Wahl in Bulgarien Populisten dominieren im ärmsten EU-Land

Bei der Wahl in Bulgarien ist Populismus Trumpf: Die meisten Parteien schimpfen auf die EU und versprechen mehr Nähe zu Russland. Es droht eine Fortsetzung der politischen Instabilität.

Sie blockieren die Straße mit Autoreifen, Rauchfackeln brennen in den Farben Rot, Weiß und Grün. "Wir verteidigen Bulgarien, wir verteidigen Europa!", steht auf einem Transparent. Ein Mann ruft: "Bulgarien ist keine türkische Provinz!" Gemeinsam skandieren die Demonstranten: "Lang lebe Bulgarien!"

Der bulgarisch-türkische Grenzübergang Kapitan Andreewo am Dienstag dieser Woche: Mehrere hundert Nationalisten sperren den Einreiseverkehr nach Bulgarien. Es ist eine Aktion der nationalistischen Parteienallianz "Vereinte Patrioten" (OP). Sie richtet sich gegen die angebliche Einmischung der Türkei in den bulgarischen Wahlkampf und gegen die Parteien der türkischen Minderheit in Bulgarien, zu der zehn Prozent der Bevölkerung gehören. Die Polizei greift nicht ein. Nach vier Stunden ziehen die Demonstranten ab. Es ist die erste einer ganzen Reihe ähnlicher Aktionen, die die Nationalisten im Laufe der Woche fortsetzten.

Bulgarien vor der Parlamentswahl am Sonntag: Das Thema einer Einmischung der Türkei in die Abstimmung hat den Wahlkampf kurz vor dem Ende noch einmal auf Hochtouren gebracht. Für Aufregung sorgte aber auch ein Satz von Kornelia Ninowa, der Chefin der wendekommunistischen "Bulgarischen Sozialistischen Partei" (BSP), vor Anhängern in der zentralbulgarischen Stadt Stara Zagora: "Die Demokratie hat uns viel genommen, Gesundheit, Bildung, Sicherheit." Eine unverhüllte Ostalgie, die bei einem Teil der Öffentlichkeit für große Empörung sorgte.

Eigentlich ist die jetzige Parlamentswahl in Bulgarien eine Art Betriebsunfall. Es ist die dritte vorgezogene Abstimmung in den vergangenen vier Jahren. Sie musste anberaumt werden, weil der konservative Ex-Regierungschef Bojko Borissow im Herbst zurückgetreten war. Seine Kandidatin hatte die Wahl um das Amt des Staatspräsidenten gegen den Sozialisten Rumen Radew verloren.

Doch so unnötig die jetzige Wahl zustande kam, so groß ist ihre Bedeutung inzwischen für Bulgarien und darüber hinaus. Nominell geht es um ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden großen Parteien, den bis Herbst regierenden Konservativen und den oppositionellen Sozialisten. Doch dabei stehe erstmals seit dem EU-Beitritt vor zehn Jahren Bulgariens generelle Orientierung zur Disposition, sagt die Politologin Rumjana Kolarowa von der Sofioter St.-Kliment-Ohridski-Universität. "Es ist eine Testwahl über die Ausrichtung Bulgariens zwischen Ost und West, über Euroskeptizimus und das Modell der westlichen Demokratie. Das geht nicht nur uns, sondern ganz Europa an."

Sozialisten profitieren am meisten von der Misere

Korruptionsaffären hochrangiger Politiker und häufig wechselnde Regierungen prägten in den vergangenen Jahren die Entwicklung des Landes. Zwar kann Bulgarien mit guten makroökonomischen Zahlen aufwarten - das Haushaltsdefizit betrug 2016 nur zwei Prozent, Inflation und Staatsverschuldung sind niedrig. Doch zugleich ist Bulgarien das ärmste Land der Europäischen Union. Der Durchschnittslohn liegt bei etwa 400 Euro im Monat. Rund ein Viertel der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze, besonders Rentner haben es schwer. In den vergangenen Jahren verließen hunderttausende Menschen Bulgarien, um im Ausland zu arbeiten, darunter auch viele gut ausgebildete Fachkräfte.

Von der sozialen Misere profitieren am meisten die wendekommunistischen Sozialisten. Nach zahlreichen Korruptionsaffären ist die BSP seit einigen Monaten im Aufwind - unter anderem wegen der Popularität des von ihnen unterstützten parteilosen Staatspräsidenten Radew. Der ist ein ehemaliger Luftwaffengeneral, der gemäßigt populistisch-euroskeptische und russlandfreundliche Positionen vertritt.

Damit bestreiten auch die Sozialisten ihren Wahlkampf: Neben höheren Löhnen und Renten versprechen sie einen besseren Schutz der Wirtschaft vor EU-Konkurrenz und eine Wiederbelebung bulgarisch-russischer Energiegroßprojekte. Der Politologe Daniel Smilow vom Sofioter Zentrum für liberale Strategien (CLS) nennt es die "neue Putinophilie der Sozialisten". "Sie wollen die Annexion der Krim anerkennen, die Sanktionen gegen Russland aufheben, kritisieren die EU stark und stellen die liberale Demokratie in Frage. Es bleibt abzuwarten, ob das nur Kampagnenrethorik ist."

Ganz anders präsentiert sich die konservative Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) des ehemaligen Regierungschefs Borissow. Sie gibt sich als Garant einer EU-Verankerung Bulgariens und einer wirtschaftlichen Stabilitätspolitik. Borissow, ein ehemaliger Leibwächter, der in der Öffentlichkeit gern kumpelig auftritt, klopft allerdings selbst oft populistische Sprüche über die Flüchtlingskrise oder Bulgariens Position in der EU. Er tritt ebenso wie die Sozialisten für bessere Beziehungen zu Russland ein.

Politische Stabilität in weiter Ferne

Wahlentscheidend könnten wie bisher die kleineren Parteien der bulgarischen Nationalisten und der türkischen Minderheit werden. Allerdings gibt es hier überraschende Neuentwicklungen: Drei traditionell zerstrittene nationalistische Parteien, darunter die extrem xenophobe und chauvinistische Partei "Ataka", haben sich erstmals zusammengeschlossen. Die "Vereinten Patrioten" könnten ein gutes zweistelliges Ergebnis erzielen und somit drittstärkste Kraft werden.

Auf der anderen Seite hat sich die seit zweieinhalb Jahrzehnten einzige Parlamentspartei der türkischen Minderheit, die "Bewegung für Rechte und Freiheiten" (DPS), vergangenes Jahr nach internen Machtkämpfen erstmals gespalten. Während die DPS mit ihrem Gründer Ahmed Dogan, einem ehemaligen Staatssicherheitsmitarbeiter, inzwischen sogar bulgarisch-patriotische Töne anschlägt, verfolgt die neue Partei DOST (Demokraten für Verantwortung, Solidarität und Toleranz) einen protürkischen Kurs. Sie wird offen vom türkischen Präsidenten Erdogan und seiner Regierung unterstützt.

Die Politologin Rumjana Kolarova erwartet vom Wahlausgang eine Konstellation, die kaum für eine langfristige politische Stabilität sorgt. Ihr Kollege Daniel Smilow befürchtet, dass sich die bulgarische Politik allgemein mehr in Richtung eines "patriotischen Populismus" verschiebt.

Ganz in diesem Sinne agiert auch einer der neuen Aufsteiger in der bulgarischen Politszene - der Pharma- und Tankstellenunternehmer Wesselin Mareschki. Er will mit seiner rechtspopulistischen Partei "Wolja" (Wille) das "korrupte Establishment wegfegen" und könnte auf bis zu zehn Prozent der Stimmen kommen. In Interviews sagt er über sich selbst gern: "Ich bin ein Anti-Establishment-Kandidat wie Trump. Ich kann die Welt ändern."


Zusammenfassung: Es ist schon die dritte vorgezogene Abstimmung innerhalb von vier Jahren: Bei der Parlamentswahl in Bulgarien wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den Sozialisten und der bürgerlichen Regierungspartei erwartet. Im Wahlkampf dominierten populistische Themen. Beobachter rechnen nicht damit, dass das Ergebnis zu mehr Stabilität im ärmsten EU-Land führt.

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