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Kämpfe in Libyen: Gewehrsalven, Jubelfeiern und Wüstensand

Foto: AHMED JADALLAH/ REUTERS

Bürgerkrieg in Libyen Rebellen kämpfen um jede Stadt

Panzerfeuer, Bombenhagel, Häuserkampf: Der Bürgerkrieg in Libyen eskaliert. In Sawija sollen Regime-Truppen ein Massaker angerichtet haben, Rebellen rücken auf Gaddafis Heimatstadt Sirte vor. Der von Aufständischen gegründete Nationalrat verlangt die Einrichtung einer Flugverbotszone.

Muammar al-Gaddafi

Tripolis/Bengasi/Sawija - Auf dem Pflaster der Straßen von Sawija ist Blut zu sehen, leere Patronenhülsen liegen über einen zentralen Platz verstreut. Die nur rund 50 Kilometer westlich von Tripolis gelegene Stadt stand am Samstag im Zentrum der Gewalt. Truppen von Staatschef starteten einen weiteren Anlauf, um die von Aufständischen kontrollierte Stadt zurückzuerobern. Ein Arzt sprach von einem "Massaker", das die Regimetreuen in Sawija angerichtet hätten. "Sie haben Menschen abgeschlachtet", sagte ein anderer Bewohner.

Auch in anderen Teilen des Landes werden die Gefechte immer heftiger, die Zahl der Toten und Verletzten steigt. Medikamente und Lebensmittel werden immer knapper. Weder Regierungsgegner noch Regimeanhänger scheinen momentan in der Lage, die vollständige Kontrolle über das Land zu gewinnen. In der östlichen Hafenstadt Bengasi sind viele Menschen erbost, berichtet AFP. "Es wird noch viel Blut fließen. Wie lange wird der Westen zuschauen und nichts tun?", sagte ein Mann in der ostlibyschen Stadt.

Die Lage ist an vielen Orten unübersichtlich, Angaben sind teilweise widersprüchlich. Diese Städte standen am Samstag im Zentrum der Ausschreitungen:

  • In der Küstenstadt Sawija haben sich Aufständische erbitterte Kämpfe mit Soldaten des Machthabers Muammar al-Gaddafi geliefert und dabei zwei Angriffe abgewehrt. Die Gaddafitreuen Truppen setzen Panzer und Artilleriegeschosse nach Angaben von Anwohnern auch gegen Zivilisten ein. Augenzeugen berichteten dem arabischen Nachrichtensender al-Dschasira, dass sich aus Richtung Tripolis kommend 35 Panzer auf die Stadt zu bewegten. Die Panzer hätten Häuser und eine Moschee mit Hunderten Menschen beschossen. Krankenhausärzte sprachen von 150 bis 250 Verletzten. Bei den zweitägigen Kämpfen starben mindestens 60 Menschen "Das ist ein echtes Massaker", sagte ein Arzt in einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur AFP. Für die Nacht auf Sonntag wurden in Sawija neue Angriffe der Regierungssoldaten erwartet.
  • Zur Lage in der strategisch wichtigen Hafenstadt Ras Lanuf gibt es widersprüchliche Angaben: Aufständische meldeten die Einnahme der Stadt und den Abschuss von zwei von Gaddafis Kampffliegern in der Nähe der Stadt. "Ich habe das Flugzeug und zwei tote Piloten mit eigenen Augen gesehen", sagt ein Unterstützer der Regierungsgegner der Agentur Reuters. Ein Fotograf der Fotoagentur epa beobachtete, wie Aufständische Gaddafi-Bilder zerstörten und die von Gaddafi eingeführte grüne Landesflagge verbrannten. Der libysche Vize-Außenminister Chaled Kaaim sagte hingegen, Ras Lanuf sei weiter unter Kontrolle der Regierungstruppen. Nach Angaben von Ärzten wurden in der Hafenstadt bisher zehn Menschen getötet.
  • Rebelleneinheiten scheinen derzeit Sirte ins Visier zu nehmen. Laut Twitter berichtete ein Anrufer dem TV-Sender al-Arabija, dass Tausende Rebellen auf dem Weg dorthin seien, um es dort mit den Regimetreuen und den Söldnern des Diktators aufzunehmen. Gaddafis Heimatstadt gilt als Hochburg seiner Milizen.
  • Die Aufständische drangen bislang offenbar bis zu dem kleinen Ort Ben Dschawad vor. SPIEGEL-Reporter Clemens Höges berichtete aus Ben Dschawad: "Die Stadt ist gefallen, Rebellen feiern mit den üblichen Salven aus Maschinengewehren in die Luft. Es ist kaum zu glauben, in welchem Tempo sie vorankommen. Jeden Tag eine Stadt." Die BBC meldete später neue Kämpfe zwischen Regierungsanhängern und -gegnern in Ben Dschawad.
  • In Bengasi, der zweitgrößten Stadt des Landes, explodierte in der Nacht zum Samstag ein riesiges Munitionslager. Dabei kamen mindestens 32 Menschen ums Leben, Dutzende weitere wurden verletzt. Ob die Explosion durch einen Unfall, Sabotage oder einen Luftangriff ausgelöst wurde, war noch unklar. Die Küstenstadt liegt im Osten und wird von Regimegegnern kontrolliert.

In Bengasi traf am Samstag der oppositionelle Nationalrat zu seiner ersten Sitzung zusammen. Der von der Opposition gegründete Rat sei der "einzige Repräsentant Libyens", erklärte der Vorsitzende, Ex-Justizminister Mustafa Abdel Dschalil. Damit will der Nationalrat, dem 31 Komitees aus verschiedenen "befreiten" Städten und Gebieten angehören, dem Aufstand gegen Gaddafi eine politische Führung geben. Alle libyschen diplomatischen Vertreter im Ausland, die die Erhebung gegen Gaddafi unterstützten, seien die "legitimen Vertreter" des Nationalrates.

Der Nationalrat forderte die internationale Gemeinschaft auf, eine Flugverbotszone über Libyen einzurichten. Gaddafis Truppen müssten daran gehindert werden, "sein eigenes Volk zu bombardieren". Ein Eingreifen ausländischer Truppen auf libyschem Boden lehnt der Rat hingegen strikt ab. Der französische Außenminister Alain Juppé sagte, sein Land bemühe sich mit Großbritannien um eine entsprechende Resolution des Uno-Sicherheitsrates für eine Flugverbotszone. Der Sicherheitsrat hatte vor einer Woche umfassende Sanktionen gegen Gaddafi und sein Umfeld verabschiedet. Dazu gehören ein Waffenembargo, Reiseverbote und Kontosperrungen. Über eine No-Fly-Zone wird in der internationalen Gemeinschaft noch diskutiert.

Die USA und andere Nato-Staaten zogen unterdessen starke Einheiten auf der Mittelmeerinsel Kreta zusammen. Wie griechische Medien und Augenzeugen am Samstag berichteten, liefen bereits zwei große amerikanische Schiffe in der Bucht von Souda ein, darunter der Hubschrauberträger "USS Kearsarge". Im nahegelegenen Flughafen von Souda-Akrotiri sollen Spezialeinheiten aus verschiedenen Nato-Staaten angekommen sein, darunter auch aus Deutschland.

Die Deutsche Marine begann am Samstag vor der tunesischen Küste mit einem Hilfeeinsatz für Flüchtlinge. Zwei Fregatten sollten noch am Abend mit etwa 400 Menschen an Bord Richtung Ägypten in See stechen. Die Flüchtlinge sollen in den ägyptischen Hafen Alexandria gebracht werden. Die Hilfsaktion wird vom Uno-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) koordiniert. Vor den brutalen Kämpfen in Libyen sind bislang mehr als 191.000 Menschen geflohen, berichten die Vereinten Nationen. Die Mehrheit der Flüchtlinge seien Gastarbeiter.

lgr/AFP/dpa/Reuters
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