Brutaler Militäreinsatz in Syrien Assad führt Krieg gegen das eigene Volk
Damaskus/Kairo - Es ist die bisher größte Militäroperation des Assad-Regimes gegen das eigene Volk seit Beginn der Proteste: Nach tagelanger Belagerung sind syrische Regierungsverbände am Sonntag in die nordwestliche Kleinstadt Dschisir al-Schughur einmarschiert. Rund 200 Panzer seien an der Operation beteiligt, berichteten Oppositionelle. Hubschrauber kreisten über dem Ort. Die Streitkräfte, die von Süden und Osten vorrückten, nahmen die Kleinstadt mit Artillerie unter Beschuss.
Nach ersten Berichten staatlicher syrischer Medien wurden bei den "schweren Zusammenstößen" zwei Angehörige "bewaffneter Gruppen" getötet und zahlreiche weitere festgenommen. Auch ein Soldat der Regierungstruppen kam dabei ums Leben, vier weitere wurden verletzt. Zynisch hieß es in den Berichten der staatlichen Nachrichtenagentur Sana: "Armee-Einheiten treffen in Dschisir al-Schughur ein und säubern das nationale Krankenhaus von Mitgliedern bewaffneter Banden." Große Mengen an Waffen seien sichergestellt worden.
Es ist die schwerste Eskalation seit im März Hunderttausende Syrer friedlich für politische Reformen zu demonstrieren begannen. Das Regime von Präsident Baschar al-Assad ließ die Kundgebungen blutig niederschlagen. Nach Angaben syrischer Menschenrechtsaktivisten starben bislang rund 1300 Menschen.
Massiver Angriff
Der massive Angriff auf Dschisir al-Schughur erfolgte nach Anschuldigungen der staatlichen Medien, "bewaffnete Banden" hätten dort am vergangenen Wochenende 120 Polizisten und Soldaten getötet. Oppositionelle widersprachen dieser Darstellung. Vielmehr hätten Truppen und Geheimdienstler Soldaten exekutiert, die sich geweigert hätten, auf unbewaffnete Demonstranten zu schießen. Überprüfen lässt sich dies nicht, weil die Regierung Journalisten im Land nicht unabhängig arbeiten lässt.
Das Staatsfernsehen vermeldete nach dem Einmarsch der Truppen, in der Stadt sei ein Massengrab mit Leichen von Angehörigen der Sicherheitskräfte entdeckt worden. "Die bewaffneten Gruppen hatten die Leichen verstümmelt, die aus dem Massengrab geborgen wurden", behauptete der TV-Bericht. Zur Zahl der Toten wurden keine Angaben gemacht.

Syrische Militäroffensive: "Sie schießen auf jeden"
Experten schließen nicht aus, dass die Revolte in der nordwestlichen Provinz Idlib zunehmend auch einen bewaffneten Charakter annimmt. Desertierte Soldaten könnten demnach Schutz bei Bewohnern gesucht und sich mit diesen verbrüdert haben. Staatliche Medien berichteten von Sprengfallen und Minen, die die Truppen beim Eindringen in den Ort entfernen mussten. Rund 5000 Bewohner von Dschisir al-Schughur sind schon über die nahe Grenze in die Türkei geflohen.
Am Sonntag kamen weitere Menschen über die Grenze, wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete. Sie werden in Zeltstädten des Türkischen Roten Halbmondes untergebracht. Die Istanbuler Regierung hat mehrfach versichert, dass sie die Grenze zu Syrien nicht schließen wird.
Brutales Vorgehen angeprangert
Die USA hatten das brutale Vorgehen gegen Regimegegner in Syrien zuvor angeprangert. Zugleich forderten sie am Samstagabend Präsident Assad auf, dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) "sofortigen und ungehinderten Zugang" zu Kampfgebieten in Nordsyrien zu gewähren, um Verletzten, Gefangenen und Flüchtlingen helfen zu können.
Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle erklärte am Sonntag: "Ich verurteile das Vorgehen der syrischen Führung im Norden des Landes. Durch die Gewalt und den Einsatz schwerer Waffen droht eine humanitäre Krise." Die gefährliche Situation mache eine klare Reaktion des Uno-Sicherheitsrates umso dringlicher. "Unsere politischen und diplomatischen Anstrengungen bleiben darauf gerichtet, dass die von uns mit eingebrachte Resolution so schnell wie möglich verabschiedet wird", hieß es in der vom Auswärtigen Amt verbreiteten Mitteilung.
Ägypten erklärte unterdessen, es wolle einen von der Europäischen Union angestrebten Beschluss des Weltsicherheitsrates gegen das syrische Regime abwenden. Kairo arbeite "hinter den Kulissen" daran, um stattdessen in Damaskus zu erwirken, dass es einem Besuch durch einen "westlichen" Sondergesandten zustimmt, sagte der ägyptische Außenminister Nabil al-Arabi am Sonntag der arabischen Tageszeitung "al-Hayat".