Brexit-Verfechter Rees-Mogg "Briten können selbst entscheiden, ob sie Chlorhühnchen essen wollen"

Der ultrakonservative Jacob Rees-Mogg ist Anführer der britischen Brextremisten. Hier erklärt er, warum er die Europäische Union zutiefst ablehnt - und weshalb die Scheidung angeblich nur Gutes für sein Land bringt.
Jacob Rees-Mogg

Jacob Rees-Mogg

Foto: Jack Taylor/ Getty Images

Jacob Rees-Mogg, 49, ist ein wenig in Eile, als er sich am Mittwoch dieser Woche im Palast von Westminster mit einer Gruppe europäischer Journalisten trifft. Im Parlament tobt, fast zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum, ein Scharmützel zwischen EU-Freunden und -Feinden. Rees-Mogg muss dafür sorgen, dass Regierungschefin Theresa May nicht wieder Zugeständnisse an die falsche Seite macht.

Rees-Mogg, ein Nationalist mit allerfeinsten Manieren, hat es mit seiner kompromisslosen Haltung und seiner Verachtung für Brüssel weit gebracht. Seit Monaten gilt er als Favorit für die Parteispitze der Konservativen, sollte May stürzen. Und ob sie das tun wird, hängt auch von ihm ab: Er ist Chef einer etwa 60-köpfigen Fraktion von Brexit-Hardlinern, die die Regierungschefin jederzeit mit einem Misstrauensvotum aus dem Amt jagen könnte.

SPIEGEL ONLINE: Warum lehnen Sie die Europäische Union so leidenschaftlich ab?

Rees-Mogg: Weil sie weder demokratisch legitimiert ist noch demokratisch kontrolliert wird. Wenn uns im Vereinigten Königreich eine Regierung nicht passt, können wir sie abwählen. Wenn wir ein Gesetz ändern wollen, können wir das im Parlament tun. Das ist ein demokratisches Recht, das uns vielfach von der EU genommen wurde.

SPIEGEL ONLINE: Es gibt immerhin ein Europäisches Parlament.

Rees-Mogg: Das ist doch kein ernst zu nehmendes Parlament, es ist kein demokratisches Forum, es repräsentiert kein Volk.

SPIEGEL ONLINE: Es wurde von 28 europäischen Völkern gewählt.

Rees-Mogg: Es vertritt nicht das britische Volk. Und es vertritt auch nicht das europäische Volk, das gibt es nämlich nicht. Gäbe es das, hätten die Deutschen kein Problem damit, für die Griechen zu zahlen. Das hassen die Deutschen aber.

SPIEGEL ONLINE: Gibt es irgendeine Form der europäischen Zusammenarbeit, der Sie etwas abgewinnen können?

Rees-Mogg: Nun, ich bin ein großer Freund von Freihandel in ganz Europa. Das war ursprünglich auch der Grund, warum wir der EU beigetreten sind.

SPIEGEL ONLINE: Jetzt wollen Sie "die Kontrolle zurückerobern", ein Mantra der Brexit-Hardliner. Räumen Sie ein, dass das der britischen Wirtschaft schaden wird?

Rees-Mogg: Das ist absoluter Unsinn, tatsächlich schadet die EU der britischen Wirtschaft enorm. Nehmen Sie das Bankenzentrum London, das durch EU-Regulierungen viel weniger wettbewerbsfähig ist, als es sein könnte. Oder den gemeinsamen Außenzoll, der dazu führt, dass wir hier teure europäische Produkte kaufen müssen anstelle von billigeren aus dem Rest der Welt. Die wirtschaftlichen Perspektiven des Königreichs außerhalb dieser protektionistischen Zone sind gewaltig und aufregend.

SPIEGEL ONLINE: Wenn das stimmt, wieso sieht der Verband der britischen Industrie das dann ganz anders?

Rees-Mogg: Weil der Firmenvorstände repräsentiert, deren Interesse es ist, das kuschelige Kartell zu bewahren, das hier für hohe Preise sorgt. Ich stehe auf der Seite von Verbrauchern, die niedrige Preise und weniger Handelsbarrieren wollen.

SPIEGEL ONLINE: Zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum ist noch immer völlig unklar, wie die künftige Wirtschaftsbeziehung zwischen Großbritannien und der EU aussehen wird. Besorgt Sie das?

Rees-Mogg: Ich habe sehr genaue Vorstellungen. Es geht für uns darum, den Freihandel zu maximieren, aber weltweit. Und es muss völlig klar sein, dass wir den Europäern nur dann die vereinbarten 39 Milliarden Pfund zahlen, wenn wir eine entsprechende Gegenleistung bekommen.

SPIEGEL ONLINE: Wie wollen Sie Ihren Traum von neuen internationalen Handelsverträgen mit einem protektionistischen US-Präsidenten verwirklichen?

Rees-Mogg: Ich glaube, dass Präsident Trump sehr wohl freien Handel will. Das Problem ist der Protektionismus der EU. Wenn wir daran nicht gebunden wären, würde ich ihm schon morgen vollständig freien Handel anbieten.

Donald Trump

Donald Trump

Foto: Evan Vucci/ AP

SPIEGEL ONLINE: Und dafür die hohen europäischen Gesundheits- und Umweltstandards opfern?

Rees-Mogg: Sie haben einen verzerrten Blick. Ich glaube, die Amerikaner haben sehr hohe Standards. Die EU-Standards sind gezielte Handelsbarrieren. Die USA greifen bei Verstößen auch viel härter durch. Schauen Sie auf den Diesel-Skandal: Da musste Volkswagen in den Vereinigten Staaten sehr viel mehr zahlen als bei uns oder in Deutschland.

SPIEGEL ONLINE: Sie hätten auch kein Problem damit, Chlorhühnchen auf dem britischen Markt zuzulassen?

Rees-Mogg: Warum sollte ich? Gibt es irgendwelche Beweise dafür, dass sie gesundheitsschädlich sind? Jeder Schluck unseres Leitungswassers enthält kleine Mengen Chlor, damit es bakterienfrei ist. Nur die EU-Regulierer halten es für eine wunderbare Idee, Chlorhühnchen zu verbieten.

SPIEGEL ONLINE: Aber nicht wegen der Gesundheitsgefahr, sondern wegen des Tierwohls.

Rees-Mogg: Ich traue dem britischen Volk zu, dass es selbst entscheiden wird, ob es Chlorhühnchen essen mag.

SPIEGEL ONLINE: Glauben Sie, dass es der britischen Regierung am Ende wirklich gelingen wird, einen Deal mit den restlichen 27 EU-Staaten auszuhandeln?

Rees-Mogg: Ich glaube, dass das Risiko eines Crashs überschätzt wird.

SPIEGEL ONLINE: Was ist mit Irland? Die Frage, wie die irisch-irische Grenze hindernisfrei bleiben kann, ist völlig offen?

Schild in Middletown, Nordirland

Schild in Middletown, Nordirland

Foto: Clodagh Kilcoyne/ REUTERS

Rees-Mogg: Die Regierung in Dublin hat immer von einem vereinigten Irland geträumt. Meinen Sie wirklich, sie wird eine Trump-artige Mauer an der Grenze errichten, wenn es zu keinem Deal kommt?

SPIEGEL ONLINE: Sie halten die Aussagen, dass ein Deal an der Irland-Frage scheitern könnte, für einen Bluff?

Rees-Mogg: Korrekt. Irland wird gerade benutzt, um uns zu erpressen, dabei könnten wir ganz einfach einen grenzübergreifenden Handelsvertrag abschließen. Das Vereinigte Königreich ist ein ungemein wichtiger Markt für Irland. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Regierung in Dublin glücklich wäre, sollten wir irisches Rindfleisch mit einem 20-prozentigen Zolltarif belegen.

SPIEGEL ONLINE: Aber die irisch-irische Grenze wird künftig eine EU-Außengrenze sein. Sie werden dort nicht einfach EU-Regeln außer Kraft setzen können.

Rees-Mogg: Moment. Nach EU-Regeln wäre es für Italien nicht möglich gewesen, der Eurozone beizutreten. Und erst recht nicht für Griechenland. Aber, siehe da, Goldman Sachs konnte das Problem lösen, und Griechenland trat bei. Beim Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine war die Personenfreizügigkeit plötzlich kein entscheidendes Thema mehr. EU-Recht ist eine Heilige Schrift - aber sie zählt immer nur so lange, wie es der EU passt. Davon lassen wir uns nicht ins Bockshorn jagen. Das sind rein politische Entscheidungen.

SPIEGEL ONLINE: Was, wenn sich die EU im Fall ihres Landes stur zeigen sollte?

Rees-Mogg: Dann wird es schwierig. Aber nicht nur für uns. Deutschland zum Beispiel wird dann deutlich mehr Geld in den EU-Haushalt einzahlen müssen. Und wenn wir gehen, ohne etwas zu zahlen, wird das einige europäische Regierungen sicherlich ziemlich aufregen.

SPIEGEL ONLINE: Wann war Großbritannien Ihrer Ansicht nach zuletzt groß?

Rees-Mogg: Mich interessiert nicht die Vergangenheit, mich interessiert die Zukunft. Europa ist Vergangenheit. Die EU ist ein rückwärtsgewandtes Projekt, das auf einem Wirtschaftsmodell des 20. Jahrhunderts basiert.

SPIEGEL ONLINE: Sie gelten bei den Buchmachern seit Langem als Favorit für Theresa Mays Nachfolge. Würden Sie ins Rennen gehen, wenn es so weit ist?

Rees-Mogg: Ich bin ein Hinterbänkler, und ich unterstütze Frau May.

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