Europäische Verteidigungsgemeinschaft 23 EU-Staaten gründen Militärunion

Bundeswehrsoldaten (Archivbild)
Foto: Stefan Sauer/ dpaSeit vielen Jahren ringen die Europäer um eine gemeinsame Verteidigungspolitik, der Erfolg war bisher äußerst überschaubar. Das aber könnte sich nun ändern: Am Montag haben die Außen- und Verteidigungsminister von 23 der 28 EU-Staaten dem Europäischen Rat mitgeteilt, in der Verteidigung künftig gemeinsame Wege zu gehen. Zumindest vorerst nicht dabei: Dänemark, Irland, Portugal, Malta - und natürlich Großbritannien, das ohnehin die EU verlassen will.
Das Instrument, das nun erstmals zum Einsatz kommt, ist die sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (SSZ), besser bekannt unter ihrem englischen Kürzel Pesco. Sie erlaubt es einzelnen Staaten, auf bestimmten Feldern schneller voranzugehen als der Rest der EU.
Die Ziele sind durchaus ambitioniert: 15 der teilnehmenden Staaten haben bisher 47 zum Teil ehrgeizige Projekte vorgeschlagen, auf etwa zehn will man sich bis Dezember einigen.
Zu den Vorschlägen gehören ein europäisches Sanitätskommando, ein "Exzellenzzentrum" für EU-Ausbildungsmissionen oder die Aufstellung gemeinsamer Kampfeinheiten nach Regionen. Demnach könnte es künftig eine Einheit der osteuropäischen Viségrad-Staaten oder auch eine "Weimarer Battlegroup" mit deutschen, französischen und polnischen Soldaten geben. Im Gespräch ist auch eine "militärische Schengenzone", innerhalb derer der Transport von Soldaten und schwerem Material künftig deutlich schneller und einfacher möglich sein soll als bisher, und der Aufbau gemeinsamer Logistik-Drehscheiben.
Mitglieder verpflichten sich zu höheren Verteidigungsausgaben
"Heute ist ein großer Tag für Europa", sagte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) vor dem Treffen in Brüssel. "Wir gründen heute die europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion." Man gehe "einen weiteren Schritt in Richtung der Armee der Europäer". Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) bezeichnete den Beschluss als "historisch". Er sei ein "großer Schritt in Richtung Selbstständigkeit und Stärkung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU".
Obendrein könne man künftig viel Geld sparen, so Gabriel. Europa gebe für Verteidigung halb so viel Geld aus wie die USA, erreiche aber nur 15 Prozent von deren Effizienz. Eine engere Zusammenarbeit könnte hier Besserung bringen. Auch Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian sprach von einem "wichtigen Schritt".
Wie erfolgreich die Zusammenarbeit in der Praxis laufen wird, bleibt allerdings abzuwarten. Stolpersteine gibt es genug - etwa beim Geld. Jeder EU-Staat, der sich an der Pesco beteiligen will, muss 20 Verpflichtungen erfüllen. Eine davon ist, das nationale Verteidigungsbudget regelmäßig zu steigern. Auf die Frage, ob die SPD also Erhöhungen der deutschen Wehrausgaben im Bundestag unterstützen werde, antwortete Gabriel jedoch: "Ich weiß nicht, wie Sie auf die Idee kommen." Auch in der Union ist eine Steigerung des Verteidigungsetats umstritten.
Paris für Ambition, Deutschland für Inklusion
Diplomaten ließen zudem durchblicken, dass es einen grundsätzlichen Dissens zwischen Paris und Berlin gab: Deutschland wollte ein Pesco-Bündnis, an dem sich so viele EU-Mitgliedstaaten wie möglich beteiligen. Frankreich dagegen setzte sich für eine Zusammenarbeit mit wenigen, dafür aber entschlossenen Mitgliedern ein. Hintergrund ist, dass innerhalb der Pesco das Prinzip der Einstimmigkeit gilt - eine große Zahl von Mitgliedern, so die Befürchtung, könnte deshalb erneut lähmen.
Dass nun gleich 23 Staaten mitmachen wollen - darunter das neutrale Österreich und die Mini-Militärmacht Luxemburg -, zeigt, dass Berlin sich in dieser Frage durchgesetzt hat. Die Gefahr einer Lähmung sieht man dort allerdings nicht: Alle Mitgliedstaaten müssten sich zu den 20 Pflichten der Pesco bekennen, heißt es - und seien auch in der Lage, sie zu erfüllen. Zudem würden nicht alle 23 Teilnehmer bei jedem Einzelprojekt mitmachen. Wer an einem Projekt nicht beteiligt sei, könne es aber auch nicht von außen beeinflussen oder gar blockieren.
Auch die Nato stand der EU-Sicherheits- und Verteidigungsunion lange reserviert gegenüber - unter anderem aus Sorge, die EU könnte womöglich zum Konkurrenten werden. Inzwischen aber, sagen Insider, setze man zunehmend auf Zusammenarbeit.
Ähnlich äußerte sich von der Leyen: Die Nato werde immer für die Landes- und Bündnisverteidigung zuständig sein. Die EU könne aber zivile und militärische Instrumente zusammenfassen und damit Aufgaben erledigen, die nicht in die Zuständigkeit der Nato fallen. Die EU könne mit einer "vernetzten Sicherheit" etwa afrikanischen Staaten helfen.
Als Geburtshelfer der Pesco gelten ausgerechnet US-Präsident Donald Trump und der Brexit. Trump hatte das amerikanische Engagement für die Sicherheit Europas wiederholt infrage gestellt, was in der EU zu der Erkenntnis führte, selbstständiger werden zu müssen. Zugleich verlässt mit Großbritannien ein Land die EU, das traditionell jeden Versuch einer engeren militärischen Zusammenarbeit - geschweige denn Schritte zum Aufbau einer EU-Armee - unterbunden hat.
Zusammengefasst: 23 von 28 EU-Staaten wollen in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik künftig enger zusammenarbeiten: Sie haben eine sogenannte Ständige Strukturierte Zusammenarbeit gegründet. Die Liste der Projekte ist lang und ambitioniert - enthält aber auch viele potenzielle Streitpunkte.