Bürgerkrieg in Libyen Gaddafis Truppen umzingeln Rebellen-Städte

Ungleicher Kampf: Zwischen Brega und Ras Lanuf greifen Bomber die Aufständischen an
Foto: GORAN TOMASEVIC/ REUTERSTripolis/Kairo - Die Weltgemeinschaft debattiert über die richtige Libyen-Strategie, im Osten des Landes liefern sich die Truppen des libyschen Herrschers und die Regimegegner weiter schwere Kämpfe - und es scheint, als gewännen die Regierungssoldaten zusehends die Oberhand.
Der erneute Angriff der Streitkräfte Gaddafis auf Ras Lanuf deutet jedenfalls darauf hin, dass sich das Lager der Regimetreuen neu aufgestellt hat. Die Lage um den umkämpften Ölhafen sei unübersichtlich, berichtete der arabische Nachrichtensender al-Dschasira am Samstag. Der ehemalige libysche Innenminister General Abdel Fattah Junis, der sich auf die Seite der Aufständischen geschlagen hatte, räumte ein, dass sich die Stadt und eine strategisch wichtige Ölraffinerie unter Kontrolle der Anhänger Gaddafis befänden.
Die Aufständischen bestätigten, ihre Verbände hätten sich nach Bombardierungen in der Nacht zum Samstag 20 Kilometer vom Stadtrand zurückgezogen. Das sagte ein Rebellen-Offizier. Auch gegen die 100 Kilometer östlich gelegene Stadt Brega gingen die Regierungstruppen mit schwerer Artillerie und Luftangriffen vor. Die dort stationierten Rebellen hätten begonnen, sich aus der Stadt zurückzuziehen.
Gaddafi-Sohn: "Bald ist alles zu Ende"
Auch verbal trumpft das Regime von Machthaber Gaddafi auf. Die italienischen Zeitungen "Corriere della Sera" und "Repubblica" zitieren den Gaddafi-Sohn Seif al-Islam mit den Worten: "Jetzt sind wieder 90 Prozent des Landes unter unserer Kontrolle, bald ist alles zu Ende." Die Aufständischen bezeichnete er als Terroristen. Verhandlungen mit den Rebellen schloss er aus, der Krieg werde "bis zum Ende" geführt. Die Entscheidung des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy vom Donnerstag, den oppositionellen libyschen Nationalrat als rechtmäßigen Vertreter des Landes anzuerkennen, nannte der Gaddafi-Sohn "bizarr".
Ungeachtet der markigen Worte Seif al-Islams wurde im staatlichen libyschen Fernsehen am späten Freitagabend ein Amnestieangebot an Rebellenkämpfer verlesen. Wer sich den Behörden stelle und seine Waffen abgebe, brauche nicht mit Strafen und Sanktionen zu rechnen, hieß es. Das Staatsfernsehen zeigte außerdem Bilder von jubelnden Gaddafi-Anhängern in der Stadt al-Sawija, die die Regimetruppen offenbar nach tagelangen Kämpfen ebenfalls eingenommen hatten. Auch in anderen Städten stellten sich die Rebellen auf neue Vorstöße der Gaddafi-Truppen ein, etwa in der 300.000-Einwohner-Stadt Misrata gut 200 Kilometer östlich von Tripolis.
"Wir wissen, dass seine Streitkräfte Misrata von allen Seiten umzingelt haben. Sie sind 15 bis 20 Kilometer mit ihren Panzern und schweren Waffen vom Stadtzentrum entfernt", sagte der Aufständische Mohammed Ahmed der Nachrichtenagentur Reuters. "Wir machen uns auf ein Massaker gefasst." Die Rebellen seien auf den Angriff vorbereitet. Die Kampfmoral der Aufständischen sei trotz der Rückeroberung al-Sawijas durch Gaddafi-Truppen hoch.
"Natürlich sind wir enttäuscht"
Angesichts der militärischen Erfolge der Regierungstruppen zeigte sich der Vorsitzende des oppositionellen Nationalrats, Mustafa Abdel Dschalil, enttäuscht über die Zurückhaltung der internationalen Gemeinschaft. Er kritisierte, dass sie zwar ihre Solidarität mit den Gegnern Gaddafis äußere, aber keine militärischen Schritte einleite. "Wenn es keine Flugverbotszone gibt und die Schiffe nicht kontrolliert werden, wird es in Libyen eine Katastrophe geben", sagte Abdul Dschalil.
Den Westen forderte der ehemalige Justizminister zu entschiedenen Schritten gegen das Gaddafi-Regime auf. "Natürlich sind wir enttäuscht. An jedem Tag, der vergeht, werden Zivilisten getötet und verletzt." Verhandlungen mit Gaddafi lehnte Abdul Dschalil ab. "Alle Menschen im Land wollen, dass Gaddafi geht. Über eine andere Option wird nicht verhandelt", sagte Abdul Dschalil. Gaddafi warnte das Ausland vor einer militärischen Intervention und drohte mit Tausenden Toten. Im Fall eines Eingreifens werde er "Libyen in ein neues Vietnam verwandeln", sagte Gaddafi.
Am Samstag sind in Kairo die Außenminister der Arabischen Liga zusammengekommen, um über mögliche Reaktionen auf die Entwicklung in Libyen zu beraten. Vor allem geht es um die Flugverbotszone über Libyen, mit der die Aufständischen vor Gaddafis Luftwaffe geschützt werden sollen. Anwesend in Kairo ist auch die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton.
Die EU hatte am Freitag beschlossen, vorerst nicht mit militärischen Mitteln gegen Gaddafi vorzugehen. Sie will das weitere Handeln auf einem Dreiergipfel von EU, Arabischer Liga und Afrikanischer Union beraten. Die Zustimmung der Liga zur Flugverbotszone gilt in der EU als unabdingbar. Brüssel sieht die Bedingungen für ein militärisches Eingreifen noch nicht erfüllt. Auch in Washington wird weiter über militärische Optionen nachgedacht.
Die Mitgliedstaaten der Arabischen Liga sind in ihrer Haltung zu einer Flugverbotszone in dem nordafrikanischen Land bislang nicht einig. Zwar sagte der Generalsekretär Amr Mussa dem SPIEGEL, die Arabische Liga unterstütze ein Flugverbot. Widerspruch kam dagegen von Syrien, das darin eine "ausländischen Einmischung" in arabische Angelegenheiten sieht.