn Fein als Gegner gegenüberstanden.

Selbst wer anders will, darf nicht

Das alles führt zu einer verrückt anmutenden Konstellation. Eigentlich keine Partei oder Bevölkerungsgruppe will, dass der Brexit irgendetwas am Status Quo in Irland ändert. Gemeinsam vertreten können sie das aber auch nicht, weil sie in einer prinzipiellen Gegnerschaft zueinander gefangen sind. Dieses Dilemma wirkt wie die Karikatur des grundsätzlichen Brexit-Problems.

Doch für die DUP scheint derzeit ein Weg denkbar, den Brexit für Nordirland zumindest weicher zu gestalten: Die britischen Tories sind für eine Regierungsbildung auf ihre Duldung angewiesen. Anfang der Woche wurde klar, dass die DUP sich ihr Nicken zu May teuer bezahlen lassen will. Um die Effekte des Brexit abzumildern und Nordirland "auf das Niveau des restlichen Landes" zu bringen, müsse Geld fließen.

May scheint das schon in Aussicht gestellt zu haben, jährlich sollen zusätzlich ein bis zwei Milliarden Pfund nach Nordirland gehen. Seitdem können sich die Unterhändler der DUP die Duldung der Torie-Minderheitsregierung schon "viel besser vorstellen".

Der Brexit droht, alte Konflikte wieder anzuheizen

Das Problem daran: Es ist nicht das, was die Mehrheit in Nordirland will. Die DUP ist nicht die Vertretung des Landes, sondern nur einer Klientel. Dass ihr Gegenpart Sinn Fein ihre bei den Unterhauswahlen gewonnenen Sitze nicht wahrnimmt, weil die Republikaner den Eid auf die Krone verweigern und die Herrschaft Großbritanniens in Nordirland nicht akzeptieren, gibt der DUP nun die Chance, quasi indirekt Macht auszuüben. Denn die im Friedensvertrag festgeschriebene gemeinsame Selbstverwaltung des Landes ist zurzeit ausgesetzt: DUP und Sinn Fein hatten sich nicht einigen können.

Das alles könnte mittelfristig auch den noch immer fragilen Friedensprozess gefährden. Es wäre das Worst-Case-Szenario eines Brexit, der nicht nur die Wirtschaft zweier Länder schädigen, sondern sogar ihre politische Stabilität gefährden würde.

Niemand in Irland will das, auch die DUP nicht. Das Problem ist nur, dass dort niemand so leicht aus seiner Haut kann. Es fällt schwer, sich eine Brexit-Regelung vorzustellen, die in Irland nicht zu Konflikten führt.

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