Burma Staudamm-Baustopp irritiert China

Irrawaddy in Burma: Kampf gegen den Staudamm hat die zersplitterte Opposition geeint
Foto: Khin Maung Win/ APChina hat es offensichtlich wirklich kalt erwischt. "Ich habe es erst durch die Medien erfahren", klagt der Präsident des staatseigenen chinesischen Energiekonzerns China Power Investment Corporation, Lu Qizhou, in einem Interview der "China Daily". "Und es hat mich wirklich umgehauen. Denn die burmesische Seite hat vorher niemals mit uns in irgendeiner Weise über einen möglichen 'Baustopp' gesprochen."
Die Entscheidung des burmesischen Präsidenten Thein Sein, die Bauarbeiten am riesigen Myitsone-Staudamm am Irrawaddy zu stoppen, sei für ihn wirklich "außerordentlich bestürzend". Doch nicht nur der Konzernchef wurde überrascht. Auch die chinesische Regierung war zunächst sprachlos. Nach der ersten Schrecksekunde forderte sie den aufmüpfigen Nachbarn zwar konsterniert auf, den Schritt doch noch einmal zu überdenken, auf jeden Fall aber die Rechte der beteiligten chinesischen Firmen zu respektieren und sich auf eventuelle Schadensersatzansprüche einzustellen. Über diese dürre Reaktion hinaus hüllt sich Peking aber vorerst in betretenes Schweigen.
Der geschäftsführende Direktor der international operierenden Risikoberatungsfirma Country Risk Solutions, Daniel Wagner, frohlockt dagegen: "Für China war das eine Lehrstunde in Sachen Realpolitik." Es sei "extrem selten, dass die Regierung eines Entwicklungslandes, das durch so lange freundschaftliche Beziehungen mit China verbunden ist, die chinesische Regierung öffentlich in solcher Weise herausfordert".
Noch nie vorher habe Peking einen solchen Affront hinnehmen müssen.

Ausschlaggebend für die überraschende Verhängung des Baustopps durch Präsident Thein Sein war offensichtlich ein geheimer 900-Seiten-Bericht über die Risiken des Mega-Damms am Irrawaddy, der Mitte September durch eine gezielte Indiskretion an die Öffentlichkeit gekommen ist - ironischerweise vermutlich durch chinesische Wissenschaftler. Seitdem war der Streit um den Staudamm zum Lackmustest für Reformen und Demokratisierung in Burma eskaliert. Er befeuerte auch die schwelende Diskussion über den Einfluss Chinas auf das arme Nachbarland mit den vielen Rohstoffen.
US-Militärexperten sorgen sich
Thant Myint-U, Enkel des früheren Uno-Generalsekretärs U Thant und ökonomischer Chefberater von Staatspräsident Thein Sein, beschreibt in seinem neuen Buch "Where China Meets India: Burma and the New Crossroads of Asia" die strategische Bedeutung seines Landes für den mächtigen Nachbarstaat: 80 Prozent der chinesischen Ölimporte würden durch die Meerenge von Malakka geleitet. China fürchte, "dass die USA oder Indien dieses Nadelöhr nutzen könnten, um China von seinen Ölimporten abzuschneiden". Deshalb wolle es sich mit Milliarden-Investitionen eine direkte Landverbindung vom Indischen Ozean durch Burma nach China sichern.
Allein 23 Milliarden US-Dollar wolle China in den kommenden zwei oder drei Jahren in den Bau einer Hochgeschwindigkeitsbahn investieren. Geplant seien außerdem neue Öl- und Gaspipelines und Autobahnen von China zur burmesischen Küste - insgesamt Investitionen von bis zu 35 Milliarden US-Dollar. Professor Wen Min vom Institut für Internationale Studien an der Universität Peking hat auch offen zugegeben: "Burma ist für uns ein natürlicher Korridor zum Indischen Ozean."
Bisher konnte die chinesische Führung sich auf den Partner in Burma auch fast blind verlassen. Die bis zur Wahl im November 2010 regierende Militärjunta hatte den Chinesen sogar den Bau von 1,5 Milliarden US-Dollar teuren Hightech-Abhöranlagen erlaubt, mit denen China von Burma aus den gesamten Flugzeug- und Schiffsverkehr im Golf von Bengalen überwachen kann. "Bao Bo Qing Yi" nannten die Chinesen das Bündnis mit Burma, eine "Freundschaft zwischen Brüdern". Sein erster Staatsbesuch als neu gewählter Präsident führte Thein Sein dementsprechend demonstrativ nach Peking.
Umso stärker muss Chinas Führung durch Thein Seins einsam verhängten Baustopp am Irrawaddy geschockt worden sein, dessen Folgen noch lange nicht absehbar sind. Denn wenn es wirklich ein Versuch des burmesischen Präsidenten ist, sich aus der Umklammerung durch China zu lösen, könnten die Karten in Südostasien neu gemischt werden. "Burma nimmt eine Stellung ein, die Militärstrategen als signifikanten 'swing factor' für das strategische Gleichgewicht in der Region bezeichnen", urteilte die Heinrich-Böll-Stiftung schon vor der Wahl der neuen Zivilregierung in Burma. "Am geografischen Schnittpunkt zwischen Südostasien, China und Indien hat das Land eine Bedeutung erlangt, die auch amerikanischen Militärexperten Sorgen bereitet."
"Um gute Nachbarn zu bleiben, muss sich auch die Politik ändern"
Die Amerikaner beobachten die Lage in und um Burma denn auch seit Jahren mit Argusaugen. Sie wollen bei einer möglichen Neuaufteilung der Machtsphären rechtzeitig den Fuß in der Tür haben. Ein durch WikiLeaks bekannt gewordener Bericht der US-Botschaft von Januar 2010 enthüllt, wie tief die US-Administration in die inneren Verhältnisse Burmas verstrickt ist.
Geschäftsträger Larry Dinger informiert Washington nicht nur ausführlich über das Myitsone-Damm-Projekt, sondern schreibt auch offen: "Ein ungewöhnlicher Aspekt dieser Angelegenheit ist die Rolle, die die Graswurzel-Organisationen bei der Opposition gegen den Damm gespielt haben. Sie sprechen für eine wachsende Stärke der Gruppen der Zivilgesellschaft in der Kachin-Region, eingeschlossen die Empfänger der schmalen Zuwendungen durch die Botschaft." Auch auf diplomatischem und politischem Parkett mühen sich die USA intensiv, das Verhältnis zur neuen Führung in Burma zu normalisieren.
Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, kommentierte den Baustopp zufrieden: "Wir sehen das als einen bedeutenden und positiven Schritt für das Bemühen der burmesischen Regierung, auf die Besorgnisse ihres Volkes einzugehen und auch die nationale Versöhnung voranzubringen." Washington ermutige Burma zu weiteren Schritten, "die Interessen des Volkes zu respektieren und zu berücksichtigen, die ethnischen Minderheiten, die demokratische Opposition und die Zivilgesellschaft eingeschlossen".
Knackpunkt sind nach wie vor die mehr als 2000 politischen Häftlinge in den burmesischen Gefängnissen. Ihre Freilassung könnte für Burma den Ausbruch aus der internationalen Isolation und die Aufhebung der Sanktionen durch USA und EU bedeuten.
Indiens dramatischer Schwenk
Aber nicht nur die USA, sondern auch Indien und die anderen neun Asean-Staaten sehen Burma derzeit als Schlüsselstaat im Spiel um die Machtverhältnisse im südostasiatischen Raum. Indiens Startposition hat sich allerdings eher verschlechtert. Das direkte Nachbarland Burmas, das sich stets rühmt, die größte Demokratie der Welt zu sein, hatte ursprünglich die demokratischen Kräfte um die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi unterstützt. Noch 1993 hat die indische Regierung der Friedensnobelpreisträgerin den Nehru-Friedenpreis verliehen.
Doch dann unternahm Indien einen dramatischen Schwenk, biederte sich bei der damaligen Junta an und versuchte, sich ein Stück vom großen Rohstoff-Kuchen in Burma abzuschneiden. Uday Bhaskar, früherer Vizedirektor des Institute for Defense Studies and Analyses in Delhi erklärte offen, sein Land müsse im Wettbewerb mit Peking um das strategisch wichtige Burma Flagge zeigen. Ausgerechnet während des blutig niedergeschlagenen Aufstands der Mönche 2007 unterzeichnete der damalige indische Ölminister Murli Deora einen Gaserschließungsvertrag mit Burma.
Suu Kyi, die sich nach ihrer Freilassung aus jahrelangem Hausarrest im November 2010 tief enttäuscht über die Haltung Indiens äußerte, mahnte bei einer Videokonferenz der Clinton Global Initiative Ende September China und Indien, die beiden mächtigen Nachbarn Burmas: "Die Zeiten haben sich geändert, und die Umstände haben sich geändert - und um gute Nachbarn zu bleiben, muss sich auch die Politik ändern": China und Indien seien gut beraten, künftig auf die Stimme des Volkes in Burma zu hören.
Burmas Rolle in der Union der Asean-Staaten
Aber vor allem der für 2015 geplante Start der Asean-Wirtschaftsunion, ein gemeinsamer Markt der zehn Asean-Staaten nach dem Muster der EU, mit insgesamt 590 Millionen Menschen, könnte das Kräftegleichgewicht in Südostasien verändern. Die Asean-Staaten würden sich als dritte Kraft etablieren neben China, Japan und Korea im Norden sowie Indien im Westen, prophezeit der deutsche Botschafter in Indonesien, Norbert Baas. Bisher war das diktatorisch regierte Burma für die anderen neun Asean-Staaten eher ein Klotz am Bein auf dem Weg in die Zukunft.
Doch Thein Sein setzt alles daran, auch innerhalb der Asean-Gruppe eine größere Rolle zu spielen und 2014 - ein Jahr vor dem Start der Wirtschaftsunion - routinemäßig den Asean-Vorsitz zu übernehmen und damit Gastgeber für internationale Konferenzen und Gipfeltreffen zu werden. Das wäre für ihn ein wichtiger Schritt, die jahrelange außenpolitische Isolierung seines Landes aufzubrechen. Aber die anderen Asean-Staaten haben Thein Sein wissen lassen: ohne Reformen kein Vorsitz.
Das kleine Land am Golf von Bengalen ist damit unversehens ins Kräftespiel der Großmächte geraten. Burma-Experten sind in ihrem Urteil noch zurückhaltend, ob - wie Burmas Außenminister Wunna Maung Lwin vor der Uno-Vollversammlung versprochen hat - die von Thein Sein eingeleiteten Reformen wirklich unumkehrbar sind und sogar weitergehen. Ein Zurück würde auf jeden Fall schwer: Der Kampf gegen den Myitsone-Damm hat die zersplitterte Opposition in Burma - Demokratiebewegung, ethnische Gruppen, Umweltverbände, Zivilgesellschaft - vereint und stärker gemacht.