Neuer Bürgermeister De Blasio gewinnt New Yorks Höllenjob

Neuer Bürgermeister: De Blasio gewinnt New Yorks Höllenjob
Foto: CARLO ALLEGRI/ REUTERS"Gawker" ruft den Sieger schon lange vorher aus. "Bill de Blasio zum Bürgermeister von New York City gewählt", titelt die Gossip-Website - obwohl die Wahllokale da noch neuneinhalb Stunden geöffnet haben. De Blasio, so "Gawker" unter einem Foto des Kandidaten im Konfettisturm, werde satte 64 Prozent der Stimmen ergattern.
Diese Prognose ist am Ende sogar noch untertrieben. Die Stimmauszählung hat kaum begonnen, da springt de Blasio bereits auf die Bühne eines früheren Waffenarsenals in Brooklyn, um sich von seinen bierseligen Fans bejubeln zu lassen. 73,6 Prozent - es ist ein Sieg, wie ihn die New Yorker seit den Zeiten des Obergrantlers Ed Koch nicht mehr erlebt haben.
"Ihr habt diesen Wahlkampf zu eurer Berufung gemacht", ruft er und kommt dann schnell zur Sache: Er werde New York wieder zu einer "vereinten Stadt" machen, in der "niemand zurückgelassen wird" und "jeder eine Chance hat - schwarz, weiß, Latino, asiatisch, schwul oder hetero".
Es sind passende Worte in dieser Nacht, zumal Amerikas Rechte von der Tea Party fast zeitgleich herbe Niederlagen wegstecken müssen. So jenseits des Hudson Rivers in New Jersey, wo der moderat-republikanische Gouverneur Chris Christie mit fast 60 Prozent wiedergewählt wird. So auch im Südstaat Virginia, wo der Demokrat Terry McAuliffe mit haarscharfem Vorsprung in die älteste Gouverneursvilla der USA einzieht.

Doch nirgends geht der Kurs so klar nach links wie hier in New York. De Blasio setzt sich bei allen Wählergruppen durch. Auch wenn zuletzt keiner mehr am Durchmarsch gezweifelt hat: Für die Stadt, die sich gerne als Insel der Seligen in einem sonst irren Amerika sieht, ist dies ein bemerkenswerter Moment.
Bloomberg erfand New York neu
Vor allem, weil dieser traditionell demokratische Moloch zum ersten Mal in zwei Jahrzehnten tatsächlich wieder von einem Demokraten regiert wird - obendrein von einem progressiven. Der letzte halbwegs linke Bürgermeister war David Dinkins, der 1993 nach nur einer Amtszeit vom Law-and-Order-Republikaner Rudy Giuliani abgelöst wurde.
Giuliani steuerte die Stadt durch den 9/11-Horror. Sein Nachfolger Michael Bloomberg, bis 2007 Republikaner, seither unabhängig, übernahm die traumatisierte Metropole und brachte sie mit hartem Griff und kühlem Verstand nicht nur durch die Rezession und wieder auf die Beine - er erfand New York völlig neu.
Doch Bloomberg hinterlässt ein schwieriges Erbe. Selten hat ein einziger Mann New York so geprägt: mit seinem Vermögen, seinen Vorschriften, seiner Rechthaberei. Und selten war die Stadt so tief gespalten - in Reich und Arm, Haben und Nichthaben, Vorteil und Vorurteil.
Sicher, New York ist heute gesünder, reicher, sicherer und fahrradfreundlich. Doch das hat seinen Preis - in Form einer beispiellosen sozialen Polarisierung, der explodierenden Mieten, der "Disneyfizierung" Manhattans, des Blankoschecks für die Polizei, die Schwarze und Latinos gerne für Leibesvisitatonen auf offener Straße aussondert ("Stop and Frisk").
Zum Schluss hatten die Leute die Nase voll. Einfach, handfest, schamlos links: Als waschechter New Yorker ist de Blasio das Gegenteil des aus Boston gebürtigen Bloomberg, der trotz mühsam einstudierter Bürgernähe immer aristokratisch daherkam.
Allein schon de Blasios unkonventionelle Familie: 1994 heiratete er die schwarze Aktivistin Chirlane McCray, die sich zuvor als Lesbe bezeichnet hatte. Die Kinder des Paares - Tochter Chiara und Sohn Dante (Markenzeichen: Afro) - sorgten im Wahlkampf für mehr Schlagzeilen als "Dad".
Renitenter Stadtrat und eine patzige Presse
Der verspricht noch in der Nacht "eine unmissverständlich progressive Alternative zur Bloomberg-Ära". Also: Steuern für Reiche, um Kindergärtenplätze zu finanzieren. Weniger Armut, mehr Sozialwohnungen. Niedrigere Studienkosten, höhere Löhne, bessere U-Bahnen für die Außenbezirke. Krankenhäuser statt Luxus-Penthouses. Ein neuer Polizeichef - und ein Police Department an der Kandare.
Gewagte Ansprüche für einen Höllenjob. New Yorks Bürgermeister jongliert den höchsten Kommunalhaushalt der USA (70 Milliarden Dollar), soll 8,4 Millionen Einwohner vor einer Wiederholung von 9/11 schützen und darf sich täglich mit einem renitenten Stadtrat und der patzigsten Presse der Nation herumschlagen.
Doch wenn einer das kann, dann er. Der Soldatensohn aus bescheidenen Verhältnissen schlug sich schon 1988 als 26-jähriger Linksaktivist in Nicaragua durch. Zurück in New York, absolvierte de Blasio seine erste Stadtratswahlen mit ähnlichem Überschallflug wie jetzt. 2009 dann wurde er zum städtischen Ombudsmann gewählt - mit 78 Prozent.
Eine "neue Vision" für die Stadt versprach er schon damals. Nun aber wird es ernst damit.