
Polens Woodstock: Rock the President
Besuch beim polnischen Woodstock Gauck rockt
In der "Akademie der Wunderschönen Künste" trägt kaum einer mehr als ein T-Shirt. Die meisten sogar weniger. Es ist ja auch bullenheiß hier, 12 Uhr, die Mittagssonne knallt. Die wunderschöne Akademie hat sich in einem Zelt auf dem Festivalgelände der "Haltestelle Woodstock" zusammengefunden, das halbnackte und sehr jugendliche Publikum schwitzt vor sich hin.
Aber noch mehr schwitzen die beiden älteren Herrren auf der Bühne, in ihrem Rücken leuchten riesige Flower-Power-Motive. Immerhin haben sie gerade ihre Krawatten abgenommen. So viel Lockerheit darf dann offenbar doch sein.
Es ist nicht die Welt von Bundespräsident Joachim Gauck und Polens Staatsoberhaupt Bronislaw Komorowski, in der sie sich hier bewegen. Auf dem Festivalgelände sieht man Menschen umherlaufen, die ihren Kopf in einen ausgehöhlten Fernseher gezwängt haben, manche tragen Phantasiekostüme, der allgemeine Alkoholpegel ist schon zur Tagesmitte ordentlich.
In Sachen Musikgeschmack ist Gauck ohnehin Lichtjahre von dem entfernt, was sich hier in den kommenden Tagen auf den verschiedenen Bühnen präsentiert. Er habe sich ja damals als Jugendpfarrer in Rostock viel mit der Musik der Heranwachsenden beschäftigt, erzählt der Bundespräsident im glühenden Zelt von Kostrzyn. "Aber bei Udo Lindenberg endet mein Musikverständnis." Ein Glück, dass in dem vornehmlich polnischen Publikum kaum einer Lindenberg kennt.
Gauck nennt Polen sein Herzensland
"Haltestelle Woodstock" - das ist vor allem sehr laute Musik. Elektronisch, kreischende Gitarren, brutal schnelle Beats. Die Veranstalter rechnen in den kommenden Tagen mit etwa 800.000 Besuchern in den sandigen Wäldern des westpolnischen Kostrzyn.
Auf der anderen Seite der Oder beginnt Deutschland, aber das Festival ist im 18. Jahr immer noch vor allem eine Angelegenheit der Polen. Auch das dürfte ein Grund dafür sein, dass der Bundespräsident die Einladung seines Amtskollegen angenommen hat, die er beim Antrittsbesuch Gaucks in Warschau ausgesprochen hat: Deutschlands Staatsoberhaupt nennt Polen sein Herzensland, die Annäherung seiner Landsleute Richtung Osten ist ihm also eine Herzensangelegenheit.
Und natürlich macht sich so eine Bühne immer gut für Politiker, wenn man es nicht zu peinlich angeht.
Deshalb sitzen Gauck und Komorowski nun hier in der Mittagshitze, der gut gebräunte Gast aus Berlin hat sogar extra seinen Urlaub unterbrochen. Sie reden viel über das deutsch-polnische Verhältnis, natürlich darf bei Gauck auch in Polen sein Lieblingsthema - die Freiheit - nicht fehlen. Das polnische Fernsehen überträgt live. Die Zuhörer sitzen und liegen auf dem Boden, im Hintergrund wummern fette Bässe. Mancher sieht allerdings aus, als wünsche er sich, dass nun endlich die ersten Bands auf der Bühne erscheinen.
Komorowski wird gegrillt von den jungen Leuten
Am Ende dürfen noch einige Fragen gestellt werden: Gauck bekommt ein paar sehr nette, er darf nochmals ausgiebig Polen loben, Komorowski dagegen wird ziemlich gegrillt von seinen Landsleuten. Eine junge Frau mit kurzen Haaren fordert von ihrem Präsidenten schließlich sogar, er solle gefälligst mit dem Jagen aufhören. Das anschließende Bad in der Menge scheint Gauck vielleicht auch deshalb deutlich mehr zu genießen als sein Amtskollege.
Das Gelände vor der Hauptbühne hat sich inzwischen schon einigermaßen gefüllt, aber erst müssen die Präsidenten noch ein schnelles Mittagessen zu sich nehmen. "Vier-Augen-Gespräche" nennt man so was im politischen Protokoll. Dann eine fixe Pressekonferenz in einem anderen Zelt, bei der eine der Dolmetscherinnen nahe am Hitzekollaps ist und die beiden Präsidenten abermals die deutsch-polnische Freundschaft preisen. Gauck sagt: "Das hier imponiert mir noch mehr als die tolle Fußball-Euro." Er ist halt ein sehr begeisterungsfähiger Präsident.
350.000 haben sich jetzt vor der Hauptbühne versammelt, echte Festivalatmosphäre. Eine riesige weiß-rote polnische Flagge wird über den ersten Reihen ausgerollt - und dann stehen da plötzlich die beiden Präsidenten. Der freundliche Komorowski mit seinem Schnauzer und der strahlende Gauck. "Wir waren gerade bei den Olympischen Spielen, aber so viel Begeisterung war da nicht", ruft er. Klar, dass die Menge da wie irre jubelt. Sogar eine Fliegerstaffel braust jetzt über sie hinweg.
"Nein, so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt der erschöpfte Bundespräsident auf dem Weg zu seiner staubigen Limousine, die hinter der Bühne wartet. Einmal Rockstar sein. Seine Enkel werden wieder mal stolz auf ihn sein.