Anti-Piraten-Einsatz vor Somalia Kampf um die Zwei-Kilometer-Marke

Anti-Piraten-Einsatz vor Somalia: Kampf um die Zwei-Kilometer-Marke
Foto: Christian Charisius/ REUTERSBerlin - Er kann die Aufregung nicht verstehen. Man möge doch bitte die Kirche im Dorf lassen - so klingen die Aussagen von Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, mit denen er am Mittwoch die geplante Ausweitung des Anti-Piraten-Einsatzes vor Somalia verteidigte. Von einer "neuen Qualität" könne keine Rede sein, betonte der CDU-Politiker. "Das ist eine kleine, nützliche, zusätzliche militärische Option." Nicht mehr und nicht weniger.
Doch de Maizières Versuche, den Beschluss des Bundeskabinetts vom Mittwoch zu relativieren, gehen ins Leere. In seltener Einigkeit sagen die drei Oppositionsparteien nein. Sie sind dagegen, dass deutsche Soldaten - im Rahmen des EU-Einsatzes "Atalanta" - künftig Piraten-Logistik wie Boote und Treibstofftanks an Land bis zu einer Küstenentfernung von zwei Kilometern beschießen dürfen. Zu Einsätzen von Soldaten am Boden soll es auch weiterhin nicht kommen, heißt es, eine Ausnahme seien nur mögliche Rettungseinsätze. Bislang war der Einsatz kategorisch auf das Meer beschränkt.
"Gefährlich und unnötig" sei eine solche Ausweitung des Mandats, sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. "Der Krieg wird in Somalia an Land getragen." Von zahlreichen Risiken für Soldaten und Zivilisten spricht SPD-Fraktionsvize Gernot Erler. Und der stellvertretende Linken-Fraktionsvorsitzende Jan van Aken sagt: "Wenn deutsche Soldaten auf Ziele an Land schießen, ist dies faktisch eine Kriegserklärung an die Bevölkerung in Somalia."
Damit scheint klar, dass die Koalition am 11. Mai im Bundestag nicht auf Stimmen aus dem Oppositionslager setzen kann. Bisher hatten SPD und Grüne die "Atalanta"-Mission mitgetragen, während die Linkspartei seit jeher gegen den Anti-Piraten-Einsatz vor Somalia war.
Die schwarz-gelbe Mehrheit im Parlament reicht aber für die Ausweitung des Mandats, die Außenminister Guido Westerwelle auch mit "nationalem Interesse" rechtfertigt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Deutschland als die größte Handelsnation in Europa beim Schutz unserer Seeleute, beim Schutz unserer Seefahrtroute wegduckt und dies anderen Europäern überlässt."
Militärs fremdeln mit dem Mandat
Allerdings ist das jetzt erarbeitete Mandat bei den Militärs durchaus umstritten. Hinter vorgehaltener Hand mosern hochrangige Offiziere, die Nennung des Zwei-Kilometer-Limits für mögliche gezielte Attacken schwäche den Abschreckungseffekt der Operationen aus der Luft enorm. "Wenn die Piraten das am Mittwoch in der BBC hören", so lästerte erst kürzlich ein deutscher General, "brauchen sie doch nur das Maßband anlegen, ihre Logistik ein paar Meter hinter diese rote Linie bringen und schon sind sie sicher". Gleichwohl schränkte der Kenner umgehend ein, dass es für die Seeräuber schwierig sein dürfte, wichtige Dinge wie die berüchtigten schmalen Skiff-Boote, Tankreserven für die leistungsstarken Außenbordmotoren oder anderes Material immer wieder weit ins Landesinnere zu bringen.
Tatsächlich illustriert das strenge Limit in dem Bundeswehr-Mandat einen klassischen Konflikt innerhalb der Koalition - genauer gesagt zwischen dem Außenamt und dem Militär. So verhandelte in Brüssel bei der EU maßgeblich Westerwelles Auswärtige Amt über die Ausweitung der Kampfzone an den somalischen Strand. Die Militärs aus dem Wehrressort in Deutschland lieferten lediglich ihren Rat.
Das Auswärtige Amt machte dann auch von Beginn der Diskussion an klar, man werde die neue Qualität der Mission schon aus Bündnistreue mittragen. Im gleichen Atemzug forderten Westerwelles Leute aber enge Grenzen für die neue Mission über dem somalischen Festland und äußerste Vorsicht bei der Planung. "Abenteuer in Somalia", so die Amts-Haltung, "gibt es mit uns nicht". Mit dieser Position setzte sich Westerwelle letztlich durch, die Militärs sahen grummelnd zu.
Wie ein Abenteurer oder gar Rambo-Typ kommt Admiral Duncan Potts - derzeit Chef und oberster Befehlshaber der "Atalanta"-Mission - mit seinem schütteren Haar und einem fast schüchternen Lächeln so oder so nicht daher. Sachlich und ruhig schilderte er in den vergangenen Monaten sowohl in Brüssel als auch in Berlin, dass die Luftangriffe auf ein paar logistisch wichtige Ziele eher ein Mittel von vielen aus dem Werkzeugkasten seiner Mission sein könnten. Abseits der Absicherung von Konvois, den schnellen Rettungsmissionen bei Notrufen und der teilweisen Sperrung von beliebten Wegen der Piraten würde die Zerstörung einiger weniger Ziele vor allem einen "psychologischen Effekt" zeitigen. So würde sich schnell herumsprechen, dass die internationalen Einheiten auch mal Ernst machten, erklärte Potts. Nach täglichen Missionen hörte sich das kaum an.
Piraten-Jagd muss gut geplant sein
Allein die Planung der Attacken von Hubschraubern wird wohl einige Zeit in Anspruch nehmen. Zwar kennen die Militärs die Stützpunkte der Piraten von Satellitenaufnahmen und Bildern aus Überwachungsflugzeugen gut. So genau sind die Bilder teilweise, dass man die von den Lösegeldmillionen finanzierten neuen Moscheen der Region, aber auch die teuren Jeeps der Piratenchefs, ihre Bodyguards oder die Treffpunkte der Piraten vor bestimmten Teestuben präzise ausmachen kann. Anhand der Bilder weiß man auch, wie ungestört sich die Piraten auf ihre Missionen vorbereiten, die Skiffs mit Tankkanistern ausstatten, um dann in den Gewässern vor der Küste auf Jagd zu gehen. Einige Ziele sind laut den Militärs deswegen auch schon bekannt.
Da die Vermeidung von zivilen Opfern eine der wichtigsten Prioritäten der neuen Mission ist und in den sogenannten "Rules of Engagement" fixiert wurde, wird es trotzdem wohl kaum zu Schnellschüssen kommen. Zunächst müssen die Militärs ein mögliches Ziel über einen längeren Zeitraum aus der Luft genau beobachten. In einer Art Profil - letztlich Aufnahmen zu verschiedenen Tageszeiten - stellt man dann möglichst sicher, dass zum Zeitpunkt eines Angriffs keinerlei Risiko eines Fehlschlags besteht. Skeptikern versicherte Admiral Potts in Brüssel, er selbst werde alle Operationen steuern, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Für die Bundeswehr, derzeit mit zwei Helikoptern und einem Einsatzgruppenversorger vor Somalia, müsste vor dem Angriff noch grünes Licht vom Potsdamer Einsatzführungskommando kommen.
Dort zeigt man sich zumindest zuversichtlich, dass die Ausweitung der Mission an Land für einen weiteren Rückgang der Piraterie im Jahr 2012 sorgen wird. Derzeit seien zwar acht große Handelsschiffe und 15 Fischerei-Schiffe mit insgesamt rund 250 Geiseln in der Hand von Piraten. Doch im Gegensatz zu 2011, als die Piraten 28 Schiffe mit mehr als 600 Geiseln gekapert hatten, wirken die Zahlen tatsächlich niedrig. Keine Illusionen indes machen sich die erfahrenen Potsdamer Militärs darüber, dass sie mit ihren Maßnahmen nur an der Oberfläche des Problems bleiben.
So lange die Lage im staaten- und gesetzlosen Somalia so prekär bleibe, die Jugend keine Perspektive habe und das ungestört laufende Geschäft mit den Millionen-Lösegeldern nicht endlich angegangen werde - so die einhellige Meinung - müsse man weiter mit modernen Seeräubern rechnen.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, die Deutsche Marine sei mit einer Fregatte im Seegebiet vor Somalia. Tatsächlich ist zurzeit der Einsatzgruppenversorger "Berlin" im Rahmen der Operation Atalanta unterwegs. Wir haben den Fehler korrigiert und bitten, ihn zu entschuldigen.